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Tarifverträge können Armut begrenzen

Mirkan Dogan

Das Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung veröffentlichte eine Studie „Der untere Entgeldbericht“. Wir sprachen mit Eric Seils, dem Leiter der Studie, die er mit Helge Emmler herausgab. Bei unserem Gespräch ging es unter anderem um den Lohn von türkischen Staatsbürgen in Deutschland. Nach den Forschungsergebnissen von Seils arbeitet besonders die Altersgruppe der 15-25 Jährigen türkischen Staatsbürgern in prekären Arbeitsverhältnissen.

Arm trotz Arbeit

In der Studie der Hans-Böckler-Stiftung geht es vor allem um die Situation von Menschen, die Vollzeit beschäftigt sind, aber trotzdem in Armut leben. Die Studie orientiert sich an den Daten der Arbeitsagentur. Nach der Definition der Arbeitsagentur gelten Menschen mit Vollzeitbeschäftigung als arm, wenn sie weniger als zwei Drittel des durchschnittlichen Bruttolohns erhalten. Im Jahre 2020 lag dieser Grenzwert bei 2284 Euro brutto. Die Arbeitsagentur bezeichnet dies als Niedriglohnsektor. 

18,7 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind demnach im Niedriglohnsektor beschäftigt. Betrachtet man den Osten von Deutschland, so liegt dieser Wert sogar bei 29,1 Prozent. Im Jahre 2011 lag dieser Wert im Osten von Deutschland noch bei 39,9 Prozent. Eric Seils und Helge Emmler gehen davon aus, dass 4 von 10 Beschäftigte im Niedriglohnsektor aus den ostdeutschen Bundesländern stammen.

Die Stellung von Migranten 

25,4 Prozent aller Frauen, die Vollzeit beschäftigt sind, fallen laut der Studie in die Kategorie Niedriglohnsektor. Bei Männern liegt dieser Wert bei 15,4 Prozent. Auch bei Migranten ist der Anteil an Menschen, die trotz Vollzeitbeschäftigung in Armut leben, weit über dem Durchschnitt. Bei Migranten ohne deutschen Pass liegt dieser Wert bei 36,9 Prozent. Natürlich ist auch hier wichtig, zu beachten, unter welchen Bedingungen Migranten arbeiten. Niedriglöhne sind am meisten verbreitet in der Gastronomie mit 68,9 Prozent, während in den Branchen, in denen weniger Migranten arbeiten, auch dieser Anteil geringer ist. So liegt der Wert des Niedriglohnsektors beim öffentlichen Dienst, bei 2,5 Prozent. 

24 Prozent aller türkischen Staatsbürger mit Vollzeitbeschäftigung leben unter der Armutsgrenze, so ein Ergebnis der Untersuchung. Betrachtet man alle migrantischen Beschäftigten ohne deutschen Pass, so ist dieser Wert noch im Mittelfeld. Für türkeistämmige mit deutschen Pass gibt es keine Erhebung. Dies hängt laut Seils und Emmler damit zusammen, dass Beschäftigte mit türkischen Pass oft Hilfsarbeiten verrichten. Ebenfalls lässt sich aus der Studie ableiten, dass der durchschnittliche Verdienst von Beschäftigten mit türkischer Staatsbürgerschaft bei 3081 Euro brutto liegt. Dass dieser Wert über dem Grenzwert liegt, hängt laut Emmler und Seils damit zusammen, dass türkische Staatsbürger schon lange hier leben. Neue Migranten mit keinem anerkannten Berufsabschluss erhalten wesentlich niedrigere Löhne. Aber auffällig ist: Trotzdem liegen die Löhne von Jugendlichen mit türkischer Staatsbürgerschaft der Altersgruppe 15 bis 25 Jahren bei 2410 Euro. Emmler und Seils bewerten dies als Folge von schlechter Berufsausbildung oder keinem schulischen Abschluss. Der Durchschnitt dieser Altersgruppe liegt bundesweit bei 2524 Euro brutto. Auch wenn der Unterschied nicht besonders groß ist, so existiert dennoch noch einer. 

Die Situation der Frauen

Dass Frauen oft in Teilzeitbeschäftigung gefangen sind, ist kein Geheimnis. Seils betont, dass unter deutschen Beschäftigten meistens die männlichen Beschäftigten mehr verdienen, als weibliche Beschäftigte. Der Anteil der Frauen, die Vollzeitbeschäftigt sind, die türkische Staatsbürgerschaft besitzen und in Armut leben, liegt bei 38,3 Prozent. Bei türkischen Beschäftigten arbeiten die Frauen vor allem im Dienstleistungssektor und die Männer in der Industrie. Seils betont, dass im besonderen „neue“ Migranten aus Afrika oder Asien vom Niedriglohnsektor betroffen sind und aus diesem Grund stellen türkische Staatsbürger nicht den untersten Teil der Tabelle.

Seils ist der Auffassung, dass die Erhöhung des Mindestlohns teilweise helfen, aber den Niedriglohnsektor nicht aufheben wird. Es wird weiterhin Beschäftigte geben, die trotz Vollzeitbeschäftigung in Armut leben werden. Aus diesem Grund hebt die Studie auch die Tarifbindung hervor. Denn sind Beschäftigungsverhältnisse tarifgebunden, so sind sie nicht mehr so stark von Armut betroffen.

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