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„Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“

Gegen den Terror des Islamischen Staates (IS) im Nordirak in der Stadt Sengal fanden bundesweit viele Protestveranstaltungen und Demonstrationen statt. Viele Demonstranten trugen weiße Kittel, die mit roter Farbe befleckt waren. Mehrere Demonstranten hielten unterschiedliche Plakate, auf denen „Schützt die Minderheiten“, „ STOPPT IS“, oder „EU finanziert, IS bombardiert“ stand. Insbesondere forderte man die EU-Staaten und die Amerika auf, keine Waffen an die IS weder mittelbar noch unmittelbar zu liefern. In Siegen begann die Kundgebung mit einer Eröffnungsrede von Ziyad Yousef, dem Vorsitzenden des Êzidischen Vereins in Siegen. In seiner Rede verdeutlichte er, dass man nicht nur ein Zeichen gegen die Morde an den Êziden, sondern auch gegen Faschismus, Religionshass und gegenseitige Vorurteile setzen müsse. Er warnte davor, Religionen zu instrumentalisieren um damit anschließend ganze Völker gegeneinander aufzuhetzen. Ein weiterer Redner betonte, dass die Freiheit der Êziden und des kurdischen Volkes nicht in der Hand der westlichen Mächte liegen dürfe, sondern ganz und allein in der Hand der kurdischen Bevölkerung sein müsse.

Wir hatten die Möglichkeit, mit Ziyad Yousef über die Situation vor Ort zu sprechen. Yousef ist Mitglied des Êzidischen Vereins in Siegen. Mit 4 Jahren verließ er mit seinen Eltern Syrien und  migrierte nach Deutschland eingewandert ist. Im Interview berichtet er über die katastrophale Lage in Sengal.

 

Wir möchten Gleichheit aller Konfessionen

Es gibt viele Menschen sowohl im Irak als auch in Syrien, die unterschiedlichen Kulturen und Religionen angehören. Dennoch werden am stärksten die Êziden unterdrückt. Kannst du dir das erklären?

Die Extremisten des Islams, also die Mitglieder des IS, glauben daran, dass die Êziden den Teufel anbeten und ungläubig sind, also sogenannte „Kafirs“. Sie sind der Meinung, dass der Êzidentum und auch der Christentum und Judentum Verräter Gottes seien. Für die ist jeder, der den Koran nicht akzeptiert ein Ungläubiger und das möchten sie unterbinden. Bei uns Êziden ist es so, dass es keinen Propheten, wie z.B. Mohammed oder Jesus gibt. Bei uns gibt es sieben Engel, die direkt unter Gott stehen. Wir glauben auch nicht an das Böse, den Gott nicht bekämpfen kann. Wenn Gott das Böse nicht bekämpfen kann, dann wäre er unserer Meinung nach fehlbar und wenn Gott fehlbar ist, dann würde er seiner Natur widersprechen und er wäre nicht mehr Gott. Und deswegen glauben wir nicht an das Böse. Es gibt das dualistische Böse im System, aber nicht religiös bedingt. Und deswegen sagen wir: Wir glauben nur an Gott und seine Engel. Es gibt nichts Böses und keine Hölle, dass er nicht bekämpfen kann. Der Tausi Melek, also der Erzengel, den die Islamisten als Teufel ansehen, achtet auf die Menschen. Diesen Glauben akzeptieren die Mitglieder IS nicht bzw. möchten es nicht akzeptieren.

 

Habt ihr Verwandte oder Freunde in Syrien? Wenn ja, habt ihr Kontakt zu denen?

Bekannte haben wir natürlich. In Syrien geht es denen soweit ganz gut. Im Irak aber gar nicht. Gestern haben wir mit einem Bekannten telefoniert. Er berichtete, dass die IS kurz vor Schichan, die Stadt, wo unsere heilige Kirche sich befindet, ist. Wir haben nur diese eine Kirche, aber die wird auch dem Erdboden gleichgemacht, wenn die IS dort ankommt.

Was hat die Föderation der Êzidischen Vereine e.V. in Deutschland bisher unternommen?

Seit dem 2. August, also seitdem die IS im Vormarsch ist, haben wir alle möglichen Hebel in Gang gesetzt. In Berlin haben wir mit den Führungspositionen geredet in der Hoffnung, dass es Hilfe kommt. Zunächst einmal humanitäre Hilfe und wenn es sogar auch geht Intervention. Je nachdem ob Waffenlieferung oder andere Sachen. Wir müssen auch darauf achten, dass wir nicht nur über Êziden reden. Auch Christen und Aramäer werden von der IS bekriegt. Diese Leute müssen das Recht haben, sich zu verteidigen. Egal in welcher Form. Sie müssen sich wehren können.

 

Wie ist die Stimmung? Haben die Geschehnisse die Atmosphäre im Privatleben verändert?

Die Stimmung ist natürlich nicht prickelnd. Wir sitzen die ganze Zeit vor den kurdischen Sendern und gucken uns die Nachrichten an. Das ist auch wieder eine Sache. Die europäischen Sender strahlen nicht alles aus. Letzten Abend haben sie ein kleines Dorf namens Koco angegriffen. Sie haben 600 Männer in eine Reihe gestellt und erschossen. Die Mädchen haben sie mit den Bussen zum Bazzar transportiert und zum Verkauf angeboten. Die werden zum größten Teil mittlerweile geschändet, was nicht mehr menschlich ist. Die nehmen die kleinen Mädchen, stecken sie in Zimmer rein und von Zimmer zu Zimmer werden sie vergewaltigt. Dann werden sie gezwungen die Mütter anzurufen, um zu berichten, was mit ihnen gemacht wurde. Die männlichen Christen stellen sich darauf ein, erschossen zu werden, aber man tötet sie nicht. Stattdessen werden sie durch Beschneidung zwangsislamisiert.  Es sind Handlungen dabei, die hat man in dieser Form noch nie gesehen. Dann sitzen wir hier und können nichts machen, womit wir die Handlungen unterbinden können. Und das ist frustrierend. Aber wir werden alle Hebel in Gang setzen, um dieses Massaker so schnell wie möglich zu beenden.

 

Was sind eure Wünsche bzw. Erwartungen für die Zukunft?

In erster Linie möchten wir natürlich, dass Gleichheit unter allen Konfessionen herrscht und das man in Frieden zusammen leben kann. Man soll so behandelt werden, wie man es verdient. Wie sind mittlerweile in einem Zeitalter, wo es selbstverständlich ist, dass alle Völker zusammenleben können.

 

Mecnun Aksu – Özlem Kodas

 

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