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Ich habe einen Freund verloren

Klaus Dillmann

Kennen gelernt habe ich Wilhelm Frohn 1992, als wir eine, Reise gemeinsam als Teilnehmer einer Beobachterdelegation zum erstmals seit 1977 wieder stattfindenden 1. Mai auf dem Gazi-Osman-Paşa-Platz in Istanbul-Üsküdar machten. Während dieses Aufenthaltes verbrachten wir auch eine gemeinsame Nacht im Polizeigewahrsam. Zumindest an zwei weiteren Beobachter-Reisen in die Türkei haben Wilhelm und ich gemeinsam teilgenommen, eine ging zum ersten öffentlichen Parteitag der Partei der Arbeit (Emeğin Partisi) in Ankara mit anschließender Fahrt zu einem Termin beim Prozess gegen mehrere Polizisten wegen des Mordes an dem Evrensel-Journalisten Metin Göktepe in Afyon. Eine weitere Reise, ebenfalls nach Ankara, war veranlasst durch den Prozess gegen Kenan Evren wegen des Militärputsches vom 12. September 1981. Alle diese Reisen waren mit Besuchen bei verschiedenen Gewerkschaften verbunden. Während der letztgenannten Reise haben wir bei der Lehrergewerkschaft (Eğitim Sen) gewohnt.
Diesen Schatz gemeinsamer Erfahrungen vertieft haben die Gründung und regelmäßige Sitzungen sowie einige Veranstaltungen des Vereins Emek-Solidarität, der sich besonders für die Pressefreiheit in der Türkei engagiert, darüber hinaus aber auch mit dem Umgang mit Menschenrechten generell dort befasst und diese im Rahmen seiner Möglichkeiten öffentlich gemacht hat. Hier hat Wilhelm gute Arbeit geleistet. Auch wenn wir uns im Laufe der Jahre selten gesehen haben, hatte ich wiederholt Gelegenheit, seine Zuverlässigkeit und sachliche Nüchternheit schätzen zu lernen. Unrecht konnte ihn ungeheuer zornig machen. Und er und seine Frau waren auch einsatzbereit, wenn es um Menschlichkeit ging, wie etwa im Fall der Frau, der unter der Folter die Nase verstümmelt wurde. Damit erwarb er sich meine Hochachtung.
Als ich vor einer Vorstandssitzung des Vereins Emek-Solidarität in seiner und Annelies damaliger Wohnung in Niedenstein übernachtet hatte, habe ich ihm einiges aus meinem Leben erzählt, so auch von meinem Berufsverbot als Lehrer. Wilhelm nahm das etwas später, als das Thema Berufsverbote in YENİ HAYAT bearbeitet wurde, zum Anlass, einen Artikel über Berufsverbot zu schreiben. Ein liebenswerter Zug an Wilhelm waren seine ärgerlichen Selbstbeschimpfungen, wenn er merkte, dass er etwas falsch gemacht hatte.
Ich kann sagen: Ich bin um einen Freund ärmer geworden.

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