Das Telefonat von Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin am 15. November, die erste direkte Kommunikation seit fast zwei Jahren und fast drei Jahre nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine, weckt neue Hoffnungen auf Frieden, Verhandlungen und diplomatischen Dialog. Wie die Presse berichtete, tauschten sich die beiden Staatschefs während des Telefonats, das eine Stunde gedauert haben soll, darüber aus, wie und unter welchen Bedingungen der russisch-ukrainische Krieg beendet werden könnte.
Telefondiplomatie oder Wahlkampfauftakt?
Das Bundeskanzleramt teilte mit, dass Bundeskanzler Scholz sowohl vor, als auch nach dem Gespräch mit Präsident Putin mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gesprochen habe und auch die westlichen Verbündeten über sein Vorhaben informiert gewesen seien. Am Tag nach dem Telefonat kam Kritik aus Polen und der Ukraine, man liefere Putin Propagandamaterial. Dieser verstehe nichts von Diplomatie, sondern werte Scholz‘ Anruf wohl als Schwäche.
Der weitere Verlauf der von Scholz angestoßenen Diplomatie wird davon abhängen, ob aus dem diplomatischen Austausch hinter verschlossenen Türen tatsächlich etwas wird.
Das Timing von Scholz‘ Telefondiplomatie ist natürlich bemerkenswert: Die wichtigsten Entwicklungen waren der erdrutschartige Wahlsieg von Donald Trump in den USA und die Auflösung der von Scholz geführten Koalitionsregierung in Deutschland und die Entscheidung für vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar.
Es ist kein Geheimnis, dass es nach dem Amtsantritt Trumps am 20. Januar einige Änderungen in der Ukraine-Politik geben wird. Die wichtigste ist wohl die Reduzierung der wirtschaftlichen und militärischen Unterstützung der USA für die Ukraine, wobei die Rechnung für eine fortgesetzte Eskalationspolitik an Europa weitergereicht wird.
Scholz‘ Stimmenkalkül in der Ukraine
Es ist mehr oder weniger absehbar, dass Deutschland – nach den USA der größte militärische und wirtschaftliche Unterstützer der Ukraine – nicht in der Lage sein wird, das bisherige Maß an Unterstützung aufrechtzuerhalten. Ex-Finanzminister Christian Lindner und seine FDP lehnen eine Aufhebung der Schuldenbremse für den Nachtragshaushalt ab, um der Ukraine mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellen zu können, während Scholz und seine SPD argumentieren, dass eine höhere Kreditaufnahme die notwendige Hilfe für die Ukraine ermöglichen würde, während soziale Einschränkungen in einigen Bereichen dennoch vorgenommen werden müssten, aber grundsätzlich finanzierbar seien. Lindner hingegen wollte die Hilfe für die Ukraine fortsetzen, aber soziale Einschnitte vornehmen, um das geforderte Budget einhalten zu können. Das Ausscheiden Lindners und seiner Partei aus der Regierung, die zusammen mit dem anderen Koalitionspartner, den Grünen, eher für eine deutsche Kriegsbeteiligung eintraten, scheint Scholz gestärkt zu haben. Der Widerstand innerhalb der Regierung gegen einen Politikwechsel könnte durch die Verlängerung des Krieges und die Wahl Trumps teilweise geschwächt worden sein. Dies scheint Scholz trotz seiner politischen Schwächung mehr Spielraum zu geben.
Ein weiterer, vielleicht der wichtigste Grund für Scholz‘ „Telefondiplomatie“ mit Putin ist der vorgezogene Wahlkampf. Ein erheblicher Teil der Wähler, die gegen die Kriegspolitik der Regierung sind, wählen jetzt die Alternative für Deutschland (AfD) und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Scholz hofft, bis zum 23. Februar einen Teil der verlorenen Wähler zurückgewinnen zu können. Als „Friedenskanzler“ könnte er dabei Rückenwind bekommen. Inwieweit die innen- und außenpolitischen Kräfteverhältnisse dies zulassen, ist jedoch unklar. Viele Wähler haben für das BSW gestimmt, das mehr diplomatische Initiativen fordert, um den Krieg zu beenden. Jetzt kann der Kanzler sagen: Er redet mit Putin. Das Telefonat dürfte Scholz im Wahlkampf nicht ungelegen kommen.
Krieg kann sich jederzeit ausbreiten
Der Zeitpunkt des Telefonats von Scholz mit Putin wird bereits kritisiert. Selenskyj, der über das Treffen vorab informiert war, bezeichnete das Telefonat von Scholz mit Putin als „Öffnung der Büchse der Pandora“ und als Beitrag zur Aufhebung der Isolation Russlands. In derselben Erklärung deutete Selenskyj aber auch an, dass der Krieg 2025 enden könnte. Nach den Äußerungen der letzten Tage zu urteilen, haben sich Russland, die Ukraine und Deutschland dem Verhandlungstisch nicht verschlossen. Allerdings gibt es keine belastbaren Daten und Hinweise, ob dies vor dem 20. Januar oder dem 23. Februar geschehen wird.
Auf der anderen Seite gibt es Bestrebungen, den Krieg zu verlängern. Der polnische Premierminister Donald Tusk und die finnische Außenministerin Elina Valtonen gehörten zu denen, die das Telefonat von Scholz mit Putin kritisierten. Unmittelbar nach dem Telefonat haben die USA offenbar der Ukraine die Stationierung von US-Langstreckenwaffen (ATACMS) gegen Russland erlaubt, wie mehrere US-Medien übereinstimmend berichten. Sowohl in den USA als auch in der Ukraine äußern sich offizielle Vertreter zurückhaltend. US-Präsident Joe Biden hat die Berichte bislang nicht bestätigt.
Deutschland hat bereits eine ähnliche Genehmigung für „Verteidigungszwecke“ erteilt. Nach diesen Genehmigungen zu urteilen, sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich der Krieg jederzeit auf ein größeres Gebiet ausweiten kann. Eine weitere Eskalation des Krieges zwischen Russland und der Ukraine könnte Trump daran hindern, seine Wahlversprechen zu erfüllen, auch wenn er das nicht will. Eine solche Situation könnte aber auch Scholz‘ Titel als „Friedenskanzler“ gefährden. Die Ukraine könnte auch um die Erlaubnis bitten, von Deutschland und den USA gelieferte Langstreckenwaffen gegen Russland einzusetzen, um Russland zurückzudrängen oder sich zumindest eine bessere Ausgangsposition für Verhandlungen zu verschaffen.