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„Mehr Geld hat nichts mit Luxus zu tun“

Sinan Cokdegerli

Seit einigen Monaten hat die Streikkultur in Deutschland wieder Fuß gefasst. Während einige, wie zum Beispiel die Streiks der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) oder der Pilotenvereinigung Cockpit, massenhaft in den Medien ausgeschlachtet wurden, scheinen Streiks großer Gewerkschaften in der Medienlandschaft unterzugehen. Wir haben deshalb Benjamin Wermuth (ver.di Jugendsekretär München) gefragt, was momentan bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) in Bezug auf die Jugend in München ansteht.

Kannst du uns kurz den Stand der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst schildern?
Aufgrund der großen Reichweite unseres Zuständigkeitsbereiches lässt sich das gar nicht so leicht zusammenfassen; aktuell laufen Tarifrunden bei der Postbank, bei Giesecke und Devrient. Wir bereiten uns auf den Einzelhandel vor, Amazon ist weiter ein großer Kampf und und und… Ich würde mich jedoch auf die im Sozial- und Erziehungsdienst konzentrieren. Hier sind junge Menschen am direktesten und meisten betroffen und es sind einfach die beiden größten Tarifrunden. Neben der Tarifarbeit gibt es aber natürlich auch gesellschaftspolitische Themen. In der ver.di Jugend München steht hierbei ein Bildungsfreistellungsgesetz, das Thema Flüchtlingspolitik in Bayern, das Gesetz zur „Tarifeinheit“ oder das Azubi Ticket für München auf der Agenda.
Was sind die Forderungen in den einzelnen Bereichen?
In der Tarifrunde im Sozial- und Erziehungsdienst geht es um eine neue Eingruppierungsordnung und damit letztlich um mehr Geld für alle Beschäftigten. Wir fordern hier eine deutliche Aufwertung dieser wichtigen Berufe. Die Verantwortung eines Erziehers, einer Sozialpädagogin, einer Kinderpflegerin etc. ist immens, die Bezahlung steht hier in keinem Verhältnis. Dies betrifft vor allen Dingen auch die jungen Menschen, weil es nicht zuletzt die Einstiegsgehälter sind, die es fast unmöglich machen, davon in einer Stadt wie München zu leben. In der Tarifrunde der Länder wiederum geht es um eine Erhöhung der Ausbildungsvergütung um 100 €, eine Regelung zur verbindlichen Übernahme von Auszubildenden in ein Vollzeitarbeitsverhältnis und darum, dass nicht nur Ausgelernte, sondern auch Azubis künftig 30 Tage Urlaub erhalten; außerdem besteht eine Einkommensforderung in Höhe von 5,5, % für alle Beschäftigten. Mir ist hierbei besonders die Urlaubsforderung wichtig: Azubis stehen unter ständigem Beurteilungsdruck, müssen immer bei allen einen guten Eindruck machen, um ja keine schlechte Bewertung zu kassieren, neben der Arbeit für die Schule lernen und trotzdem genauso viel arbeiten wie alle anderen auch. Wer hier behauptet, der Erholungsbedarf wäre bei ihnen niedriger, verkennt schlicht die Realität. Letzten Endes geht es darum, eine Lebensgrundlage zu schaffen: Die Übernahmeforderungen haben was mit Sicherheit und Planbarkeit der Zukunft und Entlastung der Azubis zu tun. Mehr Geld hat meiner Meinung nach nichts mit Luxuswünschen zu tun, sondern mit der simplen Tatsache, dass selbst hohe Azubigehälter in Städten wie in München kaum zum Leben reichen und für alle Menschen gelten muss, dass es nicht sein kann, dass sie Vollzeit arbeiten, egal ob in Ausbildung oder anders und sich dann nicht mal eine Wohnung leisten können. Das ist ein Unding. Die Arbeitgeber sind häufig auf ihre Azubis angewiesen, um ihren Job erledigen zu können – da ist es ja wohl nicht zu viel verlangt, dass sie sie auch anständig entlohnen!
Wie ist die Beteiligung der Jugend bislang bei den Aktionen der ver.di?
Ich bin aber zuversichtlich, dass wir gute Ergebnisse für unsere Azubis herausholen können. Wie schon in den letzten Jahren zeichnet sich auch in diesem Jahr wieder ab, dass es gerade die Auszubildenden und die Jugend sind, die die Demos und Kundgebungen bunt und laut machen und mit Leben füllen. Die Streikbereitschaft übersteigt unsere Erwartungen bisher, auch wenn sie noch ausbaufähig ist. Aber daran arbeiten wir ja und die bisherigen Aktionen stimmen mich frohen Mutes.
Wie wird das in Zukunft weitergehen?
Auch wenn das vielleicht hart klingt: Solidarität ist keine Einbahnstraße. Letzen Endes sind es die organisierten Kolleginnen und Kollegen, die dafür sorgen, dass ver.di stark und durchsetzungsfähig ist. Gerade in unserer Generation gibt es viele, die zwar an den Streiks teilnehmen, aber keine Gewerkschaftsmitglieder sind. Nur: Ohne die Organisation, die sie organisiert, gibt es keine Streiks. Und: Letzten Endes gelten Tarifverträge nur für Gewerkschaftsmitglieder. Wenn wir als junge Menschen wollen, dass eine demokratische Organisation wie ver.di Forderungen für junge Menschen aufstellt und durchsetzt, führt kein Weg daran vorbei, selbst Gewerkschaftsmitglied zu werden und so mitzubestimmen. Die Erfahrung zeigt: Die Arbeitgeber verhandeln nicht aus Goodwill mit uns. Wenn sie eine Chance sehen, versuchen sie immer uns weg zu nehmen, was bereits erkämpft wurde, so wie just in diesem Moment bei der Altersvorsorge im öffentlichen Dienst. Wenn wir das für die Zukunft verhindern wollen, müssen wir organisiert sein.
Was sagst du zu diesem geplanten Tarifeinheitsgesetz?
Auch wenn ich mit dem gewerkschaftlichen Verständnis der Spatengewerkschaften (wie GdL und Cockpit) nicht d´accord gehe: Das Recht sich frei in Gewerkschaften zu organisieren und das Recht der Gewerkschaften zu streiken, ist ein Grundrecht. Ein Einschnitt in dieses Grundrecht ist ein Angriff auf alle Beschäftigten, egal in welcher Gewerkschaft sie organisiert sind. Ich halte es da mit dem Slogan von ver.di: Tarifeinheit ja – Eingriffe ins Streikrecht: Nein! Natürlich wäre es schön, wenn wir dem Grundsatz „Ein Betrieb, eine Gewerkschaft“ wieder Leben einhauchen können, schon alleine, weil er die lohnabhängig Beschäftigten stärkt. Das jedoch muss durch die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften passieren und darf keinesfalls von einem Gesetz vorgeschrieben werden. Das wäre undemokratisch und ein Schritt, der in meinen Augen weit weg führt von einer freien und demokratischen Gesellschaft.

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