Ihsan Caralan
Nach jeder zwischenstaatlichen Anspannung zwischen der Türkei und Israel greifen alle liberalen, proamerikanischen und pro-israelischen Kräfte sofort zu dem populistischen Argument, es sei nicht richtig, dass die einzigen beiden demokratisch regierten Staaten im Nahen Osten miteinander streiten würden! Auch während der letzten Anspannung zwischen den beiden Staaten wurde dieses Argument wiederholt aufgerollt.
Wie der Staat Israel, der nach den Gesetzen der Thora regiert wird und in welchem die „zionistische Scharia“ an der Macht ist, mit seinen nicht-jüdischen Staatsangehörigen umgeht und sie unterdrückt, ist bekannt. Jeder weiß auch, dass die Palästinenser in diesem Land immer wieder Opfer eines „Genozid“ werden. In diesem Zusammenhang darf und muss natürlicherweise auch die Demokratie in Israel in Verbindung mit den tatsächlichen Menschenrechten und Freiheiten und in Bezug auf die Ungleichbehandlung und Diskriminierung der Menschen hinterfragt werden. Und sollte die Anspannung zwischen der Türkei und Israel weiter andauern, können wir fest davon ausgehen, dass sogar diejenigen Kräfte in der Türkei und der Welt, die Israel als ein demokratisches Land im Nahen Osten neben der Türkei proklamieren und dieses Argument ständig hervorheben, in ihrer Berichterstattung das wahre Gesicht des israelischen Staates deutlich zeigen werden, in dem sie über ihre antidemokratische Vorgehensweise berichten müssen. Hierbei würde auch unwiderlegbar bewiesen werden, dass das demokratisch proklamierte Regime in Israel eine oberflächlich-flüchtige Erscheinung darstellt und diese Demokratiephrase auf den israelischen Staat künstlich zugeschnitten ist.
Auch bei einer näheren Betrachtung der Türkei würden wir nicht zu einem anderen Ergebnis gelangen. Denn hier ist die Lage noch offenkundiger.
Obwohl in diesem Land praktisch 15 bis 20 Millionen Kurden, ihrer „nationalen Identität“ gesetzlich verwährt nicht anerkannt, leben, war noch bis vor einigen Jahren sogar die kurdische Sprache verboten. Die Glaubensfreiheit der 8 bis 10 Millionen Aleviten in diesem Land ist nicht staatlich anerkannt, die Freilassung der gewählten, inhaftierten Volksvertreter und Abgeordneten des Türkischen Parlamentes hängen von der Willkür der Regierung ab. Nach Lust und Laune verbietet die Polizei Massenproteste und Massenaktionen und stellt diese willkürlich als illegale Aktionen dar. Trotz dessen wird die Türkei „als ein demokratischer und laizistischer Staat“ dargestellt und diese Propaganda vorangetrieben.
Die Studie der AP macht deutlich, dass nach dem Terrorangriff auf das World Trade Center in den USA am 11. September auf der ganzen Welt “die Antiterrorgesetze” verschärft wurden und die Zahl der Inhaftierungen in diesem Zusammenhang anstieg.
In dieser Studie wird erklärt, dass nach dem 11. September weltweit insgesamt 119044 Terrorverdächtige festgenommen und von diesen insgesamt 35117 Personen zu Haft- und Freiheitsstrafen verurteilt wurden!
In dieser Zeit wurden in der Türkei 12879 Personen zu einer Freiheitsstrafe und als Terrorist verurteilt. Diese Leistung katapoltiert die Türkei auf dem direkten Wege zum ersten Platz. Auf Platz zwei in dieser Liste kommt mit 7000 Vehaftungen China, in dem 1,5 Milliarden Menschen leben.
Das bedeutet also im Klartext, dass ein Drittel der als Terroristen verurteilten in der Türkei leben! Und ist das eigentlich normal? Insbesondere in einem Land, wo behauptet wird, es herrsche hier Demokratie, wo die Bürger des Landes das Recht der freien Meinungsäußerung innehaben oder die Freiheit genießen, die Regierenden abzuwählen? Kann es denn wirklich sein, dass ein Drittel der weltweit wegen „Terrorverdacht“ Verurteilten aus diesem Land stammt. Wie auch immer, nach derselben Studie betrug die Anzahl der Terrorverdächtigen und Verurteilten im Jahre 2005 273, im Jahre 2009 bei 6345 Verurteilten.
Was bedeutet das nun? Entweder ist die Anzahl der Terroristen in diesem Land auf einmal um das zigfache angestiegen oder es wurde durch die Gesetzesänderung der Weg dafür geebnet, alle politischen Aktionen und Aktivitäten als „Terrordelikt oder Terrortatbestand“ einzustufen, die vor dieser Gesetzesänderung gewöhnlich als legal und legitim galten und nicht als strafbare Handlung galten. Es wäre also möglich, jede oppositionelle Haltung als „Terrordelikt“ einzustufen und die Oppositionellen zu verhaften! Der Justizminister der Türkischen Republik hat ja auch damit einhergehend und im Zusammenhang mit den inhaftierten 62 Journalisten insbesondere betont: „Es befinden sich unter den Verurteilten keine 62 Journalisten in den Gefängnissen. Es sind lediglich nur 4 Journalisten, die inhaftiert sind und in Gefängnisse gesteckt wurden. Der Rest ist deswegen verurteilt und inhaftiert worden, weil sie „Terror- und andere Delikte“ verwirklicht haben.“
Diese Studie der AP macht mit diesen ins Auge stechenden Zahlen auch deutlich, dass die Gesetze in der Türkei jederzeit in der Lage und dazu bestimmt sind, jede politische Betätigung als „Terrordelikt“ einzustufen. Und des Weiteren sind die Inhaftierten in den KCK- und Ergenekon-Prozessen, die „innerstaatliche Bandenmitgliedschaften“ umfassen, aber dennoch nicht mit diesen in Verbindung stehen, mit der selben Gemütlichkeit verurteilt worden, wie des „Terrors“ Verdächtigte. Die Gerichte schaffen es, durch außergewöhnliche Methoden, die Verhandlungen und Prozesse und damit einhergehend die Fristen der Untersuchungshaft zu verlängern und aus der U-Haft praktisch eine Strafe umzudeuten.
Nun denn, ein Drittel aller Terrorverurteilten sind in der Türkei also zu Gefängnisstrafen verurteilt. Kann man denn in solch einem Fall, solch ein Land, lassen wir mal die Phrase der „fortschrittlichen Demokratie“ beiseite, als ein „normales“ oder „mehr oder minder als ein demokratisches Land“ bezeichnen?
Wenn das der Fall sein sollte, dann nur unter der Bedingung, dass diese Demokratie eine sich einzig und allein nach „den Normen des Nahen Ostens“ richtende Demokratie sein kann.
Wenn das unser Anspruch sein sollte, dann kann das zionistische Regime in Israel als eine „Demokratie“ bezeichnet werden. Aber sowohl in der Türkei, als auch in Israel kann nicht von einer wahren Demokratie geredet, geschweige denn ausgegangen werden.
* Übersetzt von Özgür Demirel
Welchen Platz belegen wir in Bezug auf Demokratie?
Eine internationale Studie der amerikanischen Nachrichtenagentur AP hat bemerkenswerte Ergebnisse hervorgebracht. Die Studie zeigt deutlich, dass seit dem 11. September 2001, dem Tag, an dem der Anschlag auf das World Trade Center in den USA stattfand, die Strafgesetzte weltweit verschärft wurden und die Verhaftungen zugenommen haben. In der Studie wird gesagt, dass seither weltweit insgesamt 119044 Menschen verurteilt wurden, davon sind 35117 Menschen mit terroristischen Tatbeständen verurteilt worden. Für die Studie wurde in 66 Ländern die jeweilige Anzahl von „verhafteten Terroristen“ ermittelt. Die Einwohner dieser 66 Länder machen ca. 70% der Weltbevölkerung aus. Den ersten Platz nahm dabei die Türkei mit sage und schreibe 12897 Verurteilungen ein. Interessant hierbei ist, dass der Höhepunkt der Verhaftungen und Verurteilungen nach 2006 zu verzeichnen ist, also in einer Zeit, in der die Regierungspartei „Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“ (AKP) lautstark verkündete, dass „wir in eine Phase der fortschrittlichen Demokratie eingetreten“ seien.
In der Türkei wird die Kurden-Frage gleich gesetzt mit einem „Terrorproblem“, jegliches Engagement für demokratische Rechte wird als eine „terroristische Straftat“ gesehen, die Gefängnisse sind voll mit Menschen, die eine Haftstrafe bekommen haben wegen der Anschuldigung „Mitglied einer terroristischen Organisation zu sein“, „Propaganda für eine terroristische Organisation zu machen“, „eine terroristische Organisation zu unterstützen oder mit dieser zu sympatisieren“ oder weitere ähnlich lautende Straftaten. Die konkreten Beschreibungen der Straftaten lesen sich dann wie folgt: „Polizisten mit Steinen bewerfen“, „eine Erklärung auf kurdisch verkünden“, „Teilnahme an einer Kundgebung“, „Transparente tragen“ usw. Unter den Verhafteten gibt es zahlreiche Jugendliche, die sich für ihre demokratischen Rechte einsetzten und viele Journalisten, deren Artikel oder Berichterstattung als Beweise für eine „Mitgliedschaft einer terroristischen Organisation“ galten. Die Bestrebung der türkischen Regierung, in Person von Recep Tayyip Erdogan, die Kurden-Frage gewaltsam zu unterdrücken, mit der gleichzeitigen Behauptung, „die Türkei sei eines der demokratischsten Länder der Welt“, hat die Türkei zu einem Land mit den meisten Verhafteten gemacht.