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Sie lieben den Fußball und hassen die WM

Am 12. Juni startete die Fußballweltmeisterschaft in Brasilien; für viele wohl das wichtigste Sportereignis. Die WM wurde bereits im Vorfeld wegen Gentrifizierung, Ausbeutung und sozialen Kämpfen mit Protest begleitet. Denn Fußball ist schon längst nicht mehr bloßer Sport, er ist knallharte Politik und unterliegt Wirtschaftsinteressen.

 

Vom Turnier profitieren die FIFA und große Baukonzerne. Die brasilianische Bevölkerung hingegen ist konfrontiert mit steigenden Mord- und Überfallraten, Verkehrschaos, Enteignungen und Vertreibung.

Seit Beginn der Massenproteste vor einem Jahr haben Hunderttausende dagegen demonstriert, dass so viel öffentliches Geld für Stadien, Sicherheitsmaßnahmen, Infrastruktur, Hotels und andere teure Prestigeprojekte ausgeben wird. Während eine gigantische Summe von über 10 Mrd. Euro für die WM ausgegeben wird, ist viel zu wenig Geld für soziale Sicherungssysteme, medizinische Versorgung und Bildung vorhanden. Dieser Megaevent wird als Vorwand benutzt, um eine Reihe ökonomischer und politischer Ziele durchzusetzen bei der es vor allem um Kapitalvermehrung geht. Bei großen Sportereignissen wie einer WM werden riesige Kapitalsummen umgesetzt. Die Bevölkerung vor Ort profitiert davon allerdings nicht. Ganz im Gegenteil: Sie hat das Nachsehen. Es fehlt an bezahlbarem Wohnraum, Infrastruktur und ausreichenden Löhnen. Die Proteste kommen also nicht aus heiterem Himmel. Schon im Juni 2013 eskalierten in Brasilien die Proteste. Auslöser waren die Preissteigerung von Mieten, die inzwischen um ein vierfaches gestiegen sind und die Fahrtkostenerhöhung im Nahverkehr. Für die WM wurden hunderttausende Menschen umgesiedelt, Mieten stiegen exorbitant, während gleichzeitig sieben Millionen Wohnungen fehlen. Die Folge ist Obdachlosigkeit.

Die Armen des Landes sollen nun auch aus den Fernsehbildern, die weltweit gesehen werden, verschwinden. Doch der wahre Preis der Fußball WM kostet Menschenleben. Straßenkinder verschwinden nach und nach und fallen dem „Säuberungsprogramm“ der Stadt zum Opfer.

Die Nation im Gastgeberland ist gespalten. Während die Präsidentin Dilma Roussef nur noch von der „Weltmeisterschaft aller Weltmeisterschaften“ schwärmt und soziale Gerechtigkeit predigt, ist die Stimmung bei den WM-Gegnern auf dem Nullpunkt. Selbst den eingefleischten Fußballanhängern Rios fällt es schwer, mit der WM zu sympathisieren. Traditionell gehören eher die unteren Einkommensschichten zu den Fußballbegeisterten, sowie viele der armen Favelabewohner, die das Gros von Rio de Janeiros Fußballfans stellen. Doch die gigantischen Eintrittspreise kann sich kaum jemand leisten und so bleiben die sportbegeisterten Massen außerhalb der neu gebauten Stadien. Nur eine kleine brasilianische Elite wird dem Spektakel in den Stadien folgen. Die Brasilianer lieben Fußball, aber hassen die WM und die Kritik an der Regierung und auch an der FIFA geraten immer mehr in den Mittelpunkt dieser Spiele. Die FIFA inszeniert den Fußball als völkerverbindendes Spiel und sich selbst als wohltätige Familie, die der Menschheit Gutes bringt – Fußball, Tore, Verzauberung, Leidenschaft. Dabei ist sie eine Einrichtung, die für Ungleichheit, Ungerechtigkeit und blinden Konsum steht. Sie unterstützt mächtige Finanzgruppen und Investoren auf illegale Art und Weise und ist durch korrupte Strukturen im öffentlichen und privaten Bereich gekennzeichnet. Das aktuelle Beispiel Beckenbauer ist keine Ausnahme. Während der letzten 35 Jahre, unter den Präsidenten Havelange und Blatter, ist es der FIFA gelungen, um das zentrale Produkt der Fußballweltmeisterschaft ein abgeschottetes System zu gründen. Damit wird der globale politische Einfluss, die globale Vernetzung mit der organisierten Kriminalität und maximale persönliche Bereicherung einiger skrupelloser Sportfunktionäre miteinander verbunden. Die FIFA diktiert den Ausrichtern die Bedingungen für ihr milliardenschweres Spektakel und lässt sich für die Einnahmen Steuerfreiheit garantieren. Die brasilianische Regierung verspricht erhebliche Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung, doch die Bilanz ist fragwürdig. Die bereits feststehenden Gewinner sind die FIFA und die großen Bauunternehmen, die ein milliardenschweres Geschäft mit der WM machen und etwa drei Milliarden Euro an Gewinn erzielen werden.

Wenn uns in den nächsten Wochen, die vielen bunten Flaggen um die Ohren wehen, sollte man bei all der Euphorie und der Liebe zum Fußball bedenken, welche Maschinerie hinter diesem Ereignis steckt, der Fußball selbst schon längst in den Hintergrund gerückt ist und für den Profit instrumentalisiert wird. Für die WM wurden ganze Wohnviertel dem Erdboden gleichgemacht, um neue Stadien zu erbauen, Menschen wurden vertrieben, ihre Heime und ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage wurde ihnen genommen, Demonstranten wurden niedergeknüppelt und Aktivisten verhaftet. Die Brasilianer tun Recht daran, sich dagegen zu wehren und für ihre sozialen Rechte auf die Straße zu gehen. Sie brauchen weiterhin weltweite solidarische Unterstützung, für eine Weltmeisterschaft der Menschen, nicht des Profits!

Ceyda Turan

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