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JUGEND OHNE PERSPEKTIVE

Sedat Kaya
Sie sitzen in Treppenhäusern, „hängen ab“ auf Parkbänken oder sammeln sich vor Supermärkten – ohne Schulabschluss, Ausbildung oder einer anderen Zukunftsperspektive ist der Zugang zu Drogen und Kriminalität für tausende Jugendliche in Deutschland zum Selbstläufer geworden.
Dies bestätigt nun auch eine Studie der Vodafone-Stiftung. Demnach fallen zunehmend junge Menschen beim Übergang zum Erwachsenwerden durch das staatliche Jugend- und Sozialhilfenetz. Schätzungen des Deutschen Jugendinstituts zufolge liegt die Zahl der sogenannten „entkoppelten Jugendlichen“ und „Crash-Kids“ inzwischen bei mehr als 20000. Viele der Betroffenen kämen aus belasteten Familien oder problematischen Lebenslagen, sagte Birgit Reißig vom Deutschen Jugendinstitut bei der Präsentation der Studie. Die Studie stellt eindeutig ein Armutszeugnis der Bildungs- und Sozialpolitik in Deutschland dar, die ihrem eigenen Anspruch von „Kein Kind darf verloren gehen“ nicht gerecht werden kann.
Die Perspektivlosigkeit für Kinder und Jugendliche in Deutschland nimmt immer stärker zu. Laut zweier ebenso aktuellen Studien der Bertelmanns-Stiftung sind rund 2,6 Millionen unter 15 jährige von Armut betroffen. Der Verzicht und Mangel an gesellschaftlicher Teilhabe gehört zum Alltag von fast einem Viertel aller Kinder in Deutschland. Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung hat. Für eine vierköpfige Familie ist das derzeit 1.848 Euro pro Monat. In der BRD wachsen 2,1 Millionen Kinder unter 15 Jahren, rund ein Fünftel, in Haushalten auf, die mit weniger auskommen müssen. Knapp eine Million von ihnen bekommt Transferleistungen nach Hartz IV. Eine von Hartz IV lebende Alleinerziehende mit einem Kind unter sechs und zwei Kindern unter 14 Jahren muss beispielsweise mit 1.167 Euro ihr Familienleben inklusive aller Ausgaben bestreiten. Die Eltern von weiteren 1,15 Millionen Kindern schlagen sich mit schlecht bezahlten Jobs durch. Dazu kommt noch knapp eine halbe Million unter 15jähriger, deren Eltern durch Arbeit und »Aufstocken« mit Hartz IV knapp über die Armutsgrenze kommen.

Kino- oder Schwimmbadbesuche, das Erlernen eines Musikinstruments oder Urlaub bleiben für die meisten dieser Familien unerfüllte Wünsche, wenn man sich denn überhaupt noch das Busticket leisten kann und deswegen eher zuhause bleibt. Bei Kindern und Jugendlichen, die unter diesem Umständen aufwachsen, sind Probleme bei der Sozialisation und dem Übergang in ein selbständiges Leben innerhalb der Gesellschaft vorprogrammiert. Die Bundesregierung aber zieht aus solchen Fakten wieder einmal keinerlei Konsequenzen. Im Gegenteil, mit Schuldenbremse und der „Schwarzen Null“ werden die Mittel für soziale Hilfeleistungen erheblich gekürzt und mit harten Sanktionen und Maßnahmen wie Jugendvollzug und Arrest wird die Situation von Tag zu Tag verschärft.
Die Ursache für diese Problematik ist nicht innerhalb der Familien zu suchen. Kein Elternteil hat ein Interesse daran, dass ihr Kind in Drogen und Kriminalität abrutscht. Es sind die ökonomischen Verhältnisse, die die Familien an der Rand der Gesellschaft drängen und somit die Teilhabe der Jugendlichen am gesellschaftlichen Leben verhindert. Über 300.000 Jugendliche bleiben jedes Jahr ohne Ausbildungsplatz. An ein Studium ist aufgrund der finanziellen Mängel kaum zu denken.
Die Bundesregierung treibt diese Politik aktiv voran. Während man auf der einen Seite die Steuern auf Kapitaleinkünfte und Unternehmensgewinne senkt, bleiben die Löhne und Einkommen jahrelang gleich oder sinken. Zusätzlich wurden durch „Reformen“ wie im Rahmen der Agenda 2010 und Hartz IV immer mehr Menschen in Armut gedrängt. Während die obersten zehn Prozent der Bevölkerung nun mehr als 60 Prozent des gesamtgesellschaftlichen Vermögens besitzen, verarmen große Teile der Gesellschaft immer weiter. Damit zeigt die Bundesregierung, dass sie eine Politik im Interesse der Banken und Konzerne betreibt, statt einer Politik im Interesse der Mehrheit der Gesellschaft und der Jugend. Statt in Kriegseinsätze und Bankenrettung, muss das Geld wieder der Gesellschaft zu Gute kommen.

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