Am 14. Oktober 2025 sagte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bei einem Besuch in Brandenburg: „Bei der Migration sind wir sehr weit. Wir haben die Zahlen im Vergleich August 24 zu August 25 um 60 % nach unten gebracht, aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem.“ Später verteidigte er seine Aussage weiter: „Ich habe gar nichts zurückzunehmen. Fragen Sie Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte.“
Merz sprach nicht als Einzelperson, sondern als Vertreter einer politischen und ökonomischen Klasse, die rassistische Diskurse systematisch nutzt, um soziale Spaltung zu sichern. Rassismus ist hier kein moralischer Fehltritt, sondern ein Herrschaftsinstrument – ein Mittel, um gesellschaftliche Ungleichheit zu stabilisieren.
Diese Rhetorik verschiebt soziale Konflikte ins Kulturelle. Nicht Anhäufung von Reichtum oder Klassenpolitik stehen im Fokus, sondern Äußerlichkeiten. Wer arm, migrantisch oder prekarisiert ist, stört nicht, weil er arm ist, sondern weil er „nicht ins Stadtbild passt“. So wird ökonomische Ungleichheit kulturell untermauert. Die Wut über sinkende Lebensstandards richtet sich nicht gegen die Besitzenden, sondern gegen jene, die am unteren Ende der Lohnleiter stehen.
Ein Blick in die Statistik zeigt, wie zentral migrantische Arbeitskraft für den deutschen Kapitalismus ist. Laut Statistischem Bundesamt hatten 2024 rund 26 % aller Beschäftigten eine Einwanderungsgeschichte. In den sogenannten Engpassberufen, also jenen mit akutem Fachkräftemangel, liegt der Anteil jedoch weit höher: 60 % in der Schweiß- und Verbindungstechnik, 54 % in der Lebensmittelherstellung, 48 % im Gerüstbau, 47 % bei Fahrerinnen und Fahrern im ÖPNV, 46 % in der Fleischverarbeitung, 45 % im Gastronomieservice, Kunststoff- und Kautschukverarbeitung (44 %), Metallbearbeitung (37 %), Güterverkehr (39 %) und Elektrotechnik (30 %) sind ähnliche Anteile zu verzeichnen. Auch in sozialen Berufen sind Migrantinnen und Migranten tragend: In der Altenpflege hat ein Drittel (33 %) eine Einwanderungsgeschichte.
Merz’ Worte markieren keinen Ausrutscher, sondern eine Anpassung an den weltweit autoritären Zeitgeist. Die CDU übernimmt Begriffe und Weltbilder der Trumps, Orbans, Melonis und der AfD, um selbst „realpolitisch“ zu wirken. Merkels Ära der liberalen Migrationspolitik ist endgültig vorbei. Anstatt über soziale Fragen – Löhne, Reichtum, Wohnen, Klima – zu sprechen, verengt sich die Debatte auf kulturelle Identität.
Antirassismus ist keine moralische Haltung, sondern Klassenpolitik. Er bedeutet, die Spaltung der Lohnabhängigen aufzuheben und gleiche Rechte, gleiche Löhne und ein Zusammenleben zu fordern. Merz sprach nur offen aus, was die deutsche Wirtschaft heute benötigt: Menschen, die den kapitalistischen Normalzustand sichtbar stören, sollen unsichtbar gemacht werden. Der Kampf dagegen kann nicht moralische Empörung sein, sondern entschlossener Kampf gegen Armut und Ausgrenzung, für eine Gesellschaft, in der Arbeit, Würde und Sichtbarkeit keine Frage der Herkunft sind.

