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Studie: Entwicklung der Menschenrechte in Deutschland

Doguş Birdal

Das Deutsche Institut für Menschenrechte legt dem Deutschen Bundestag jährlich einen Bericht über die Entwicklung der Menschenrechte in Deutschland vor und dieser wird anlässlich des Internationalen Tags für Menschenrechte am 10. Dezember veröffentlicht. Der diesjährige Bericht umfasst den Zeitraum vom 1. Juli 2022 bis 30. Juni 2023. Der Bericht befasst sich in diesem Jahr vor allem mit rassistischer Diskriminierung bei der polizeilichen Datenverarbeitung, aber auch mit dem Schutz vor Gewalt an Frauen oder die aggressiven Angriffe auf Klimaaktivisten.

Rassistische Diskriminierung bei der polizeilichen Datenverarbeitung

Das Diskriminierungsverbot verbietet der Polizei und anderen Behörden, Menschen aufgrund der Hautfarbe oder anderer physischer Merkmale, tatsächlicher oder vermeintlicher Herkunft oder Religionszugehörigkeit zu benachteiligen. Dieses Verbot rassistischer Diskriminierung gilt auch für die polizeiliche Datenverarbeitung. Gemäß der EU-Richtlinie zum Datenschutz bei Polizei und Strafjustiz dürfen „sensible Daten“, also solche, aus denen etwa die Hautfarbe oder die vermeintliche „ethnische Herkunft“ hervorgeht, nur unter strengen Anforderungen verarbeitet werden und sind besonders zu schützen. Die Studie des Instituts zeigt allerdings, dass der Schutz für die polizeiliche Verarbeitung sensibler Daten sich kaum von dem für nicht sensible Daten unterscheidet. Für INPOL, das Informationssystem der Bundes- und Landespolizeien, gibt es beispielsweise die Datenkategorie „Volkszugehörigkeit“. Der INPOL-Katalog umfasst mehr als 100 Werte – von „Abchase“ bis „Weißrusse“. Ähnlich problematisch sei die Datenkategorie „äußere Erscheinung“ („Phänotyp“), die im Rahmen erkennungsdienstlicher Maßnahmen erfasst wird. Der INPOL-Katalog enthält 19 „Phänotypen“, zum Beispiel „afrikanisch“, „europäisch“, „westeuropäisch“ oder „südosteuropäisch“. Damit reproduziere die Datenerfassung Stereotype: Wer nicht der polizeilichen Vorstellung eines „Westeuropäers“ entspricht, wird nicht als solcher erfasst, selbst wenn seine Staatsangehörigkeit ihn als solchen ausweist. Hinzu kommt, dass die polizeiliche Datenverarbeitung aufgrund staatlicher Geheimhaltungsgründe insgesamt nicht sehr transparent ist und viele der internen Vorgaben nicht öffentlich zugänglich sind.

Die Studie betont auch, dass kein Rückgang dieser Rechtsverletzungen auf polizeilicher Ebene zu erwarten sei. Vielmehr wachse das Diskriminierungsrisiko mit dem Umbau der polizeilichen Informationsarchitektur im Rahmen des Projektes „P20“. Ziel des bundesweiten Projekts ist die Zusammenlegung der Datenbestände in einem gemeinsamen „Datenhaus“ und der verstärkte Einsatz „intelligenter“ algorithmengestützter Analysen zur Auswertung der gesammelten Daten.

Schutz vor Gewalt an Frauen

In Deutschland erfährt jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben physische und/oder sexualisierte Gewalt.

Im Jahr 2022 untersuchte die Expertengruppe des Europarates GREVIO, wie die Istanbul-Konvention in Deutschland umgesetzt wird. GREVIO begrüßte etwa den rechtlichen Rahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, das bundesweite Hilfetelefon, die Statistik des Bundeskriminalamts zu Gewalt in Paarbeziehungen und die Schaffung des Straftatbestandes Cyberstalking. Aus Sicht des Deutschen Instituts für Menschenrechte bestehe weiterer Handlungsbedarf, um von geschlechtsspezifischer Gewalt Betroffene in Deutschland umfassend zu schützen. So sei zwar zu begrüßen, dass die Istanbul-Konvention – nach dem Auslaufen der entsprechenden Vorbehalte durch die Bundesregierung – seit Februar 2023 uneingeschränkt für alle Migrantinnen in Deutschland gilt. Allerdings seien weitere rechtliche Umsetzungsschritte nötig, um Betroffene von häuslicher Gewalt mit prekärem Aufenthaltsstatus (Duldung oder in aufenthaltsrechtlicher Illegalität) effektiv zu schützen. Geflüchtete Frauen sind demnach die am stärksten Betroffene Personengruppe bei der mangelnden Umsetzung des Schutzes vor Gewalt an Frauen.

Geflüchtete

Nicht nur beim Thema Geflüchtete Frauen sieht das Institut ein großes Defizit. „Mit großer Besorgnis beobachten wir, dass die Debatte über die Verteilung der Kosten für die Aufnahme geflüchteter Menschen zu einer Debatte über die Abschreckung von Schutzsuchenden geworden ist.“, heißt es im Bericht. Dabei würden zentrale Erkenntnisse der Migrationsforschung ignoriert. Schutzsuchende würden Deutschland keineswegs aufgrund der Sozialleistungen als Zielland auswählen. Wichtig seien ihnen stattdessen Familienbeziehungen, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Besorgniserregend sei die Zunahme von Vorschlägen, die die grund- und menschenrechtlichen Bindungen Deutschlands missachten. Bestrebungen, Sozialleistungen für Asylsuchende noch länger abzusenken oder gar als Sanktion auf Null zu setzen, sei mit dem Bundesverfassungsgericht entgegenzuhalten: Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.

Klimaschutz und Versammlungsrecht

Grundsätzlich gilt: Deutschland ist menschenrechtlich verpflichtet, die Versammlungsfreiheit zu schützen. Das staatliche Maßnahmen in Deutschland, vor allem in den letzten Jahren, intensiv in das Recht auf Versammlungsfreiheit eingreifen, ist den meisten schon bekannt. In der öffentlichen Kritik stehen vor allem die Proteste der „Letzten Generation“. Ihre Aktionen haben eine Debatte über Präventivhaft, Strafverschärfungen sowie die Legitimität von zivilem Ungehorsam entfacht.

„Staatliche Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen, aber auch die Diffamierung durch Politik und Medien können, eine einschüchternde Wirkung auf betroffene Klimaaktivisten und ihr Umfeld hinsichtlich der Ausübung ihrer Versammlungsfreiheit haben (sogenannter chilling effect)“, so das Institut.

Aus menschenrechtlicher Sicht höchst bedenklich seien laut dem Institut übermäßige staatliche Reaktionen, wie generelle Demonstrationsverbote und die hasserfüllte öffentliche Debatte.

Insbesondere die freiheitsentziehende Präventivhaft, die etwa in Bayern gegen Klimaaktivisten teilweise für 30 Tage angeordnet wurde, stelle eine massive Verletzung der Grund- und Menschenrechte dar.

 

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