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„Niedriglohnbereich aufräumen“

Serdar Derventli
Interview mit Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes

Herr Schneider, warum sind Sie gegen Erhöhung des Regelsatzes um 5 Euro?
Bei der Erstellung dieser Zahl wurden Tricks angewandt um die Erhöhung künstlich niedrig zu halten. Die Erhöhung um  5 Euro reicht nicht aus, um eine Verbesserung der Einkommenssituation zur erreichen. Deswegen sind wir dagegen. Man müsste die Einkommenssituation so, verbessern dass die Menschen eine Chance haben, mit ihrem wenigen Geld über die Runden zu kommen.

Meinen Sie nicht, dass 364 Euro pro Monat für einen Alleinstehenden ausreichen?
Die Alltagserfahrung lehrt, dass es auf keinen Fall reicht. Zumal die Menschen,  die Hartz IV beziehen, weitere Zahlungsverpflichtungen haben, zum Beispiel bei Ratengeschäften oder Schulden, die sie abzahlen müssen. Es reicht vorne und hinten nicht.

Sie sagten vorhin, dass getrickst wurde. Die Zahlen wurden doch vom DESTATIS erstellt.
Bei der Erstellung und Berechnung dieser Daten ist statistisch getrickst worden. Die Daten wurden zu klein gerechnet, damit möglichst wenig Kosten für den Bundeshaushalt anfallen.  Mit der Lebensrealität haben diese Zahlen nichts zu tun.

Was ist genau daran falsch?
Es ist sehr kompliziert. Vereinfacht kann man sagen. Man hat die Bezugsgruppe, von der man die Regelsätze ableitet, einfach eine neue  genommen. Das heißt, die Bezugsgruppe wurde „ausgetauscht“. Man hat so wesentlich ärmere Menschen für die Berechnungen herangezogen, als bei den früheren Berechnungen. Dadurch konnte man de Regelsätze klein halten.

Herr Schneider, alle reden jetzt darüber ob 5 Euro Erhöhung genug sind. Die Bundesregierung plant im Rahmen des Sparpaket  das Elterngeld für Hartz IV Bezieher abzuschaffen, den Heizkostenzuschlag nicht mehr zu zahlen. Gleiches gilt auch für die Beiträge an die Rentenkasse.
Ja genau! Im Grunde genommen finanziert sich diese Erhöhung durch die geplanten Kürzungen bei Hartz IV Beziehern selbst. Durch die Streichung es Elterngeldes bei Hartz IV Empfängern, werden 400 Millionen Euro eingespart. Wenn man dazu weiter die geplanten 1 Milliarde Euro hinzuzählt, die durch die Streichung der Rentenversicherungsbeiträge bei Hartz IV Beziehern gespart werden, kommt man im Grunde genau auf die Summe, die sich durch die Erhöhung des Regelsatzes ergibt. Hier wird ein Nullsummen-Spiel betrieben.

Können sie uns vielleicht ein Zahl nennen, bei der man sagen kann: Das müsste ein Mensch haben…
…jeder Regelsatz der unter 400 Euro liegt ist nicht akzeptabel!

Und wie hoch müsste diese Zahl sein, bei der gelten kann: Damit kann er oder sie menschenwürdig leben?
Nach unseren  Berechnungen, die älteren Datums sind, etwa 420 Euro.

420 Euro?
Ja.
Laut einer Emnid Umfrage, sind 56 Prozent der Deutschen dagegen, den Regelsatz für Hartz IV überhaupt zur erhöhen. Wie begründen Sie diese ablehnende Haltung?
Die Menschen haben Angst davor, dass sie mit einer Hartz IV Erhöhung, mit noch mehr Steuererhöhungen belastet werden. Diese Angst kommt daher, weil eben viele Menschen im Niedriglohnbereich arbeiten und so wenig verdienen, dass sie in der Tat keinen einzigen Euro entbehren können. Daher müssen klare politische Signale gesetzt werden. Wir müssen deutlich machen, dass wir die Erhöhung des Regelsatzes gerecht finanzieren wollen – mit einer Erhebung der Vermögenssteuer, durch eine Erhöhung der Erbschaftssteuer und durch eine Erhöhung der Spitzensteuersätze. Dann werden auch breite Teile der Bevölkerung der Erhöhung des Regelsatzes zustimmen.
Man müsste auch im Niedriglohnbereich „aufräumen“.  Wir brauchen dort einen Mindestlohn. Er wäre auch ein Signal dafür, dass Arbeit einen Wert hat. Wir dürfen uns aber nichts vormachen. Bei Familien mit Kindern, wird auch kein Mindestlohn nicht allein reichen, um Armut zu bekämpfen. Dazu brauchen wir „gutes“ Kindergeld, „gute“ Kinderzuschläge und „gutes“ Kindergeld.

In den Diskussionen um Hartz IV werden öfters Menschen mit Migrantionshintergrund, aber auch Sozialschwache, auf die Zielscheibe gesetzt. Diese Gruppen seien keine Leistungsträger, würden sich nur über Hartz IV finanzieren lassen und „neue Kopftuchträgerinnen produzieren“. Als Stichwort möchte ich da nicht nur Herrn Sarrazin nennen, sondern auch die Herren Peter Sloterdijk und Gunnar Hainsohn. Letzterer spricht sich sogar dafür aus, dass staatliche Unterstützungen nur für einen begrenzten Zeitraum gewährt werden. Was halten Sie von dieser Debatte? Wie wirken sie sich Ihrer Meinung nach auf die gesellschaftliche Klima aus?
Es geht dabei deutlich darum die Ausländer, Menschen mit Migrationshintergrund, dazu zähle ich auch Deutsche mit Migrationshintergrund, zu diskriminieren. Es ist der Versuch, Sündenböcke zu finden für die aktuellen Sozialkürzungen. Es ist eine außerordentliche und törichte Diskussion. Junge Menschen mit Migrationshintergrund haben ein ungeheures Potenzial, welches wir endlich fördern müssen. Dies wäre gut für ganz Deutschland.

Bei dieser Debatte geht es ja nicht nur um Menschen mit Migrationshintergrund. In dem Buch von Sarrazin geht es erstmal nur um die Sozialschwachen. Die, nach Sarrazins Meinung, in ihren Wohnungen“ rumsitzen, rauchen, Bier trinken und dabei Fernsehen.“
Es ist eine interessengeleitete Kampagne, wenn es darum geht Sozialleistungen zu kürzen. Menschen, die Sozialleistungen beziehen, werden so für ihr Schicksal beschuldigt. Die Rechnung ist einfach. Denn dadurch kann man weitere Kürzungen bei den Sozialleistungen legitimieren. Es ist ein durchsichtiger Versuch. Wir aber tun alles, um dem entgegen zu wirken und diese Zerrbilder über sozialschwache Menschen zu korrigieren.

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