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Musik der Straßen – Straßen der Musik

Yasemen Ilhan

 

Ganz entgegen der Popkultur, die uns tagtäglich von Medien und Co eingetrichtert wird, stellt die Musik auf den Straßen öfters eine ganz andere Kultur, ja sogar eine ganz andere Welt dar. Die Straßenmusik ist mittlerweile ein nicht wegzudenkender Teil jeder Großstadt. Das ist eine kleine Rundreise durch die Straßen und Ecken Kölns, wo uns auch immer der Klang der Musik entgegenkommt.

So langsam tritt die Sonne wieder aus ihrem Versteck und mit ihr auch die Menschen – die beste Gelegenheit, sich auf den Weg Richtung Innenstadt zu machen, um die Winterträgheit ein wenig abzuschütteln. Doch nicht nur die Menschenmengen, die wieder auf den Straßen und Plätzen zu sehen sind, zeigen, dass der Sommer nahe steht. Genauso sind es auch die Stimmen und Klänge der Straßenmusiker aus aller Welt, die die Innenstadt füllen und ihre Hektik ein wenig verschwinden lassen, die dies verkünden.

Angekommen stelle ich mich mitten auf die Schildergasse und lausche in die Menschenmenge hinein. Man könnte jetzt meinen, dass der Lärm einer Großstadt nicht allzu lange auszuhalten ist. Doch im Gegenteil – mich erwartet ein riesiges Orchester oder gar Musical, dessen Musiker verstreut in der ganzen Stadt voneinander unabhängig, aber doch in einer merkwürdigen Harmonie gemeinsam musizieren. Klänge von Gitarren, Geigen, Akkordeons, Flöten, Rasseln und sogar Leierkästen – von allem ist etwas dabei.

„…ohne Musik bleibt unser Herz stehen“

Am Anfang der Straße empfängt mich ein melancholisches Lied, welches sich aus Milans Akkordeon unter die Menschen vermengt. Jedes Mal, wenn sich der Rhythmus der Melodie verschiebt und verändert, atmet der 32-jährige tief ein und spielt sein Instrument mit neuer Leidenschaft. Sein Bruder Janko begleitet ihn dabei mit seiner Geige und scheint die Musik, die sie machen, mindestens genauso stark in sich zu erleben. Die beiden Musiker aus Bulgarien spielen gerne Folklore aus ihrer Heimat, aber genauso gerne auch eigene Kompositionen. „Wenn ich das Ding den ganzen Tag am Hals trage, hab ich abends Rückenschmerzen“, erklärt Milan. Denn der „Weltmeister“, den er in den Händen hält, wiegt um die acht Kilo. „Ich hab´s ein bisschen einfacher, ne?!“, lacht Janko. „Aber egal, ohne Musik bleibt unser Herz stehen“, fügt Milan, ausgelernter Softwaretechniker, hinzu und klopft dabei auf seine Brust. „Am Rhein zu spielen, ist besser. Hier sind Menschen zu gestresst, um Musik zu hören“, bemerkt Janko. Seit knapp fünfzehn Minuten spielen die beiden am Anfang der Fußgängerzone. Gleich müssen sie ihre Instrumente packen und weiterziehen. Denn alle zwanzig Minuten müssen Straßenmusiker in Köln ihren Platz wechseln und mindestens 200 Meter weiterziehen, so steht es in der Kölner Stadtvorschrift.

Doch trotzdem gibt es kaum noch eine weitere Stadt, in der vor allem zur Sommerzeit so viele Menschen im öffentlichen Raum musizieren. Nicht umsonst bezeichnen viele Musiker Köln als „Mekka der freien Künstler“. Denn in den meisten Großstädten muss man sich erst anmelden, um überhaupt auf der Straße Musik machen zu dürfen. Es gibt sogar Stadtverwaltungen, die regelrecht Castings machen und die Musiker zu einer Straßenmusik-und-Stadtambiente-Geeignetheits-Probeanhörung unterziehen. Als ich das gelesen hatte, dachte ich mir auch: „Ist doch ein Witz, oder!?“ Als würde sich ein Mensch, der kaum musikalische Talente aufweist, in Mitten einer Menge oder Stadt aufstellen und drauf los trallern. Diese Verdrossenheit gegenüber etwas Neuem, etwas was eben nicht die populäre Kultur einem vor die Nase hält, ist manchmal unmöglich.

Am anderen Ende der Straße empfängt die Menge auch schon eine ganz andere Art von Musik, nämlich die fröhlichen Klänge einer Drehorgel und ein Mann, gekleidet in Frack und Hut. Die Haare, die unter Werners Hut vor Schweiß kleben, lassen schon ahnen, dass der 51-jährige es nicht ganz einfach hat. Denn der Contergan-geschädigte ist ständig mit seinem ganzen Körper in Bewegung und dreht mit viel Kraft seinen Leierkasten, da er ein kaum funktionierendes Schultergelenk hat. Seit 25 Jahren nun gehört Werner und seine Drehorgel zu der Straßenmusikszene in Köln. Seine muntere Stimmung, freundliche Begrüßung und seinen Hut, hat jeder schon mindestens einmal bemerkt, wenn er durch die Kölner Fußgängerzone geschlendert ist. „Eigentlich bin ich ja Versicherungskaufmann, aber das hier kann ich nicht aus meinem Leben lassen“, sagt Werner lächelnd und weist auf seinen Leierkasten hin. Während er nach 20 Minuten Spielzeit eine Pause einlegt, zählt er auch seine Münzen. Er erklärt, dass er auch öfters auf Veranstaltungen, Hochzeiten oder Geburtstagen spielt. Aber gegen die Musik auf der Straße würde er das andere nicht bevorzugen oder austauschen. „Denn das hier ist Freiheit“, sagt er und zeigt auf die mit Menschen gefüllte Straße. Während Werner sich noch ein wenig ausruht, mache ich mich auf den Weg in Richtung Domplatte.

Die Straße ist die ehrlichste Bühne

In Köln gibt eine schillernde und erfolgreiche Musikszene. Denn zahllose Clubs und Veranstalter laden tagtäglich mit den verschiedensten Attraktionen und glamourösesten Auftritten zu Konzerten ein. Der erste deutsche Musiksender Viva wurde in Köln ins Leben gerufen. Genauso bestimmt auch die Plattenfirma EMI Electrola, deren deutsche Filiale hier in Köln ihren Sitz hat, die Szene. Doch demgegenüber haben Kölns Straßen sehr viele politische und sozialkritische Musiker hervorgebracht und ihnen als Bühne gedient. Magic Street Voices, Don Franco, Crazy und Blue Flower sind nur einige wenige davon. Einer derer, der gegen den Aufzwang der kommerziell populären Kultur kämpft, seit Jahren fast bei jeder Demonstration zu sehen und hören ist und heute als einer der bekanntesten Straßenmusiker Deutschlands unterwegs ist, ist Klaus von Wrochem – oder wie bekannt, Klaus der Geiger. Ihn und seine Band treffe ich am Wallraffplatz an, direkt vor dem Dom. In seiner Latzhose und mit den langen Haaren und dem Bart, kann man sich kaum vorstellen, dass er früher einmal Konzertgeiger feinster Art war und in den bekanntesten Philharmonien Deutschlands gespielt hat. Ebenso interessant, wie die selbstkomponierten Lieder des studierten Geigers, ist auch der Zupfbass, der dem Ganzen seinen Rhythmus verleiht. Eigenhändig gebastelt aus einer alten Kiste, einem Besenstiel und einer Leine ist es mit Abstand das sehenswürdigste Instrument in der Gruppe. Nicht nur die provozierenden Texte lassen die Leute mit neugierigen Blicken einen Kreis um die Band bilden, sondern auch das hervorragende und vor allem schnelle Spielen der Geige lässt die Menge immer größer werden. Eigentlich ist die Straße die ehrlichste Bühne, die es überhaupt gibt, denke ich mir in dem Moment. Denn nur diejenigen, denen deine Musik auch wirklich gefällt, bleiben stehen, um zuzuhören. Das ist vielleicht eines der Gründe, weshalb viele Musiker sie als Bühne bevorzugen. So besteht nämlich auch der direkte und vor allem enge Kontakt zum Publikum – zweifellos.

„Wir brauchen keine Handschellen und keine Armbanduhr, oder?!“, fragt Klaus seine Zuhörer und fängt auch schon an, das Lied zu spielen. Während die Menge am Ende des Liedes noch am Jubeln und Klatschen ist, geht er auch schon in das nächste über. „Avanti o popolo, alla riscossa…“, hört man ihn rufen. Vor kurzem erst hatte die Polizei Klaus in der Kölner Innenstadt mit Gewalt abgeführt, weil er die Passanten mit seiner lauten Musik angeblich stören würde. Gestört von seiner Musik sieht heute die Beifall rufende Menge ja nicht aus. Auch bei seiner letzten Verhaftung war das nicht der Fall. Seine Zuhörer versuchten sogar, ihn aus den Händen der Polizei zu befreien. Und das war nicht die erste Verhaftung, die Klaus erleben musste. Der Unterschied bei dieser Festnahme war jedoch, dass die brutale Art und Weise der Polizei zufällig durch einen Reporter aufgezeichnet worden war. Dieser machte aus dem aufgenommenen Material eine ganze Sendung. Daraufhin entschuldigte man sich schon fast mit der ganzen Truppe bei Klaus, da der Fall langsam peinlich wurde. „Seit dem lassen sie mich in Ruhe“. So langsam mache ich mich auf den Weg nach Hause.

Die Musik auf den Straßen ist mittlerweile zweifellos ein Teil vom Stadtleben geworden. Erst wenn sich die ersten Straßenmusiker wieder blicken lassen, merkt man dies vor allem. Denn den ganzen Winter über hat man diese Stimmung auf den Straßen vermisst. Mehr als die Stimmung ist es eher die Kultur, die Straßenmusik mit sich trägt, die einem fehlt. Denn die Straße ist ein Ort und vor allem eine Quelle, aus der viel geschöpft werden kann, da das Alltägliche, das einen stört, erfreut, erdrückt, kränkt, ermuntert, Hoffnung macht oder auch beruhigt auf ihr erlebt und gelebt wird. Dieses Erlebte färbt sich wiederum auch auf die Musik, die auf den Straßen gemacht wird, ab. Denn im Gegensatz zu dem kommerziellen Etwas, welches durch Medien als Kultur und vor allem als Musik – über die irrsinnigen und primitiven Inhalte dieser Lieder möchte ich mich hier gar nicht aufregen – uns vorgesetzt wird, ist die Kultur, die wir eigentlich leben bzw. uns dem bewusst werden müssen, eine ganz andere.

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