Written by 13:24 HABERLER

Islamophobie und Provokation

„Islamophobie und Provokation“. Diese beiden Begriffe gehören wohl zu den meist verwendeten Begriffen in den AKP- und regierungsnahen Medien im Zusammenhang mit den Anschlägen auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ und auf die Geiselnahme im jüdischen Supermarkt in Paris. Beide Anschläge von Dschihadisten gehen auf das Konto von Al-Qaida, die bei ihren Aktionen stets auch jüdische Ziele aussucht.
Auf den ersten Blick scheint das vielleicht auch plausibel. Denn das brutale Massaker wurde just zu einer Zeit verübt, in der in Europa faschistische Kreise ihre Bemühungen verstärkt haben, auf der Grundlage von Fremden- und Islamfeindlichkeit neue Kräfte zu bündeln. Es ereignete sich zugleich zu einer Zeit, in der sich in vielen Ländern Europas, vor allem in Deutschland fortschrittliche, demokratische und antifaschistische Kräfte allmählich zum gemeinsamen Kampf zusammenschließen. Deshalb nutzen die Anschläge am meisten den faschistischen Kreisen und den reaktionärsten Kräften in Europa, die sich für den Abbau von Freiheitsrechten und für eine unterdrückte Gesellschaft stark machen. Den größten Schaden tragen demokratische, fortschrittliche und antifaschistische Kräfte davon.
Zusätzlich haben die Anschläge zu einem Erstarken der „Islamophobie“ beigetragen.
Die regierungsnahen Medien und die AKP-Propaganda reißen diese wahren Feststellungen aus ihrem Zusammenhang heraus und stellen anschließend die klassische Frage: „Wer ist der Mörder?“ Ihre Antwort haben sie parat: „Der Mörder ist derjenige, der den größten Nutzen daraus zieht.“ Dieser Logik folgend werden die Morde den rassistisch-faschistischen Kreisen, die die „Islamophobie“ verstärken wollen, der CIA, dem MOSSAD, dem französischen „tiefen Staat“ etc. angelastet oder als eine Provokation bezeichnet, mit der man die öffentliche Meinung zu manipulieren versuche. Der Kolumnist der Zeitung „Akşam“, Ufuk Ulutaş, geht sogar so weit und schreibt unter der Zwischenüberschrift “Je ne suis pas Charlie Hebdo” (Ich bin nicht Charlie Hebdo): „…Wie bei den früheren Anschlägen kamen auch jetzt aus der islamischen Welt Erklärungen, in denen man sich ‚entschuldigt‘. (…) Wenn ein in der Türkei lebender Moslem die Botschaft verbreitet: ‚Ich bin zwar ein Moslem, verurteile jedoch diesen Anschlag‘, macht das doch keinen Sinn…“ Er drückt das aus, was bekannte Gesichter in den Reihen der AKP sich nicht offen trauen, auszusprechen.
Ferner muss man sehen, dass es auf die Frage nach dem Mörder zwei Antworten gibt. Denn diejenigen Kräfte, die die „Islamophobie“ verstärken wollen, sind nicht ausschließlich die reaktionärsten, faschistischen und rassistischen Kreise im Westen. Auch Kräfte wie der IS, die im Nahen Osten wie Pilze aus dem Boden schießen, fördern die Islamfeindlichkeit, wenn sie den TV-Sendern oder youtube Videos von Hinrichtungen zuspielen und dabei ihre Ziele von einer vom Islam regierten Welt verkünden. Darüber hinaus erhoffen sich die Regierungen in vielen islamischen Ländern einen politischen Nutzen, wenn sie angebliche Spannungen mit Israel vorweisen und damit angeblich dieselben Ziele wie die Dschihadisten verfolgen.
Deshalb wäre es richtiger, wenn man feststellt, dass die letztere Antwort auf die Frage nach dem Mörder den wahren Täter zeigt und dass die westlichen Kreise, die die „Islamophobie“ schüren, sich eher dieser Vorlage bedienen.
Natürlich kann man hier auch die Frage stellen, ob die Interventionen des Imperialismus im Mittleren Osten, die dadurch verursachte Armut und Unterdrückung in der Region, seine Versuche, die kollaborierenden reaktionären Diktaturen, Königreiche, Scheichtümer mit allen möglichen Mitteln an der Macht zu erhalten, keinen Beitrag zu diesen Anschlägen leisten.
Und die Antwort drauf ist: Sicherlich leisten sie ihren Beitrag dazu. Sie sind die Quelle, aus der sich dieser brutale Terror nährt. Ferner waren es die Imperialisten selbst, die diese islamistischen Organisationen gegründet, gefördert und unterstützt haben. All dies kann jedoch nicht zum Grund für die blutigen Massaker von heute erklärt werden. Diese Argumentation mit dem „Imperialismus“ würde auch nichts an der Tatsache ändern, dass die dschihadistische Haltung eine Strömung innerhalb des Islam ist. Sie kann und darf die Dschihadisten nicht zu „unschuldigen Opfern“ machen. Wer sie als „Unschuldige“ darstellt, macht sich selbst schuldig und mitverantwortlich.
Vor wenigen Tagen stellte der Theologe İhsan Eliaçık in einem Interview in unserer Zeitung einige Fragen an diejenigen, die permanent behaupten, ein wahrer Moslem würde keine Terrortaten verüben, der Islam und der Terror seien nicht miteinander vereinbar. Er fragte, ob es „Westliche“ oder Muslime waren, die drei der ersten vier Kalifen ermordeten und sagte: „Waren denn das Osmanische Reich oder die Abbasiden-Dynastie nicht Staaten, in denen blutige Machtkämpfe herrschten und Menschen unterdrückt wurden?“
Diejenigen, nach deren Ansicht der Islam unvereinbar mit dem Terror ist und für die Bluttaten nicht verantwortlich gemacht werden darf, blenden diese Tatsachen aus. Wenn sie bei ihrer Behauptung nicht ihr Wunschdenken ausdrücken, stellen sie sich an die Seite von IS, Al-Qaida und anderen dschihadistischen Gruppen, die sich das Recht nehmen, für die Verbreitung islamischer Botschaften unschuldige Menschen abzuschlachten.
Dies wiederum ist ein Umstand, der nicht mit dem Vorwand „Islamophobie“ oder „Provokation“ unter den Teppich gekehrt werden kann.

İhsan ÇARALAN

 

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