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In den letzten Tagen ist Syrien wieder hochaktuell

Ihsan Caralan

Genau genommen ist Syrien schon seit Monaten ganz oben auf der politischen Agenda, aber die Zusammenstöße in Cukurca, wo 24 Soldaten starben, die darauf folgenden militärischen Oparationen der Türkei um Hakkari und schließlich das Erdbeben in Van haben Syrien aus dem Blickfeld verdrängt. Wären diese Ereignisse nicht dazwischen gekommen, hätte sich Ministerpräsident Erdogan schon längst zu den Flüchtlingscamps an der syrischen Grenze begeben, die ökonomischen und politischen Maßnahmen erläutert und Syrien „zum letzten Mal gewarnt“.
Es könnte der Eindruck entstehen, als sei der Konflikt zwischen der Türkei und Syrien abgekühlt. Währenddessen haben die USA und der gesamte Westen den Druck auf Syrien ununterbrochen aufrecht erhalten. Zu guter Letzt ist es ihnen mit immensem Druck gelungen, die Arabische Liga zu bewegen, die zuvor vereinbarten Abmachungen mit Syrien aufzukündigen und sich den politischen Positionen des Westens anzuschließen.
Damit sind die Beziehungen der Arabische Liga zu Syrien auf dem gleichen Niveau, wie die der Türkei.
Die Reaktion in Syrien auf diese Entwicklungen waren Angriffe auf die Botschafts- und Konsulatsgebäude in Städten wie Aleppo, Damaskus und Latakia. Es wurden Fenster eingeworfen und die Nationalfahnen und -symbole der jeweiligen Staaten verbrannt. Dass es in einem Land wie Syrien keine vom Regime unabhängigen Aktionen der Bevölkerung geben kann, versteht sich. Die Türkei protestierte unmittelbar mit einer diplomatischen Note. Das syrische Außenministerium verurteilte in einer Veröffentlichung die Ausschreitungen und entschuldigte sich.
Bemerkenswert ist hier das Verhalten der türkischen Medien: Obwohl die Angriffe diplomatische Missionen der verschiedenen Länder zum Ziel hatten, stellt die türkische Presse es so dar, als ob nur die türkischen Konsulate angegriffen, nur die türkischen Fahnen verbrannt, nur Atatürk-Poster zerrissen worden wären. In ihrem nationalistischen Taumel würden die Medien jede Hemmung fallen lassen, wenn Einheiten der türkischen Armee gegen Damaskus marschieren würden.
Das syrische Regime ist nach den letzten Beschlüssen der Arabischen Liga zunehmend isoliert. Die Angriffe auf die diplomatischen Vertretungen lassen sich ausschließlich aus dieser isolierten Position erklären. Anders sind die quasi erlaubten, zumindest aber geduldeten Ausschreitungen nicht zu verstehen.
Ministerpräsident Erdogan wird in den nächsten Tagen die Flüchtlinge an der syrischen Grenze besuchen und die oben erwähnten Erklärungen abgeben. Es ist davon auszugehen, dass damit die Beziehungen zwischen der Türkei und Syrien abreißen, die Handelsbeziehungen gänzlich erliegen werden. Unterschiedliche Quellen behaupten sogar, dass die Türkei an der Grenze zu Syrien eine „neutrale Zone“ einrichten, die syrische Opposition unter ihren Schutz stellen und ihr ermöglichen wird diese „neutrale Zone“ als Stützpunkt für Angriffe auf das syrische Staatsgebiet zu nutzen.
Nach all den offenkundigen Bestrebungen, das Regime in Syrien zu stürzen, lässt sich die Einrichtung einer solchen „neutralen Zone“ nicht als bloße Spekulation abtun. Zumal von der Türkei seit geraumer Zeit behauptet wird, die syrische Opposition logistisch, mit Waffen und militärischer Ausbildung zu unterstützen.
Wie sich der Iran, der strategisch mit Syrien, der Hisbollah und Hamas verbunden ist, z. B. zu „neutralen Zonen“ verhalten wird, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abzusehen. Was aber sicher gesagt werden kann, ist, dass dieser oder jener Umsturzversuch des syrischen Regimes Reaktionen von Seiten des Iran, der Hisbollah und der Hamas hervorrufen und in der Region neue Spannungen verursachen wird.
Falls die Türkei so agiert, wird sie den Interessen des Iran unmittelbar gegenüber treten, sie wird zur Zielscheibe werden. In der ohnehin schon angespannten Situation würde ein solches Vorgehen die Beziehungen zwischen beiden Staaten endgültig vergiften und zu außerordentlich kriegerischen Auseinandersetzungen führen. Die Türkei wäre in der Frontstellung zum Iran.
Die westlichen Imperialisten, allen voran die USA, die seit langem bemüht sind, für die „Disziplinierung“ des Iran die Türkei zu benutzen, hätten damit ihr Ziel erreicht. Aber eine solche Entwicklung könnte auch dem iranischen Regime gelegen kommen: Denn eine „ausländische Bedrohung“ vor allem eine nahe „ausländische Bedrohung“ ist ein probates Mittel, um den Widerstand der Bevölkerung gegen das Regime zu unterdrücken.

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