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„Kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun: Selber tun!“

 

Interview mit Arnold Schölzel, Chefredakteur der Tageszeitung Junge Welt

Was bezweckt Ihr seit 21 Jahren mit der Rosa-Luxemburg Konferenz?
Die Grundidee der Konferenz ist: Über den nationalen Tellerrand der deutschen Linken hinaussehen. Uns geht es um Erfahrungen kämpfender linker Kräfte auf allen Kontinenten, um Informationen und Bewertungen aus erster Hand, um Niederlagen und Erfolge. Europäische Länder spielen dabei eine wichtige Rolle, aber mindestens ebenso wichtig war für die Konferenzen in den vergangenen 20 Jahren das Geschehen in Lateinamerika, insbesondere auf Kuba. Die Linke ist nichts, wenn sie nicht internationalistisch ist und daher bemühen wir uns um Rednerinnen und Redner, die möglichst an führender Stelle ihrer jeweiligen Partei oder Gewerkschaft stehen. Ähnliches bietet aus unserer Sicht keine andere Konferenz in der Bundesrepublik an und das erklärt sicher auch ihren Erfolg. Weil wir in Zeiten weltweiter imperialistischer Kriege leben, ist der Kampf dagegen stets ein Schwerpunkt der Konferenzen. Die abschließende Podiumsdiskussion befasst sich traditionell mehr mit dem Zustand der linken Kräfte in der Bundesrepublik – ein häufig sehr kontroverses Thema.
Kann die Konferenz konkrete und praktische Perspektiven für die deutsche/europäische Linke bieten, vor allem im Hinblick auf den wachsenden Rechtsruck in Europa?
Es geht um Erfahrungsaustausch. Das Wichtige und in dieser Mischung einmalige an der Konferenz ist aus meiner Sicht das, was auf ihr über die jeweiligen Kampfbedingungen in den verschiedenen Ländern zu hören ist. Es ist ein großer Unterschied, jemanden zu hören, der selbst im politischen Kampf steht, oder einen journalistischen, solidarischen Artikel zu lesen. Wir haben stets ein breites politisches Spektrum von Referenten, darunter sind Sozialisten und Kommunisten, Wissenschaftler und Politiker, Gewerkschafter und Aktivisten von Jugendverbänden. Das Ziel der Konferenz ist nicht, Erklärungen oder Programme zu verabschieden, sondern vor allem Mut zu machen, vom Beispiel anderer zu lernen, etwas von dem Verbindenden zu spüren, das die Kräfte des Friedens, der Demokratie und der Kämpfer für Sozialismus weltweit zusammenbringt. Insofern glaube ich, daß diese Konferenz immer wieder neue Perspektiven eröffnet, die aber nicht in Manifesten festgehalten werden. Zum Mutmachen gehört aus unserer Sicht übrigens auch die revolutionäre Kultur aller Länder und Zeiten – von Musik bis zu Literatur und bildender Kunst.
Der Rechtsruck in Europa, das Wiederaufleben von Faschismus und Nationalismus, die imperialistische Kriegspolitik von NATO und EU, die rechte Gewalt gegen Migranten, aber auch die staatliche Unterdrückung sozialistischen Denkens und Handelns stehen im Zusammenhang miteinander. Wir halten die Schaffung einer breiten Friedensbewegung für das wichtigste Kettenglied linker Politik heute, denn der Kampf für den Frieden schließt den Kampf gegen Rassismus und Faschismus und den Kampf für die Beseitigung des Kapitalismus und für den Sozialismus ein.
Welche Schwerpunkte hat die XXI. Konferenz 2016? Was ist im Programm?
Das Motto ist in diesem Jahr dem Text der „Internationale“ entlehnt: „Kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun: Selber tun!“ Angesichts der bereits laufenden Kriege, angesichts der Gefahr eines Weltkrieges, angesichts des Vormarsches von Rassisten und Faschisten ist in diesem Jahr aus unserer Sicht mehr denn je klar: Nur das Zusammenführen der Linken, ihrer Organisationen und Strömungen und nur das Bündnis mit allen Kräften, die gegen den Krieg eintreten, kann dieser Entwicklung Einhalt gebieten. Die kapitalistische Gesellschaft ist nicht mehr nur in einer Finanz- und Wirtschaftskrise. Die ist umgeschlagen in eine gesamtgesellschaftliche Krise. Dagegen steht unter anderem das Beispiel Kuba. Wir freuen uns sehr, in diesem Jahr drei Gäste von der Insel der Revolution begrüßen zu können, darunter den Kundschafter Gerardo Hernández, der 16 Jahre in einem US-Gefängnis saß. Die Fraktionschefin der Linken im deutschen Bundestag, Sahra Wagenknecht, wird zur Krise der EU und zu linkem Engagement etwas sagen. Und wir freuen uns sehr, Esther Bejarano begrüßen zu dürfen, eine Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz, die bis heute als Sängerin ganz vorn im Kampf gegen den Faschismus mit dabei ist. Wer sich über das genaue Programm informieren will, dem empfehle ich, auf die Internetseite www.rosa-luxemburg-konferenz.de zu schauen. Der Andrang ist in diesem Jahr so groß, daß wir den Vorverkauf von Eintrittskarten stoppen mußten, d. h. wir rechnen mit etwa 2.000 Gästen. Wer nicht mehr in die Berliner „Urania“ hineinkommt, kann sich allerdings die wichtigsten Beiträge live im Internet ansehen.
Aydin Cubukcu ist türkischer Publizist und Philosoph und wird referieren. Zur Zeit nähern sich EU und Deutschland Erdogan und seiner diktatorischen AKP-Regierung. Was kann man in Deutschland machen, um die Opposition in der Türkei zu stärken?
Wir freuen uns sehr, Aydin Cubukcu mit seiner enormen politischen Erfahrung begrüßen zu dürfen. Ja, die Türkei ist innen- wie außenpolitisch ein Schlüsselland weit über die Region hinaus. Das ungeheuerliche Vorgehen Erdogans gegen die eigene Bevölkerung, aber auch sein Eingreifen in Syrien müssen in Deutschland thematisiert werden – in den Konzern- und Staatsmedien findet das nicht statt. Vor kurzem wurden deutsche Soldaten in der Türkei stationiert, um im Syrien-Krieg eingesetzt zu werden, jetzt folgen NATO-AWACS-Flugzeuge – ebenfalls mit deutschen Besatzungsmitgliedern. Zugleich werden Erdogan politische Zugeständnisse gemacht, damit er Kriegsflüchtlinge nicht in die EU läßt. Das wichtigste, das in Deutschland jetzt für die in der Türkei kämpfenden Genossinnen und Genossen getan werden kann, ist Aufklärung über die tatsächliche Lage dort. Davon erfährt die Öffentlichkeit hier nur Bruchstücke. Information über die Lage der Arbeiterklasse, die aktuellen sozialen Kämpfe ist aber Voraussetzung für Solidarität. Ich halte es für dringend erforderlich, dass auch die Linken in Deutschland begreifen, wie wichtig das auch für sie ist, was sich gerade in der Türkei abspielt. Dort wird praktisch unter dem Dach von NATO, EU und Deutschland Krieg gegen die Bevölkerung geführt und zugleich so wie in kaum einem anderen Land Widerstand geleistet. Das muß hier ins Bewußtsein.

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