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Nach den Wahlen ist wieder einmal vor den Wahlen

Mehmet Çallı

Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am 27. März wird vielerorts mit dem in letzter Zeit in Mode gekommenen Wort “Zäsur” gekennzeichnet. In Baden-Württemberg, wo die CDU seit 58 Jahr ununterbrochen regiert hat, muß sie jetzt auf die Oppositionsbank.
Der Verlust dieser Hochburg ruft die Ergebnisse der Landtagswahl in NRW im Sommer 2005 in Erinnerung, als die SPD nach 39 Jahren Regierung in die Opposition gehen mußte. Dieses Ergebnis hatte die damalige rot-grüne Bundesregierung veranlaßt, vorgezogene Bundestagswahlen auszurufen, um weitere Stimmenverluste zu verhindern. Welche Folgen der Wahlausgang im Ländle haben wird, bleibt abzuwarten. Sicher ist allerdings, dass die Ergebnisse der letzten vier Landtagswahlen in diesem Jahr zu einer scharfen Diskussion über Personalfragen, aber vor allem über die Ausrichtung der Union in wichtigen Politikfeldern wie Atomenergie führen wird.
Verluste der “Volksparteien” dauern an
Auch für die Sozialdemokraten brachten die Wahlen die insbesondere nach der Hamburger Bürgerschaftswahl erhoffte Trendwende bzw. den erhofften Befreiungsschlag nicht. In Baden-Württemberg, wo sie seit knapp seit sechs Jahrzehnten die Opposition anführt, konnte sie aus den Verlusten der Union kein Kapital für sich schlagen und fielen hinter die Grünen. Dass sie als Juniorpartner in der künftigen grün-roten Koalition an der Regierung beteiligt sein wird, stellt allerdings für die SPD einen sehr starken Trost dar, der zur Schönmalerei der Rekordtief-Ergebnisse dient.
Auch in Rheinland-Pfalz wird sie weiterhin im Regierungsgeschäft bleiben. Da stören die Verluste von fast 10 Prozent und die Tatsache, dass sie auf den grünen Koalitionspartner angewiesen sein wird, die Parteiführung kaum. Beide Ergebnisse zeigen, dass der Höhenflug von Hamburg eher ein Strohfeuer war und mit einer Bruchlandung endete.
Jedenfalls kann man aus den Ergebnissen vom letzten Wochenende herauslesen, dass die Zeit der “großen Volksparteien” bzw. ihrer Alleinherrschaft längst in naher Zukunft nicht zurückkehren und das Hamburger Beispiel eher die Ausnahme bleiben wird, die die Ausnahme bestätigt. Es ist eher damit zu rechnen, dass auch in der Union der Trend nach unten sich in den nächsten Jahren fortsetzen und zumindest bis zu den Bundestagswahlen im Jahr 2013 anhalten wird.
Eine mögliche Konsequenz dieser zu erwartenden Entwicklung wird die Basis für eine Diskussion darüber schaffen, ob in der Bundesrepublik eine neue Partei, die rechts von der Union steht, Aussicht auf Erfolg haben kann. Mit der fortgesetzten Politik der sozialen Ungerechtigkeit und des Abbaus demokratischer Rechte wird sie weiter Nahrung bekommen. Dass Parteien wie die NPD bei den letzten Wahlen keinen Erfolg hatten, wird diese Debatte nicht hemmen.
Warum können Grüne strahlen?
Der Wahlausgang von Baden-Württemberg stellt aus der Sicht der Grünen sicherlich eine Zäsur dar. Dass sie jetzt im traditionell konservativen Schwabenland den Ministerpräsidenten stellen können, ist sicherlich darauf zurückzuführen, das sie bei der Bewegung gegen Stuttgart 21 und der aktuellen Anti-Atombewegung eine führende Rolle spielten. Der Wahlerfolg einer Partei, deren Ursprünge auf die Friedens- und Anti-AKW-Bewegung Ende der 70er Jahre zurückgehen, ist vor diesem Hintergrund nur plausibel. Dass sie allerdings während ihrer Regierungsbeteiligung 1998-2005 auf Bundesebene mit ihrer Zustimmung zu Kriegen und zum Sozialabbau eine ganz andere Rolle spielten und sozusagen ihr wahres Gesicht zeigten, gerieten bei diesen Wahlen in den Hintergrund. Die in diesen Jahren entstandenen Schäden konnten sie allerdings mithilfe der aktuellen Ereignisse in Japan und der daraus resultierenden AKW-Debatte wettmachen. Mit anderen Worten kam diese Debatte nicht den drei anderen unter den etablierten Parteien, sondern aufgrund der Spezifik der aktuellen Debatte ausschließlich den Grünen zugute.
Ein anderer Grund für die Erklärung ihres Erfolges liegt wohl darin, dass sie die gleichen sozialen Schichten ansprechen wie die FDP. Die Wahlanalysen zeigen, dass die Wählerwanderung von der FDP zu den Grünen einen wichtigen Beitrag zum Endergebnis geleistet haben.
Dass die Liberalen, die bei der Bundestagswahl 14 Prozent erzielten, jetzt in Baden-Württemberg knapp und in Rheinland-Pfalz nicht in den Landtag einziehen konnten, macht die Rufe nach einer schonungslosen Personaldebatte in der FDP lauter. Schonungslos bedeutet in der Regel dann auch, dass am Stuhl des Parteivorsitzenden gerüttelt und womöglich gesägt wird. Da diese Debatte weitreichende Folgen auf den Vizekanzler und somit die Koalition hätte, kann der Fortgang der angestoßenen parteiinternen Debatte mit Spannung verfolgt werden.
Wähler auf der Suche
Wenn man die Ergebnisse der vier Landtagswahlen in diesem Jahr näher betrachtet, an denen insgesamt 11,3 Mio. Wähler teilnahmen, bietet sich uns folgendes Gesamtbild:
1. Der Vertrauensverlust in die beiden großen Akteure des politischen Systems, CDU und SPD geht weiter. Die SPD konnte keine Trendwende erreichen. Die Union, die sich mit Ach und Krach diesem Trend entgegenstemmen konnte, wurde jetzt endgültig in dessen Sog gezogen. Das wird auch bei den Bundestagswahlen 2013 seine Auswirkungen haben.
2. Die kleinen Parteien wie die Grünen und die FDP können nicht zurücklehnen und ihre Erfolge als nachhaltig feiern. Die Höhenflüge entpuppen sich in der Regel als kurzlebig. Das Beben in der FDP wird zu einigen größeren Nachbeben führen und somit werden die entstandenen Risse weitere Einstürze im liberalen Haus verursachen. Der Rücktritt des Wirtschaftsministers Brüderle dürfte keine Einzelentscheidung bleiben.
Die Grünen bauen sich immer mehr zu einer Partei der Besserverdiener aus. Die mit ihr Identifizierten Themen wie Kernenergie, Klimawandel etc. führen dazu, dass sie auch bei den jüngeren Generationen aufgrund der vorhandenen Zukunftsängste immer stärker Zuspruch bekommen. Die Regierungsbeteiligungen werden aber ihren Höhenflug stoppen.
3. Die Linke konnte bei den letzten vier Landtagswahlen keine Erfolge verbuchen. In Hamburg und Sachsen-Anhalt konnte sie ihr Ergebnis halten bzw. kam mit kleineren Schrammen davon. Dass sie den Einzug in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verpaßte, ist aber ein herber Verlust, auch wenn man dafür einige Gründe aufzählen kann.
Allerdings muß man sagen, dass der Rücktritt Lafontaines vom Parteivorsitz und die danach erfolgten parteiinternen Debatten zu diesen Ergebnissen geführt haben.
Fazit
Abschließend kann man konstatieren, dass die „großen Volksparteien“ als Hauptstützen des Systems immer stärker unter Vertrauensverlust leiden. Der aktuelle Erfolg der kleineren Parteien, die die von den „Großen“ verursachten Lücken zu füllen versuchen, ist aber nicht nachhaltig sein. Das wiederum zeigt, dass die Wählerinnen und Wähler ihre Suche nach Alternativen fortsetzen werden.

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