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Krieg und Frieden

 Peter Strutynski *

Die Friedensbewegung hat in den letzten Jahrzehnten so manche Höhen und Tiefen durchlaufen. Außerparlamentarische Bewegungen vollziehen sich ohnehin immer in Form einer Wellenbewegung. Dass wir uns als Friedensbewegung zur Zeit eher in einer Talsohle befinden, ist sehr schmerzlich und auch nicht so einfach zu erklären. So leben wir seit längerem mit dem Widerspruch, dass einerseits eine große Mehrheit der Bevölkerung – Umfragen sprechen von 70 bis 80 Prozent – gegen den Afghanistan ist und die Bundeswehr lieber heute als morgen wieder zurückholen möchte, dass aber auf der anderen Seite, diese Mehrheit auf der Straße nicht sichtbar ist. Die Menschen lassen sich nur sehr schwer mobilisieren.
Das ist auch deshalb so schmerzlich, weil wir, während der Afghanistankrieg noch weiter geht, möglicherweise schon bald neue Kriege haben werden. Es drohen Kriege gegen Syrien und Iran. Und das könnten Kriege werden, die den Afghanistankrieg oder auch den Libyenkrieg 2011 in den Schatten stellen. Zu viele Mächte und Interessen stoßen hier aufeinander. Eine Intervention in Syrien kann leicht das Wiederaufbrechen von Kämpfen zwischen der libanesischen Hisbollah oder der in Gaza regierenden Hamas auf der einen und Israel auf der anderen Seite hervorrufen. Die besonderen Beziehungen zwischen Syrien und Iran könnten auch ein Eingreifen von dieser Seite bedeuten. Saudi-Arabien, neben Israel der wichtigste Bündnispartner der USA im Nahen/Mittleren Osten, dürfte diesen Konflikt genauso als Chance begreifen, den Kampf um die regionale Hegemonie für sich zu entscheiden wie der andere Konkurrent, die Türkei. Und ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich sagen: All diesen Mächten geht es mitnichten um die Menschenrechte in Syrien oder um den behaupteten Griff Irans nach der Atombombe. Vielmehr geht es um eine politische Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens. Darin haben unbotmäßige, gegen den Westen eingestellte Regime keinen Platz. Die geostrategisch so wichtige, weil erdöl- und erdgasreiche Region soll unter die Kontrolle der USA gebracht werden, die sich davon eine bessere Ausgangsposition im globalen Kampf um Energie, fossile Rohstoffe und andere Ressourcen versprechen. Und der wirkliche Gegner im Hintergrund ist die neue ökonomische Supermacht China mit ihrem großen Energiehunger und sind die großen Schwellenländer Indien, Brasilien, Südafrika und – nicht zu vergessen – Russland, das unter Putin wieder eine Weltmachtrolle anstreben wird.
Wir müssen sehr misstrauisch sein gegenüber den Einflüsterungen der Regierungen, wenn sie uns weismachen wollen, eine Intervention in Syrien würde die Menschen dort schützen, oder eine Intervention in Iran würde die Welt davor bewahren, dass ein „Irrer“ und „Judenhasser“ in den Besitz von Atomwaffen käme. Auch die NATO-Intervention vor einem Jahr in Libyen hat nicht dazu beigetragen, die Zivilbevölkerung zu schützen (das hatte die Resolution des UN-Sicherheitsrats verlangt), sondern in Wahrheit sind 50.000 Zivilpersonen dem Krieg zum Opfer gefallen. Auf der anderen Seite konnte die NATO stolz verkünden, dass auf ihrer Seite kein einziger Soldat zu Schaden gekommen sei.
Wir dürfen weitere NATO-Interventionen nicht zulassen. Wir müssen noch viel mehr tun, um die Menschen in unserem Land über die Kriegsgefahr im Nahen Osten und über die Hintergründe der Konflikte aufzuklären. Wir alle wissen, dass alle unsere Bemühungen um mehr Demokratie, Anerkennung, Würde und soziale Gerechtigkeit – wo auch immer in der Welt – ohne Frieden umsonst sein werden. Die Menschen im arabischen Raum, im Nahen und Mittleren Osten, in Afghanistan und Pakistan, haben ein Recht auf Frieden und darauf, über ihr eigenes Schicksal souverän, ohne äußere Einmischung, entscheiden zu können.
In Bezug auf Syrien und Iran lauten die zentralen Forderungen der Friedensbewegung:
– Absage an alle Gedankenspiele über eine militärische Intervention (diese Position wird auch von Friedensforschern vertreten, die im Fall Libyen noch anders votierten, vgl. z.B. Meyer);
– Ausstieg aus dem Sanktionsmechanismus der EU und Zurücknahme bisher erfolgter Sanktionen; stattdessen Umsetzung eines allgemeinen Waffenembargos;
– Sofortiger Stopp aller Waffenlieferungen in die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens; dies schließt Schützenpanzer in die Vereinigten Emirate genauso ein wie Kampfpanzer nach Saudi-Arabien oder U-Boote nach Israel;
– Bereitstellung humanitärer (z.B. medizinischer) Hilfe für Syrien, allerdings ohne jeglichen „militärischen Begleitschutz“;
– Erlass eines sofortigen Abschiebestopps für Flüchtlinge aus Syrien; ihnen kommt der Status von Kriegsflüchtlingen zu und fallen somit unter die Genfer Flüchtlingskonvention; darüber hinaus sollte syrischen Flüchtlingen ein Aufenthalt in den Staaten der Europäischen Union angeboten werden.
Wir haben also viel zu tun. Und wir können viel tun – wenn wir zusammenstehen.

* Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag

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