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Leserbrief

Erst einmal einen Glückwunsch zu der guten Ausgabe eurer Zeitung. Zu dem Artikel „Machtergreifung oder Machtübergabe“ habe ich jedoch einige kritische Bemerkungen:

Die Machtübergabe an die Nazis erfolgte am 30.1.1933 durch Reichspräsident Hindenburg. Bei der Reichstagswahl davor (1932) hatte die NSDAP keine Mehrheit. Das Stimmenergebnis war: SPD (7,2 Mill.), KPD (6,0 Mill.), NSDAP (11,7 Mill.), Andere (8,1 Mill.). Nach der Machtübergabe wurde am 5.3.1933 wieder gewählt. Die meisten KPD-Kandidaten und Funktionäre waren wegen des Naziterrors bereits im Untergrund oder verhaftet. Man schob der KPD den selbst inszenierten Reichtagsbrand in die Schuhe. Das Ergebnis dieser „Wahl“ lautete: SPD (7,2 Mill.), KPD (4,8 Mill.), NSDAP (17,3 Mill.), Andere (7,5 Mill.). Die Wahl war alles andere als „demokratisch“. Selbst bei dieser Wahl hatte die NSDAP die absolute Mehrheit der Stimmen nicht erreicht. Von einer Machtübergabe „unter großer Zustimmung der Bevölkerung“ konnte 1933 also keine Rede sein. Die Großbourgeoisie wechselte die Form ihrer Machtausübung:  von der bürgerlich-parlamentarische Demokratie zur offenen faschistischen Diktatur. Die Großbourgeoisie hat die Nazis jahrelang gefördert, bezahlt und für ihre Weltmachtziele eingespannt. Dass die deutsche Arbeiterbewegung gespalten war und Großteile der Bevölkerung später weggeschaut oder gar mitgemacht haben, ist eine Mitschuld am Faschismus, aber nicht dessen Ursache. Umso wichtiger sind die Lehren, die gezogen wurden: Wehret den Anfängen! Je früher und breiter der antifaschistische Widerstand beginnt, umso erfolgreicher und opferärmer wird er sein. Die Aktionseinheit der Arbeiterbewegung und ihre Einheitsgewerkschaften spielen dabei die entscheidende Rolle. Wahlen allein bieten keinen Schutz vor Faschismus.

Joachim Schubert (Betriebsratsmitglied Alstom), Mannheim

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