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Im Prozess um den Brandanschlag in Solingen: Ermittlungsbehörden halten Informationen zurück

Seit Dezember 2024 steht Daniel S. in Wuppertal vor Gericht. In der Nacht vom 25. März 2024 hatte er vorsätzlich ein Feuer im Treppenhaus eines Solinger Mietshauses gelegt. Das Haus war von Migranten bewohnt. Eine bulgarisch-türkische Familie mit zwei Töchtern im Alter von drei Jahren und vier Monaten kam bei dem Brandanschlag ums Leben. Bis heute leugnet der geständige Täter ein rassistisches Motiv – und auch die Ermittlungsbehörden geben sich reichlich Mühe, auf eben jenes Motiv hindeutende Beweise zu unterschlagen. Warum gerade in Solingen rechter Terror niemals relativiert werden darf, zeigt ein Blick in die Geschichte.

Alev Bahadır

Am 12. Mai 2025 gaben die Nebenklagevertreter im Fall des Solinger Brandanschlags, Seda Başay-Yıldız, Simon Rampp, Athanasios Antonakis, Radoslav Radoslavov, und Fatih Zingal, eine Presseerklärung ab. Anlass waren erneut von der Polizei zurückgehaltene Beweise, die auf ein rassistisches Tatmotiv des Täters hindeuten. Bis heute beteuert Daniel S. er habe den Brand aufgrund eines „Mietstreits“ gelegt. Doch bereits im April 2024 hatte die Polizei intern einen Vermerk erstellt, der die Tat als “rechtsmotiviert” einstufte. Dieser Vermerk war nicht bekannt, weil er im Nachhinein von den Beamten handschriftlich abgeändert wurde und die Einstufung „rechtsmotivierte Tat“ so nie Eingang in die Akten fand.

“Für uns ist es ein Skandal, wie dieses Verfahren von den Ermittlungsbehörden bislang geführt wurde und dem Gericht und unseren Mandanten wichtige Informationen und Aktenbestandteile vorenthalten wurden“, so die Nebenklageanwälte in der Erklärung. Grund dafür gibt es genug. Bei einer Hausdurchsuchung in der Wohnung des Angeklagten wurden ein dutzend NS-Bücher nicht dem Täter, sondern praktischerweise seinem Vater zugeordnet und deshalb nicht in die Akten aufgenommen. Genauso will die Polizei ein rassistisches Gedicht an der Garagenwand des Täters “übersehen” haben. Festplatten, die in seiner Wohnung gefunden wurden, wurden erst auf Druck der Nebenklage ausgewertet. Darauf fanden sich NS-Propaganda und rassistische Bilder, die laut Polizei jedoch seiner Freundin gehört haben sollen. Als die Anwältin Seda Başay-Yıldız die Festplatten selbst überprüfte, entdeckte sie weitere Bilder.

Systematische Vertuschung?

Die Vertreter der Nebenklage werfen den Ermittlungsbehörden vor, systematisch Beweise für ein rassistisches Motiv zu unterdrücken. “Es gibt ein klares Muster in diesem Fall”, so einer der Anwälte. “Wann immer belastendes Material auftaucht, wird versucht, es dem Täter nicht direkt zuzuordnen oder seine Bedeutung herunterzuspielen.” So wurden etwa rassistische Chatverläufe auf dem Handy des Angeklagten zunächst als “Jugendstreiche” abgetan, obwohl sie eindeutige Drohungen gegen Migranten enthielten.

Auch die Berichterstattung über den Fall wirft Fragen auf. Während einige Medien zunächst vorschnell die These des “Mietstreits” übernahmen, ohne kritisch nachzufragen, berichteten andere ausführlich über die rechte Vergangenheit des Täters. Lokaljournalisten weisen darauf hin, dass Daniel S. bereits 2022 bei einer rechten Demonstration in Wuppertal aufgefallen war – ein Fakt, der in den offiziellen Ermittlungsakten kaum Erwähnung findet.

Eine Stadt mit tragischer Geschichte

Solingen hat eine tragische Bekanntheit. Neben dem Brandanschlag im vergangenen Jahr, wurde die Stadt im selben Jahr von einem weiteren Verbrechen erschüttert, als ein Islamist bei einem Stadtfest im Sommer drei Menschen mit einem Messer tötete und acht weitere verletzte. Doch am stärksten prägte sich Solingen durch den rassistischen Brandanschlag von 1993 ins kollektive Gedächtnis ein.

Ähnlich wie es heute der Fall ist, war auch damals die politische Stimmung im Land geprägt von rassistischen Asyl- und Migrationsdebatten. Wirtschaftliche Probleme wurden auf Asylbewerber und Migranten abgeschoben, während im gleichen Atemzug Gesetze verschärft wurden und rechter Terror ohne große gesellschaftliche Konsequenzen blieb. Zu Beginn der 90er Jahre entwickelten sich deshalb in mehreren Städten rassistische Anschläge oder gar Lynchmobs, die – teilweise unter Applaus der Anwohner und unter Duldung der Polizei – Migranten bedrohten, ihnen Gewalt antaten oder sie sogar ermordeten. Die bekanntesten Fälle waren Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Mölln und Solingen. In Solingen setzten am 29. Mai 1993 vier junge Männer ein Zweifamilienhaus, das – was sie wussten – von Migranten bewohnt war, in Brand. Fünf Menschen starben bei dem rassistischen Brandanschlag. Neben der 27-jährigen Gürsün İnce und der 18-jährigen Hatice Genç waren unter den Opfern auch drei Kinder: Gülüstan Öztürk war zwölf Jahre alt, Hülya Genç neun und Saime Genç erst vier Jahre alt. Die Täter, die teilweise Jugendstrafen erhielten, sind heute alle wieder auf freiem Fuß.

Politische Verantwortung

Nachdem der Bundestag erst wenige Tage zuvor das Asylrecht verschärft hatte, weigerte sich der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) beharrlich – wie bereits auch schon bei der Trauerfreier für die Opfer von Mölln – an der Trauerfeier teilzunehmen. Man wollte nicht in „Beileidstourismus“ verfallen, hieß es damals.

Die Tat war ein Produkt des politischen Klimas, das Rassismus und Ausgrenzung schürte. Doch statt Konsequenzen zu ziehen, nutzen Parteien Rassismus bis heute als Spaltungsinstrument.

Recherchen nach dem Anschlag von 1993 enthüllten, dass drei der vier Täter eine in der rechten Szene bekannte Kampfsportschule besucht hatten. Das “Dojo” diente als Treffpunkt und Radikalisierungsraum für Rassisten. Der Inhaber Bernd Schmitt allerdings war V-Mann des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes. Einmal mehr wird deutlich, dass es Behörden, wie der Verfassungsschutz sind, die rechte Strukturen finanzieren. Manchmal sind es eben auch Polizisten, die “keine rassistischen Poster sehen” oder Festplatten “nicht auswerten” wollen.

Der Prozess gegen Daniel S. wird voraussichtlich noch andauern. Die Nebenklage kündigte an, alle rechtlichen Mittel auszuschöpfen, um eine vollständige Aufklärung zu erzwingen. Der Umgang mit rechtem Terror wird nicht nur für die Stadt Solingen, sondern auch für die Bundesrepublik weiterhin entscheidend bleiben.

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