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Mitten in Deutschland: NSU

Alev Bahadir

Vor kurzem strahlte der ARD eine dreiteilige Spielfilmreihe aus, die sich mit den Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds beschäftigt. Die drei Filme sind von unterschiedlichen Regisseuren und zeigen unterschiedliche Blickwinkel der Mordserie.

Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“

Der erste Film stellt gleich zu den Beginn nicht den Anspruch eine Dokumentation wollen zu sein. Hier wird erwähnt, dass viele Hintergründe noch nicht klar seien und dass sich Zeugenaussagen widersprechen würden, ist jedoch so gut recherchiert, dass er auch gut als Dokumentation durchgehen könnte. Der Film begleitet vor allem Beate Zschäpe in ihrer Entwicklung. Von einem schüchternen Mädchen, das überall mitgemacht hätte, um zu gefallen, über die aggressive Nazischlägerin bis hin zur kaltblütigen Mörderin.

Die Handlung beginnt mit der Wende, 1989. Zschäpe ist zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt und lebt in Jena. Sie steht im Schatten ihrer extrovertierten Freundin Sandra. Durch Sandra kommt sie in die antifaschistische Szene, wird aber nie ein wirklicher Teil davon. Als sie eine Maßnahme in einem „Jugendtreff“ und bekannten Nazitreff beginnt, lernt sie Uwe Mundlos kennen, verliebt sich in ihn und dringt in die rechte Szene ein. Schon früh träumt Mundlos den Traum von organisierten Zellen, während er ein Bild seines großen Helden Rudolf Heß betrachtet. Später kommt der aggressive Psychopath Uwe Böhnhardt in die Gruppe, mit dem Zschäpe ebenfalls eine Beziehung eingeht.

Schnell verliert man, während des Filmes, den kleinen Funken Empathie, den man möglicherweise am Anfang mit Zschäpe empfinden könnte. Spätestens nachdem sie mit Böhnhardt eine Mutter mit Baby bedroht, weil sie „auf dem guten deutschen Rasen herumtrampeln“ würde oder nachdem die Gruppe einen „Ausflug“ nach Buchenwald macht, um dort KZ zu spielen, wird klar, dass Zschäpe genauso ein Monster ist, wie die beiden Uwes. Auch die Rolle des Verfassungsschutzes und der Polizei kommt nicht zu kurz. Beleuchtet werden die Verbindung des V-Mannes Tino Brandt, der Geld im Gegenzug für keine Informationen bekam und der Versuch, sowohl Mundlos, als auch Zschäpe anzuwerben. Auch das Versagen und die Ignoranz der Polizei werden mehrmals gezeigt. Genauso versagen auch die Eltern der Drei. Während Böhnhardts ihm zur Flucht verhelfen, fühlt sich der Zuschauer genauso ohnmächtig und machtlos, wie Mundlos‘ Vater, als dieser ständig zu seinem Sohn sagt: „Aber das hat es doch schon gegeben“, während dieser ihn anschreit. Der Film endet mit dem Mord an Enver Simsek, an den der zweite Teil anschließt.

Die Opfer – Vergesst mich nicht“

Der zweite Teil der Trilogie beginnt mit dem letzten Gespräch, das Enver Simsek vor seiner Ermordung mit seiner Tochter Semiya führt. Er lässt sie an der Schule ab, belädt seinen Transporter mit Blumen und wird anschließend von Mundlos und Böhnhardt erschossen. Als Semiya vollkommen aufgelöst im Krankenhaus ankommt und ihren Vater sehen will, wird sie von einem Polizisten als erstes gefragt, ob sie denn Deutsch spreche. Am 11. September 2000 verstirbt Enver Simsek in Nürnberg. Dieser erste Satz spiegelt die von Vorurteilen und festgefahrenen geprägte „Ermittlungsarbeit“ der Polizei wider, die die Familie jahrelang quälen soll.

Simseks Familie selbst wird verdächtigt, eine Geliebte wird erfunden, um Adile Simsek, Envers Witwe, aus der Fassung zu bringen. Die Wohnung der Familie wird durchsucht, wo die Polizei eine größere Summe Bargeld findet. Direkt wird Simsek zum Drogenhändler abgestempelt. Dies wird durch eine Zeugenaussage eines vorbestraften Drogenhändlers, die jedoch nie überprüft wurde, untermauert. Adile Simsek hält der Trauer und dem Druck nicht länger Stand und wird in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Erst nachdem drei weitere Morde mit der gleichen Waffe verübt werden, werden die Ermittlungen wieder aufgenommen. Die Richtung bleibt jedoch die gleiche: Die Opfer müssen mit dem organisierten Verbrechen in der türkischen Community zu tun gehabt haben. Diese rassistische Ermittlungsweise zeigt sich in dem Namen, den die Sonderkommission trug: SoKo Halbmond. Jahre vergehen, Semiya und ihre Familie versuchen wieder in den Alltag hereinzukommen, das fällt besonders der Mutter schwer. Die Tatsache, dass die Polizei ihren Vater noch immer als Kriminellen darstellte und die Betitelung der Morde als „Döner-Morde“, machte es der Familie nicht einfach.

Erst 2006, 6 Jahre nach der Ermordung Enver Simseks und nachdem bereits insgesamt 9 Menschen getötet wurden, beginnt die Polizei, dank einem jungen engagierten Polizisten, die rassistische Ermittlung zu hinterfragen und in der Neonaziszene zu ermitteln. Semiya hält in Kassel eine Rede, in der sie an ihren Vater und die anderen Opfer erinnert und wird so zum Sprachrohr der Opfer. Die Ermittlung führen erneut ins Leere. Die Familie lebt weitere 5 Jahre, lernt mit den Geschehnissen zu leben, als sie schließlich 2011 endlich die Wahrheit erfahren.

Der zweite Film der Reihe ist die Erinnerung an die Opfer. Er zeigt an der Familie Simsek – Semiya Simseks Biographie wurde als Vorlage für das Drehbuch genommen – das Leid der Familien. Nicht nur, weil sie ein Familienmitglied auf eine schreckliche Art verloren hatten, sondern auch weil sie durch die Polizei verdächtigt, kriminalisiert und nicht ernst genommen wurden. Anders als der erste Film, dessen Motive Wut und Verzweiflung waren, stehen hier die Trauer und der Umgang damit im Vordergrund. Wenn sich Semiya in einzelnen Ausschnitten an ganz alltägliche Situationen mit ihrem Vater erinnert, kann man das Leid der Familien nur erahnen. Dass sie all diese Erlebnisse und die Ignoranz der Behörden verarbeiten konnten, scheint fast wie ein Wunder.

Die Ermittler – Nur für den Dienstgebrauch“

Der letzte Teil behandelt die Geschehnisse aus Sicht der Ermittler. Im Jahr 2011 begehen Mundlos und Böhnhardt einen Banküberfall. Als die Polizei sie in ihrem Wohnwagen umstellt, stecken sie das Wohnmobil in Brand und erschießen sich. Der Polizist Winter, vom Landeskriminalamt trifft ein, während Zschäpe, offenbar von einem anderen Beamten, gewarnt wird und aus einer Wohnung flieht. Es folgt eine lange Rückblende. Winter war bereits 1998, als das Trio untertauchte, an ihnen dran. Von Anfang an stoßen Winter und sein Partner Ahler auf Widerstand. Der Thüringer Verfassungsschutz nährt V-Männer mit finanzieller Unterstützung, behindert die Ermittlungen und lässt Zeugen im Zeugenschutz verschwinden, während im LKA Akten geschreddert und Polizisten, die die richtigen Fragen stellen, entlassen werden. Dabei ist das Trio den Ermittlern scheinbar immer einen Schritt voraus. Winter gibt die Ermittlungen auf, bis der Banküberfall geschieht. Nachdem sich Zschäpe gestellt hat, wird so langsam das Ausmaß der Vertuschung bekannt, so wurde offensichtlich der Tatort, der Wohnwagen, manipuliert. Als Winter einen Zeugen ausfindig macht, der bereit ist, über das volle Ausmaß auszusagen, wird dieser in einem brennenden Auto gefunden, während sich ein anderes Auto vom Tatort entfernt.

Der dritte Teil der Reihe hat viel mehr fiktive Elemente, als die anderen beiden, schafft es jedoch die richtigen Fragen zu stellen. Wer war alles in die Mordserien involviert? Welche Rolle haben der Verfassungsschutz und andere Behörden gespielt? Wie kommt es, dass Zeugen plötzlich sterben?

Der ARD liefert mit der dreiteiligen Filmreihe einen kritischen und unverblümten Blick auf die schlimmste Mordserie der Nachkriegszeit, wobei ganz bewusst Themen, wie rassistische Ermittlungsmethoden, die Unterstützung und Vertuschung durch die Polizei und den Verfassungsschutz, in den Vordergrund gerückt werden. Jeder der Spielfilme, jedoch der erste im Besonderen, sind mehr als empfehlenswert.

Für diejenigen, die das Thema interessiert: Am 18. April veranstaltet die DIDF-Jugend Marburg gemeinsam mit dem Antifaschistischen und Antirassistischen Referat des AStA der Universität Marburg eine Diskussionsveranstaltung mit dem Namen „Die Akte NSU – wohin führt der Prozess?“. Als Referenten sind Stephan Kuhn, Rechtsanwalt von einem der Opfer des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße und Aziz Aslan vom Bundesvorstand der DIDF eingeladen. Die Veranstaltung beginnt um 19:00 Uhr im Hörsaalgebäude Raum 00/0020 Biegenstraße 14, 35037 Marburg.

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