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Kriegspropaganda und Angstmacherei für die Kriegstüchtigkeit

Eren Gültekin

Seit Jahren lassen sich die ersten Anzeichen einer schleichenden Militarisierung in Deutschland beobachten. Was einst subtil begann, ist heute offenkundig: Die Bundeswehr tritt vermehrt öffentlich auf, uniformierte Soldaten fahren in Zügen, YouTube-Kanäle werden gezielt genutzt, um Jugendliche für den Dienst an der Waffe zu begeistern. NATO-Übungen und die Durchfahrt von Lasttransporten mitten durch Passagierstrecken signalisieren: Die Normalität des Krieges wird einstudiert. Neue Polizeigesetze in zahlreichen Bundesländern erweitern die Befugnisse der Polizei, während gleichzeitig das Bewusstsein wächst, dass Auseinandersetzungen und Konflikte um eine neue weltpolitische Ordnung bevorstehen könnten.

Olafs Zeitenwende bis Merz’ Agenda 2030

Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine trat die Bundesregierung unter Olaf Scholz in eine neue Phase ein. Die sogenannte „Zeitenwende“ brachte ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für Verteidigungsausgaben, inklusive Waffenbeschaffung und Aufrüstung, das zuvor undenkbar erschien. Ziel war es, die NATO-Vorgabe von 2 % des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben einzuhalten. Dazu wurde das Grundgesetz im Juni 2022 geändert, um das Sondervermögen von der Schuldenbremse auszunehmen – beschlossen mit den Stimmen von SPD, Grünen, FDP und der CDU/CSU als Oppositionspartei.

Doch diese Maßnahme reichte nicht. Das deutsche Kapital, an vorderster Front Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall, verlangte mehr. Die Regierung wurde zunehmend auf Linie gebracht: Mit dem 7. Oktober wurde die Staatsräson der Bevölkerung vermittelt, Kriegsbereitschaft und Unterstützung für militärische Aktionen als Bürgerpflicht zu inszenieren. Schließlich wurden weitere 500 Milliarden Euro durch den Bundestag gebilligt. Politiker wie Friedrich Merz kritisierten Scholz wiederholt für dessen „zögerliche“ Haltung bei Waffenlieferungen an die Ukraine. Merz’ Agenda 2030 verfolgt klar die Stärkung von Unternehmen, die Schwächung des Sozialstaats und die Verschärfung sozialer Ungleichheit. Sein Motto: „Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen“ – grünes Licht für weitere Waffenlieferungen und die Kriegstüchtigkeit der Bevölkerung.

Polizeigewalt, Wehrdienst-Wiederaufnahme und NATO-Ziele

Heute zeigt sich das Ergebnis dieser Politik auch in der Allgegenwärtigkeit polizeilicher Gewalt. Vor allem palästina-solidarische Demonstrationen werden regelmäßig von Übergriffen betroffen; selbst parlamentarische Beobachter:innen bleiben nicht verschont. Aber auch abseits von Protesten führt polizeiliches Handeln immer wieder zu tödlichen Vorfällen: Fälle wie die von Ertekin Ö. in Mannheim (Dezember 2023), Mouhamed Dramé in Dortmund oder Lorenz A. in Oldenburg (April 2025) verdeutlichen das Risiko exzessiver Gewalt. Opfer werden häufig kriminalisiert, Verantwortliche nur selten zur Rechenschaft gezogen.

Parallel dazu wird über die Wiederaufnahme des Wehrdienstes debattiert. Ab 2027 sollen alle 18-Jährigen zur Musterung eingeladen werden, um die Personalstärke der Bundeswehr zu erhöhen. Die SPD setzt auf Freiwilligkeit, mit Anreizen wie höherer Bezahlung, während die Union ein Losverfahren fordert, falls nicht genügend Freiwillige kommen. So soll sichergestellt werden, dass die NATO-Vorgaben erfüllt werden.

Gleichzeitig wird der Verteidigungshaushalt massiv aufgestockt, während soziale Sicherungssysteme geschwächt werden. Regelsätze bleiben eingefroren, Arbeitsministerin Bärbel Bas setzt auf Sanktionen statt Unterstützung, und Kanzler Friedrich Merz bezeichnet den Sozialstaat als „nicht mehr finanzierbar“. Die Agenda 2030 markiert somit einen klaren „Herbst des Sozialabbaus“.

Medien: Die vierte Gewalt

Die Politik steht zudem unter massivem Druck des deutschen Kapitals. Das Handelsblatt, Medium der Großunternehmen und Manager, kritisierte am 12. Oktober 2025, dass der „Herbst der Reformen“ ein leeres Versprechen sei: Statt grundlegender Reformen gebe es nur kosmetische Anpassungen beim Bürgergeld und marginale Subventionen. Laut Autor handle die Bundesregierung nicht konsequent. Dieses Zusammenspiel von Regierung und Wirtschaft verschärft soziale Ungleichheit und legitimiert gleichzeitig Angstmacherei und Kriegsvorbereitung.

Die mediale Landschaft unterstützt diesen Kurs aktiv. Zeitungen wie die „Bild“ schüren gezielt Angst vor russischen Angriffen. Ein Beispiel: Am 26. März 2025 titelte die Zeitung: „Wie sich ganz Europa auf einen Russen-Angriff vorbereitet: Mammut-Projekt Aufrüstung“. Militärhistoriker Sönke Neitzel wurde zitiert, er warnte, dass dieser Sommer „der letzte Friedenssommer für uns Deutsche“ sein könnte. Solche Schlagzeilen erzeugen Panik, überhöhen Bedrohungen und normalisieren gleichzeitig massive Aufrüstung.

Parallel dazu zielen Social-Media-Kanäle auf junge Menschen, um die Bundeswehr als attraktiven Arbeitgeber zu präsentieren. In Clips und Posts wird der Dienst an der Waffe verharmlost, Abenteuer und Karrieremöglichkeiten hervorgehoben, während kritische Informationen oder Diskussionen über Krieg und Militarisierung kaum vorkommen. So werden Jugendliche subtil an die Idee gewöhnt, dass Krieg ein normaler Teil ihres Lebens sein könnte.

Gleichzeitig werden gesellschaftliche Spannungen instrumentalisiert: Antisemitismus wird auf migrantische Gruppen reduziert, um politische Spaltungen zu vertiefen und die Bevölkerung leichter manipulierbar zu machen. In Kombination mit medialer Angstmacherei entsteht ein Klima, das die Militarisierung der Gesellschaft unterstützt und kritische Stimmen marginalisiert.

Immer mehr Kriegsmanöver

Offensichtliche Kriegsvorbereitung ist ebenfalls in Form von NATO-Übungen sichtbar. Die „Quadriga 2025“ in der Ostsee mit 8.000 Soldaten aus 14 Staaten, 40 Schiffen, 20 Flugzeugen und 1.800 Fahrzeugen demonstrierte Deutschlands Führungsrolle innerhalb der NATO und die Integration zivil-militärischer Strukturen. Ähnlich die Übung „Red Storm Bravo“ in Hamburg, bei der hunderttausend Soldaten verlegt und zivile Einrichtungen wie Feuerwehr, THW, Krankenhäuser und Verkehrsunternehmen unter militärische Vorgaben gestellt wurden. Ziel ist die Gewöhnung der Bevölkerung an Kriegszustände und die Mitwirkung an militärischen Operationen. Auch die vermeintliche Bedrohung durch russische Drohnen ist Dauerthema und wird gezielt zu Verschärfungen der Gesetze genutzt: Bayern Ministerpräsident Söder erklärte ein bayerisches Rüstungsgesetz auf den Weg bringen und ein Drohnenzentrum in Erding errichten zu wollen. Sicher ist: diese Vorstöße werden sich nicht auf Bayern beschränken.

Organisiert entgegenwirken

Da die Bevölkerung die Hauptlast trägt, sind sie es auch, die sich dem entgegenstellen können. Großdemonstrationen der letzten Wochen in Berlin oder Stuttgart mit über 150.000 Teilnehmenden zeigen, dass organisierter Protest ein wirksames Mittel gegen Kriegshetze und die Instrumentalisierung sozialer Spannungen ist. Eine solche Masse erschwert staatliche Repression und kann die propagandistische Wirkung von Medien und Politik eindämmen.

Kriegsrhetorik, Polarisierung und Angstkampagnen lassen sich nicht sofort auflösen. Doch kollektive Aktionen wie diese können es schaffen, der Militarisierung entgegenzuwirken. Bestes Beispiel aus Italien: Hunderttausende Arbeiter:innen gingen auf die Straße. In den Häfen von Genua, Livorno, Triest, Ravenna und anderen Städten blockierten Hafenarbeiter:innen die Verladung von Waffen und Munition nach Israel. Einige Schiffe, wie die „Zim New Zealand“, wurden sogar gezwungen, ohne Fracht abzulegen.

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