Die Versuche westlicher Imperialisten, den Nahen Osten nach den Aufständen neu zu gestalten, hoben die Konflikte und Lagerbildung in der Region auf ein neues Stadium, wie es zuletzt mit dem Versuch eines Regimewechsels in Syrien an den Tag trat.
Bei dem Konflikt und der Lagerbildung dort standen die von USA und Frankreich angeführten westlichen Imperialisten mit ihrer aus der Türkei, dem Katar und Saudi Arabien sowie den reaktionären Kräften in der Region bestehenden Gefolgschaft auf der einen Seite. Auf der anderen Seite standen der Iran, die schiitische Maliki-Regierung im Irak, die Hisbollah im Libanon und hinter ihnen Rußland, wie China. Allerdings führten die Versuche der USA, die syrische Opposition unter einem Dach zu versammeln, nicht zum gewünschten Erfolg. Dies wiederum hatte zur Folge, dass die auf Konfessionskonflikten beruhende Außenpolitik der Türkei und Saudi Arabiens immer mehr in den Vordergrund trat. Aus der Sicht der AKP-Regierung war der Sturz des alevitischen Assad-Regimes in Syrien die Voraussetzung dafür, dass die Türkei die Führung der islamischen Welt übernehmen kann. Im Kampf gegen das Assad-Regime erleichterte ihre Politik die Rekrutierung von Kämpfern aus aller Welt. Die unvermeidbare Konsequenz dieser Politik war es jedoch, dass Dschihadisten die Führung der Opposition in Syrien an sich reissen konnten. Der von ausländischen Al-Qaida-Kämpfern gegründete ISIS wurde innerhalb kürzester Zeit so stark, dass sie alle anderen Gruppen gegen sich aufbringen konnte. Da wirft sich die Frage auf, wer der größte Unterstützer der ISIS ist, der im Grenzgebiet zur Türkei die Macht hat und dessen Führer hauptsächlich Tschetschenen sind? Die Antwort darauf ist eindeutig. Es ist das Land, das die Erstürmung seines Konsulats in Mosul nicht als eine Bedrohung für sich sieht.
Auch wenn man es offiziell bestreitet, gibt es unzählige Belege dafür, dass die Türkei die ISIS unterstützt. Nach Medienberichten wird darüber verhandelt, dass die entführten Konsulatsmitarbeiter gegen die in der Türkei inhaftierte ISIS-Kämpfer ausgetauscht werden sollen.
Andererseits sind die aktuellen Entwicklungen im Irak ebenfalls die unvermeidbare Konsequenz ihrer Interventionspolitik in Syrien. Der Irak ist das schwächste Glied bei den Konflikten und der Lagerbildung in der Region. Nach dem Einmarsch der USA wurden im Irak die Konflikte zwischen Kurden sowie der schiitischen und sunnitischen Araber nicht gelöst. Der Konfessionskonflikt fand seine Zuspitzung im Kampf zwischen der schiitischen Maliki-Regierung und dem früheren sunnitischen Stellvertreter des Staatspräsidenten, Tarek Hashemi. Bekanntlich hatte sich die Türkei in diesem Kampf auf die Seite von Hashemi geschlagen und ihm Asyl gewährt. Die AKP-Regierung hält heute an ihm fest. Vorkämpfer der von ihm angeführten Terrororganisation sind frühere Geheimdienstler von Saddam.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Hashemi die Erstürmung Mosuls durch die ISIS begrüßt und wie dieser militärische Erfolg erreicht werden konnte. Denn für die Sunniten im Irak stellt die ISIS die Kraft dar, die sie von der schiitischen Maliki-Regierung befreien kann. Maliki dagegen versucht die Einnahme Mosuls durch die ISIS zu nutzen, um die Unterstützung des Westens und seine schwindende Autorität wieder zu verstärken.
Welche Rolle spielen die Kurden bei diesen Entwicklungen? Die neu entstandenen Kräfteverhältnisse hatte sie zu einem wichtigen Faktor gemacht. Im Zuge der Entwicklungen in Rojawa hatte sie die Führung übernommen und sich dafür entschieden, den Konflikten fernzubleiben, um somit ihre demokratische Zukunft aufzubauen. Infolge der Annäherung der Barzani-Führung im kurdischen Autonomiegebiet im Nordirak an die Türkei ging die Möglichkeit für ein gemeinsames Vorgehen der Kurden verloren. Barzani vertritt die Ansicht, dass der Weg zu einem unabhängigen Kurdistan über die Türkei führt und arbeitet seit Jahren im Kampf gegen die PKK-PYD mit der Türkei zusammen.
Allerdings müssen heute, wo die ISIS zu einer großen Gefahr herangewachsen ist, die kurdischen Karten neu gemischt werden. Dass kurdische Peschmerga-Einheiten in Zusammenarbeit mit der Armee der Zentralregierung gegen die ISIS kämpfen und dass die PKK ihre Zusammenarbeit angeboten hat, kann als ein Schritt interpretiert werden, wonach interne kurdische Konflikte verschoben wurden. In dem Maße, in dem sie ihre internen Konflikte gelöst haben, werden die Kurden bei dieser Gleichung auf der Seite der Gewinner stehen. Ein anderer wichtiger Faktor in dieser Gleichung ist natürlich die USA, die ihre Flugzeugträger in den Persischen Golf entsendet hat.
Yusuf Karataş