Sinan Cokdegerli
Die Ereignisse und Proteste in Europa überschlagen sich seit Jahren in immer kürzeren Abständen: Von den Arbeiter- und Studentenbewegungen gegen die Sparpolitik in Griechenland, Spanien und Italien mit Hunderttausenden Demonstranten bis hin zur Ukraine-Krise und der wachsenden Kritik am politischen und wirtschaftlichen Kurs Europas und dessen Lokomotive Deutschland.
Die größte Arbeiterbewegung in Belgien in 20 Jahren
Während in Deutschland die Diskussionen um das Tarifeinheitsgesetz weiter gehen, rufen belgische Gewerkschaften zum Generalstreik auf. Geschätzt 120.000 Arbeiter und Unterstützer gingen am 6. November gegen die Ausbeutungspolitik der neuen Regierung Belgiens auf die Straßen. Dabei folgten sie dem Aufruf des Allgemeinen Belgischen Gewerkschaftsbundes (ABVV), welches den besagten Generalstreik wenige Tage vorher ausgerufen hatte.
Der Organisierungsgrad der belgischen Arbeiter ist viel höher als in den meisten europäischen Ländern. Knapp 80% aller Beschäftigten sind gewerkschaftlich organisiert, die meisten von ihnen bei der Christlichen Gewerkschaft (CSC) mit 1,6 Millionen und der ABVV mit 1,5 Millionen Mitgliedern. Dementsprechend war auch die Anzahl der Arbeiter, die am Protest teilnahmen sehr hoch. Darunter waren vor allem Arbeiter aus der Metallindustrie, der Hafenbranche und der dem Erziehungswesen. Ihre Forderungen
„Dreigementen maken weinig indruk“
Der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte, waren die Sparmaßnahmen der neuen belgischen Regierung, welche sich vor einem Monat unter dem neuen Regierungschef Charles Michel und seiner wallonischen liberalen Mouvement Reformateur konstituiert hatte. Insbesondere die Rentenreform, bei der man z.B. das Renteneintrittsalter erhöhen wollte, aber auch Kürzungen im öffentlichen und sozialen Bereich sowie das Streichen der Lohnerhöhungen als Ausgleich zur Inflation, brachten die Arbeiter dazu, in vielen Betrieben die Arbeit niederzulegen. Dabei kam es speziell zwischen Hafenarbeitern und der Polizei zu schweren Ausschreitungen in Brüssel. Der belgischen VRT-Nieuws sagte ein Hafenarbeiter aus Antwerpen, dass es hart auf hart kommen werde, wenn die Politik nicht die Finger vom Geld der Hafenarbeiter lässt. Gleichzeitig versicherte er, dass die Demonstration in Brüssel eher zahm sei im Vergleich zu den Protesten, die die Arbeiter in Antwerpen erwarten. Dort stellt aktuell die Nieuw-Vlaamse Alliantie, eine Partei die nach eigenen Angaben einen „humanitären Nationalismus“ vertritt, den Bürgermeister Bart De Wever. De Wever verkündete nach Gesprächen mit Vertretern der Arbeitgeberorganisationen, dass man die Wege zu den Werken und Betrieben freihalten werde. Ferner fügte er hinzu, dass „Drohungen“ auf ihn wenig Eindruck machen würden, was die Aussage der Hafenarbeiter bestätigt. Es wird nicht zahm zugehen in Antwerpen zwischen der Polizei und den Werktätigen.
Millionen gegen Renzi
Belgien ist nicht der einzige Nachbar, bei dem es die Arbeiter auf die Straße gingen. Auch in Italien kam es in den 20 größten Städten des Landes zu Massenkundgebungen gegen Arbeitsmarktreformen des amtierenden Premiers, Matteo Renzi. Dabei nahmen Hunderttausende an den Kundgebungen und Demonstrationen teil, umso mehr, schätzungsweise mehr als eine Millionen Menschen legten ihre Arbeit für acht Stunden nieder.
Die Forderungen der Arbeiter ähneln sich dem der in Brüssel und anderen belgischen Städte. Sie wehren sich gegen massive Angriffe der Regierungen gegen die Rechte der Arbeiter. Dabei protestieren vor allem junge Menschen gegen die Lockerung des Kündigungsschutzes. Italienische Gewerkschaften haben für den 7. Dezember einen weiteren landesweiten Streiktag angekündigt.