In der letzten Ausgabe der Zeitung haben wir uns den Tarifabschluss der Metall- und Elektroindustrie angeschaut. Die IG Metall hat einen Abschluss erzielt, bei dem bei einer Laufzeit von 25 Monaten die Löhne im Schnitt um 2,35% steigen. Dies bedeutet für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie erneut einen Reallohnverlust. Vor allem der Kampf der Jugend für eine überproportionale Erhöhung der Ausbildungsvergütung gibt Hoffnung. Denn die Jugend hat sehr entschlossen und geduldig sowohl innerhalb der IG Metall, als auch auf den Straßen ihre Forderungen eingebracht.
Demir Yildirim
Mit dem Tarifabschluss wurde auch eine sogenannte „Sozialpartnererklärung für den Industriestandort“ abgegeben. In dieser Erklärung stellen Gesamtmetall und IG Metall fest, dass der Industriestandort in einer strukturellen Konjunkturkrise sei und rufen die Politik zum Handeln auf. Sie fordern die Bundesregierung dazu auf, mehr Verlässlichkeit bei Subventionen für Unternehmen und Infrastruktur zu bieten. Außerdem fordern sie bezahlbare Stromkosten für die Industrie. Auch zur Bundestagswahl und zu den Koalitionsverhandlungen im Februar möchte die IG Metall unter der inhaltlichen Klammer „Industrie, Sozialstaat, Demokratie – Weil das jetzt zählt!“ in Frankfurt, Leipzig, Stuttgart, Hannover und Köln zu großen Protesten aufrufen.
Es gibt kein „Wir“ mit den Arbeitgebern
Damit versucht sie nicht nur den Eindruck zu erzeugen, sondern sie gibt es offen zu: In Teilen sollen, laut IG Metall Spitze, Beschäftigte und Arbeitgeber die selben Interessen teilen. Damit erzeugen sie ein gewisses „Wir“ welches es in Klassengesellschaften gar nicht geben kann. Die objektive Interessenslage des deutschen Kapitals und der Arbeiterklasse ist mehr als eindeutig. Sie stehen mit ihren Interessen im direkten Gegensatz zueinander.
Dieses „Wir“ verschleiert den Interessensgegensatz und reiht sich ein in die Politik des Nationalismus. Denn Standortpolitik, wie sie aktuell, vor allem von den Industriegewerkschaften betrieben wird, soll die Beschäftigten hinter die Interessen des Kapitals locken und sie von ihren eigenen objektiven Interessen und Kämpfen entfernen.
In der internationalen Konkurrenz nicht mehr Durchsetzungsfähig: Beispiel Volkswagen
Doch bevor wir uns weiter die Standortpolitik der Gewerkschaften anschauen, macht es Sinn sich exemplarisch für die gesamte deutsche Industrie den Konzern Volkswagen anzuschauen. Denn die deutsche Industrie gerät zunehmend unter Druck. Nacheinander melden Industriekonzerne massiven Stellenabbau. So endet in den Stunden, in denen dieser Artikel geschrieben wird, die Friedenspflicht bei Volkswagen. Ab da sind Warnstreiks angekündigt von der IG Metall. VW ist ein Beispiel von vielen, welches offenlegt, in welcher Situation das deutsche Kapital sich wirklich befindet.
VW ist nicht an dem Punkt, dass es rote Zahlen schreibt oder morgen bankrott gehen würde. Ganz im Gegenteil: Die letzten Jahre haben die Kassen bei VW vollgespült. 137 Milliarden Euro Gewinnrücklagen und 4,5 Milliarden Euro Ausschüttung an Dividenden. Nun wollen sie Lohnkürzungen um 10 % und Werksschließungen. Es fehle eine Summe von 5 Milliarden Euro. Alleine seit 2016 erhielt der VW Konzern staatliche Subventionen in Höhe von 9,1 Milliarden Euro. Und das zeigt auch: Durch Subventionen schützt man keine Arbeitsplätze. Wenn die Konzerne wollen, dann kündigen sie jede Vereinbarung auf. Dagegen braucht es nur den Kampf der Beschäftigten.
Im April 2023 wurde dann gemeldet, dass zum ersten Mal seit Jahrzehnten Volkswagen nicht mehr das größte Stück auf dem chinesischen Markt bekommen hat. Die chinesische Konkurrenz BYD hatte einen enormen Zuwachs von 68 %, mit knapp einer halben Million verkauften Autos für das erste Quartal 2023. Dagegen schrumpfte der Marktanteil von VW um 14% auf 428.000 PKWs. Auch wenn sich die Zahlen danach wieder mäßig erholt haben, dürfte der Aufstieg chinesischer Automarken weitergehen.
VW versucht mit weiteren Investitionen den Spieß noch umzudrehen. Während die Beschäftigten in Deutschland den Gürtel enger schnallen sollen, investiert VW weitere 2,5 Milliarden Euro in China. Das zeigt auch wo es den Konzern eigentlich am Schuh drückt: VW gerät unter die Räder der internationalen Konkurrenz und versucht diese Konkurrenz nun auf die Beschäftigten abzuwälzen.
Doch die Standortpolitik kam nicht plötzlich. Schon vor dem Gewerkschaftstag in 2023 mobilisierte die IG Metall zehntausende Beschäftigte auf die Straßen für einen Brückenstrompreis für die Stahlindustrie. Teilweise liefen die Vertreter der Arbeitgeberverbände stolz mit. Was gibt es besseres, als Beschäftigte die von der Politik für das Unternehmen mehr Geld verlangen. Die Kampagnenvideos propagierten „heimische Wirtschaft“, „keine Spaltung zwischen Belegschaft und Industrie“ und vieles mehr.
Nun hilft dieses Vorgehen weder bei Volkswagen, welches seit Jahrzehnten subventioniert wurde, noch beim Stahlhersteller Thyssen Krupp. 550 Millionen Euro erhielt Thyssen Krupp für die Transformation an Subventionen.
11 Punkte Papier
Standortpolitik ist jetzt bei der IG Metall Programm. Die IG Metall veröffentlichte mit den größten Gesamtbetriebsräten aus der Branche ein gemeinsames Papier mit 11 Punkten. In den einleitenden Worten heißt es, dass China eine aggressive Innovations- und Industriepolitik betreibt. Die USA belebe die US- Amerikanische Wirtschaft mit dem breitangelegten Konjunkturprogramm „Inflation Reduction Act“.
Hier legen Betriebsräte und IG Metall Spitze offen, um was es ihnen wirklich geht: Den globalen Wettbewerb im Sinne der deutschen Konzerne zu gewinnen. Dabei sind sie die Vertreter der anderen Seite, der Beschäftigten. In der internationalen Konkurrenz kann es weder den chinesischen, noch den deutschen Arbeiter interessieren, ob die Monopole in seinem Land sich in der internationalen Konkurrenz durchsetzen oder eben zurückbleiben. Entsprechend ist es auch nicht die Aufgabe der Gewerkschaften die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Konzerne zu bewahren und auszubauen. Eben weil sie nunmal zu Lasten der Arbeiterklasse weltweit geht.
Im Papier werden verschiedene standortpolitische Forderungen aufgestellt, wie die Förderung von Elektromobilität oder einem Industriestrompreis. Zuletzt hatte die Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, ein Sondervermögen in Höhe von 600 Milliarden Euro gefordert für die Industrie. Damit erweist die Gewerkschaftsführung der deutschen Industrie einen Bärendienst. Sie ist maßgeblich geprägt durch die Sozialdemokratie, die weiterhin einen massiven Einfluss auf die Gewerkschaften hat.
Die andauernde Angstmacherei hinterlässt auch seine Spuren bei den Kollegen im Betrieb. Sie übernehmen die Positionen aus der medialen Berichterstattung und der sozialdemokratischen Gewerkschaftsspitze. Weder beim Tarifabschluss, noch zum 11 Punkte Plan gibt es Stimmen, die das konsequente Interesse der Beschäftigten verfolgen. Auch schafft es der kämpferische Teil nicht breite Debatten in den Betrieben anzustoßen.
Die Beschäftigten brauchen ihre eigenen 11 Punkte
Einige Teile des Programms scheinen auch gut zu sein. Spitzensteuersatz, Rente etc. Der Spitzensteuersatz soll dafür genutzt werden, um öffentliche Infrastruktur auszubauen. Doch darf man sich keiner Illusion hingeben: Hier fordert die IG Metall keine Investitionen in Gesundheit und Bildung für die Beschäftigten, sondern Investitionen, die der deutschen Industrie helfen.
Es kommt jetzt drauf an, bis zu den Aktionen der IG Metall, wo sie hunderttausende Beschäftigte für die Interessen der Arbeitgeber auf die Straßen bringen wollen, die Diskussion in den Betrieb anzustoßen. Und dem ein 11-Punkte-Programm entgegenzusetzen, in dem der Strompreis für die Beschäftigten gedeckelt wird, Investitionen für Bildung und Gesundheit getätigt werden und vieles mehr.