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„Miteinander in der Schule – Nicht nur unter Kindern, sondern auch unter Eltern“

Yücel Özdemir

Das deutsche Bildungssystem gilt für alle Bundesländer, obwohl verschiedene Bundesländer Unterschiede in Schulformen haben können. Aber überall gibt es Probleme mit der sozialen Gerechtigkeit. Bei internationalen Schulleistungsstudien schneiden die deutschen Kinder bei der Untersuchung der Leistungsentwicklung in der Sekundarstufe I bei 15-jährigen immer noch sehr unzufriedenstellend ab.

Insbesondere Kinder aus der Arbeiterschicht haben wirklich geringere Chancen bei gleicher Intelligenz im Vergleich zu den Kindern aus Akademikerfamilien. Und Kinder mit dem sogenannten Migrationshintergrund: für die gilt, dass auch sie im Vergleich zu den deutschen Schülerinnen und Schülern insgesamt immer noch benachteiligt sind. Wir haben mit Norbert Müller stellvertretender Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW über die aktuellen Diskussionen im Bildungsbereich gesprochen.

Was ist das Hauptanliegen Ihrer Gewerkschaft?

Als Gewerkschaft haben wir seit langer Zeit immer eingefordert, dass entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um sicher zu stellen, dass die einzelne und individuelle Förderung insgesamt auf den Stand gebracht werden kann, der sicherstellt, dass unser Schulsystem chancengleich ist. Davon sind wir noch weit entfernt.

Vorschlag vom Bildungsministerium ist, auf Landesebenen die Hauptschulen abzuschaffen. Das Land NRW hat schon damit angefangen. Was ist das Ziel?

Das ist schon ein bisschen kompliziert. Die politischen Verhältnisse sind schwierig, die Machtverhältnisse spielen eine wichtige Rolle. Wir haben weder eine politische, noch eine gesellschaftliche Mehrheit, unsere Forderung nach „Einer Schule für Alle“, nach einem einheitlichen Schulsystem, was ja weltweit –vor allem in Industrienationen- Standard ist, verwirklicht zu bekommen. Von daher gesehen müssen wir natürlich schauen, dass die Politik der kleinen Schritte eine gewisse Wirkung auch erzielen kann. In NRW hat man gesagt, dass die Hauptschule keinen Verbesserungsvorschlag hat. Der Schulkompromiß zwischen der CDU, SPD und Grünen, die Hauptschule müsste nicht mehr föderal angeboten werden, geht in diese Richtung. Die Hauptschule steht auf jeden Fall nicht mehr in der Verfassung und mit der Sekundarschule, die jetzt eingerichtet werden kann, können wir in vielen Regionen des Landes, insbesondere in ländlichen Bereichen, integrierte Schulsysteme bekommen. Praktisch ist das eine Schule für alle, aber nur die Sekundarstufe I (bis zur 10. Klasse) und jede dieser Sekundarschulen muss die Möglichkeit anbieten, einen gymnasialen Bildungsgang an einem Gymnasium, einer Gesamtschule in der Oberstufe oder an einem Berufskolleg zu wählen. Die Sekundarstufe ist eine Art Gemeinschaftsschule, aber nur bezogen auf die Sekundarstufe I mit Möglichkeiten, dann auf dem gymnasialen Standard den Abschluß zu machen und im Anschluß zu einer hochgymnasialen Oberstufe zu gehen.

Die sagen, dass das schon eine Änderung im dreigliedrigem Bildungssystem ist und kleine Änderungen noch folgen werden. Inwieweit ist das richtig und was bedeutet das?

Es ist ja nicht so, dass wir jetzt ein zweigliedriges Bildungssystem hätten. Das Gymnasium ist stabil. Das abzuschaffen ist zur Zeit gesellschaftlich und politisch nicht durchsetzbar. In Hamburg hat die GEW den Kurs versucht und ist leider gescheitert und daraus müssen wir lernen. Wir müssen daraus lernen, unsere Kräfte richtig einzuschätzen. Und es ist nicht einfach in dieser Zeit. Das Gymnasium ist wie gesagt stabil, die Realschule ist nach wie vor auch ein Faktor mit dem man noch rechnen muss und auch in bestimmten Gebieten relativ stabil ist, gegen alle Prognosen, die ja vor einigen Jahren gestellt wurden, dass sie sich überlebt hätte. Dann haben wir noch die integrierten Systeme, die Gesamtschule. Wir haben in NRW 230 Gesamtschulen. Am liebsten wäre uns, wenn dieses Angebot größer wäre. Im Zusammenhang mit der Sekundarschule besteht die Chance, überall dort, wo mehr als 100 Anmeldungen zur Sekundarschulen sind, eine Gesamtschule anstatt Sekundarschulen einzurichten. Da hoffen wir darauf, dass es ganz viele Möglichkeiten gibt, in ländlichen Bereichen wie Ostwestfalen, Sauerland, Siegerland und vielleicht am Niederrhein, also vornehmlich in konservativ regierten Kreisen, Gesamtschulen zu eröffnen. Es geht einfach darum, die Schule im Dorf zu halten. In der Not haben auch schon in früheren Jahrzehnten CDU-Oberbürgermeister Gesamtschulgründungen mitgetragen.

Das Sprachproblem bei Kindern mit Migrationshintergrund ist immer wieder auf der Tagesordnung und in den Medien wird darüber diskutiert, dass diese Kinder der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Wie beurteilen sie dieses Problem?

Die Stadtentwicklungspolitik hat dazu geführt, dass in bestimmten Stadtteilen die Migrationsbevölkerung geballt wohnt. Das wiederum spiegelt sich in den Schulen wieder. Es gibt Grundschulen, die haben einen 80-prozentigen Migrationsanteil. Also günstig ist, wenn man eine gute Mischung hat, um eine bessere Heterogenität eher sicherzustellen. Wie man das lösen kann? Also man kann es auf jeden Fall nicht lösen, in dem man die Kinder durch die Gegend schickt.

In NRW hat man jetzt den Islamunterricht eingeführt. Man hat mit vielen islamischen Organisationen einen Kompromiß geschlossen. Wie stehen Sie als Gewerkschaftler zu der Einführung des Islamunterrichts an Schulen, zu welcher Änderung wird der Islamunterricht beitragen?

Wir haben ja schon Stellung dazu bezogen. Ich brauche es zwar nicht zu unterstreichen, aber wir sagen, dass Staat und Kirche getrennt sein müssen. Daher hat konfessionsorientierter Religionsunterricht in der Schule wenig zu suchen. Aber wenn es so ist, dass evangelische und katholische Religionen unterrichtet werden dürfen, dann ist auch selbstverständlich, dass der Islam auch als religiöse Unterweisung stattfinden sollte. Das ist zunächst so richtig. Was ändert das? Es ist noch nicht absehbar, in welchen Schritten das eingeführt werden kann, weil Lehrerinnen und Lehrer erst ausgebildet sein müssen. In der deutschen Lehrerausbildung müssen sie das Angebot kriegen. Es gibt ja in Münster einen Lehrstuhl, aber ihre Kapazitäten reichen bei weitem nicht aus, um das flächendeckend sicherzustellen. Ein Problem haben wir auch damit, dass ein Kollidierungsrat gebildet wurde, wo die vier großen islamischen Organisationen ihren Sitz und ihre Stimme haben. Wir haben somit das Problem, dass diese die Inhalte nach dem Gesetzentwurf bestimmen sollen.

Was schlägt Ihre Gewerkschaft dagegen vor?

Wir sind auch keine Experten für religiöse Fragen. Diese Organisationen haben eine relativ konservative Auslegung des Islam. Es kann nicht sein, dass nur die vier islamischen Organisationen in diesem Kollidierungsrat einen Sitz haben. Vor allem, wenn diese vier Organisationen nur 20 % der islamischen Bevölkerung vertreten. In diesem Rat müßten auch die Liberalen, die nicht organisiert sind, vertreten sein, um gemeinsam miteinander den Lehrplan festzulegen.

Was empfehlen Sie den Eltern der Kinder mit Migrationshintergrund für das neue Schuljahr? Wie können Eltern ihre Kinder in der Schule unterstützen?

Zuallererst sollen sie sicherstellen, bevor ihr Kind in die Schule kommt, dass ihr Kind möglichst früh in eine Kindertagesstätte geht und im Rahmen der Möglichkeiten auch darauf hinwirken, dass der Freundkreis gemischt ist. Dass ist so für die Sprachentwicklung das Wichtigste überhaupt. Und in der Schule müssen Eltern den Dialog mit den Lehrern suchen. Es ist festzustellen -das ist aber generell auf alle Eltern zu beziehen-, dass sich Eltern auch schon im Grundschulalter in der Schule selten sehen lassen und nicht zu Elternabenden kommen. Eine große Empfehlung und eine wichtige Bitte: Geht in die Schule, macht euch bei den Lehrern bekannt, nehmt regelmäßig an Elternabenden teil, arbeitet in der Klassenpflegschaft und in der Schulpflegschaf mit, so dass das Miteinander, nicht nur unter den Kindern, stattfindet, sondern auch unter den Eltern. Nur so ist Integration auf Dauer zu entwickeln.

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