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Türkei aktuel – Vom Putschversuch bis heute

Aziz Aslan

In den letzten 14 Jahren, seit der ersten AKP-Regierung, hat die Türkei eine sehr brisante Zeit durchlaufen. Ihre geographische Lage im Nahen Osten wohl wissend, nahm sie auch in der jüngsten Vergangenheit immer wieder die Rolle des Verbündeten der USA aber auch Europa, speziell Deutschland ein, ohne dabei die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland zu gefährden (bis zum Abschuss des russischen Kampfjets).

Allerdings gerät die Türkei sowohl innenpolitisch als auch außenpolitisch immer mehr zwischen die Fronten, aufgrund ihrer politischen Linie, unter der Führung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Wir wollen hier einen genaueren Blick auf die Entwicklungen in der Türkei nach dem misslungenen Putschversuch am 15. Juli werfen.

Schritt für Schritt die Macht bündeln

Neben den massenhaften Entlassungen von Akademikern, Lehrern und Angestellten im öffentlichen Dienst, gab es auch eine nahezu komplette Umstrukturierung bei den Führungskadern der türkischen Streitkräfte. Man werde den türkischen Staat von der Fethullahistischen Terrororganisation (FETÖ) befreien, so Staatspräsident Erdogan, welcher der Meinung ist von der Gefahr einer Parallelstaatsstruktur bedroht zu werden. Mit Gewissheit gibt es solche Strukturen in der Türkei. Aus einem Zusammenschluss dieser Strukturen ist die AKP letztlich auch entstanden. Deshalb kennt Erdogan die Gefahr auch persönlich ziemlich gut, weshalb er auch mit allen Mitteln dagegen vorgeht. Allerdings gilt sein Kampf nicht lediglich gegen FETÖ. Profitierend von dem Putschversuch richten sich seine Angriffe gegen alle fortschrittlichen, demokratischen, revolutionären Organisationen und Parteien aber auch gegen die arbeitenden Massen und Gewerkschaften, sowie allen oppositionellen TV-Sendern und Zeitungen.

Von Seiten der Opposition kriegt die AKP von der ultranationalistischen MHP stets den Rücken gestärkt bei Abstimmungen um neue Gesetze auf den Weg zur Verfassungsänderung. Von der stärksten Opposition, der kemalistischen CHP gibt es nur milde Kritik warum man in die Diskussion nicht eingebunden wurde, anlässlich der Umstrukturierung der Streitkräfte zu einem Art persönlichen Heer der AKP und somit Erdogan. Jedoch nimmt die CHP immer öfter die unterordnende Rolle gegenüber der AKP ein, wie bei der Abstimmung für den Kampf gegen den Terror. So werden aktuell die Forderungen des kurdischen Volks von Erdogan betitelt. Aber auch bei der Aufhebung der Immunität der HDP-Abgeordneten konnte sich die AKP auf die Stimmen der CHP sowie der MHP verlassen. Durch diese Haltung, ebnet sich Erdogan den Weg zu seiner Ein-Mann-Diktatur unter der Mitverantwortung der CHP und MHP. Als nächsten entscheidenden Schritt fehlt Erdogan die Einbindung des Geheimdienstes (MIT) und des Generalstabs an den Staatspräsidenten.

Opposition auf Linie gebracht

Mit leeren Phrasen entgegnet der Vorsitzende der CHP, Kilicdaroglu diesem Vorhaben und nimmt im Anschluss sogar eine Einladung Erdogans zu einer entscheidenden Kundgebung in Istanbul / Yenikapi an. Diese Kundgebung am 7. August stellte den Abschluss eines vorangegangenen Aufrufs zur Verteidigung der Demokratie im Sinne Erdogans dar. Dieser mobilisierte seit dem Putschversuch seine Anhänger auf die Straßen „um die Republik vor den Putschisten zu verteidigen“. Zu sehen waren teilweise auch bewaffnete Dschihadisten auf türkischen Straßen, deren Demokratieverständnis so weit reichte, dass am Putschabend einem Soldaten auf der Bosporus Brücke der Hals durchgeschnitten wurde.

Auch wenn die CHP anfangs nur eine vertretende Delegation schicken wollte, nahm Kilicdaroglu letzten Endes auf Druck von Erdogan diese Einladung an. Somit erreichte Erdogan sein Ziel einer, unter dem Ausschluss der HDP, eine in der Geschichte der Türkei erstmalige Kundgebung mit mehreren Millionen Teilnehmern. Er stand dabei natürlich im Mittelpunkt und die Vorsitzenden der MHP und CHP hinter ihm. Es wurde ein Bild dargestellt, unter dem Motto: „Ein Volk, Eine Fahne, Eine Heimat“. Förmlich im Gegenzug sah Erdogan von seinen gerne erhobenen Anklagen gegen die Vorsitzenden der MHP und CHP ab. Insgesamt wurden über 4000 Anklagen zurückgenommen nach diesem inszenierten Szenario, welches eine Art Block darstellen sollte, bestehend aus Abgeordneten die sich den Forderungen Erdogans fügten. Vor Ort befand sich zudem auch der Generalstabschef, der einige Tage zuvor noch -wie Handyaufnahmen zeigen- von Polizisten wegen Verrats verprügelt wurde.

FETÖ-Islam = „falscher Islam“

Immer wieder betonte Erdogan bei seiner Rede die Wichtigkeit des Kampfes gegen die Terrororganisation FETÖ, die er als einen falschen Islam definiert, die lediglich versuchen würden, um ihre eigene Macht zu steigern.

Dabei wäre nicht eine Aufteilung nach „richtigem Islam“ (im Sinne Erdogans) und „falschem Islam“ die Lösung, sondern ein laizistischer Staat. Nur dies kann die einzige demokratische Lösung sein. Allerdings giert Erdogan nach den gleichen Zielen, die er der FETÖ vorwirft, seine eigene macht zu befestigen, weshalb er auch gnadenlos für eine Türkei kämpft, die nicht laizistisch ist. Er möchte lediglich den schlecht geredeten FETÖ-Islam durch den AKP-Islam ersetzen, von denen beides keine vernünftige Wahl sein kann. Vor allem wenn man weiteren Konfessionskonflikten nicht den Weg ebnen möchte!

Presse und Kritik? Passt nicht zusammen!

Gestärkt aus dieser Kundgebung folgten massive Angriffe auf die Pressefreiheit in der Türkei. So wurden immer wieder regierungskritische Journalisten gewaltsam festgenommen und tagelang in Untersuchungshaft gehalten. In den meisten Teilen der Erde gelten Journalisten, die als erstes über Geschehnisse berichten, als vorbildlich. In der Türkei werden diese allerdings auf Befehl von Erdogan festgenommen mit dem Vorwurf die große Türkei als schwach darstellen zu wollen oder sogenannten Terrororganisationen anzugehören. So wurden mehrere Journalisten der linken Tageszeitung Evrensel festgenommen und die Zeitung Özgür Gündem ist sogar mit einem Verbot konfrontiert. Während regierungsnahe Journalisten einen Platz in Erdogans Privatjet erhalten, um aus erster Hand gesagt zu bekommen, worüber sie zu berichten haben.

Als eine weitere Folge des Ausnahmezustandes gelten auch die Angriffe auf die arbeitenden Massen in der Türkei. So wurden bereits hunderte Professoren und Dekane teilweise freiwillig, teilweise gezwungenermaßen aus den Universitäten entfernt. Tausende Lehrer und Angestellte im öffentlichen Dienst wurden entlassen und ersetzt von Kadern aus den Reihen der AKP.

Aber auch zu seiner Zeit schwer erkämpfte Rechte der Arbeiter wurden kurzerhand mit der Unterstützung der CHP und der MHP noch kurz vor der Sommerpause im türkischen Parlament verabschiedet. Diese Taktik verfolgt die AKP seit sie an der Macht ist. Kurz vor der Sommerpause wird ein Haufen von Gesetzen in Akkordschnelle durch die Gesetzgebung gejagt.

Assimilation der Kurden

Unter diesen „Sommerlochgesetzen“ befanden sich auch die Änderung des Status mehrerer kurdischer Gebiete. So wurden einige seit Monaten belagerten Provinzen Rahmen des beschlossenen Städteumbaus teilweise zu Städten und Städte zu Stadtteilen degradiert. Hier werden Maßnahmen wieder eingeführt, die schon in der jüngeren Geschichte vor der AKP-Regierung durchgeführt wurden: Zwangsumsiedlungen der kurdischen und alevitischen Bevölkerung um dortige Ressourcen für sich selber nutzen zu können oder die Stimmverteilung für zukünftige Wahlen jetzt schon zu beeinflussen, um zumindest den Schein der Demokratie zu wahren.

Aussenpolitik führt zu kriegerischen Auseinandersetzungen

Während im Land überall, mit Unterstützung der AKP, Netzwerke des sogenannten IS aufgebaut werden, nimmt Erdogan die Bekämpfung des IS als Vorwand, um mit der türkischen Armee in Syrien einzumarschieren. Es ist klar ersichtlich, dass es Erdogan primär darum geht, den Zusammenschluss der drei kurdischen Kantone in Syrien zu verhindern. Als Beispiel für ein funktionierendes Zusammenleben unter der Leitung der kurdischen PYD ist diese Entstehung der türkischen Regierung ein Dorn im Auge und gleichzeitig eine Gefahr. Dass dadurch der Bürgerkrieg in Syrien noch mehr angekurbelt wird, der IS stärker wird und der Chaoszustand zunimmt, scheint akzeptabel für die Türkei, aber auch seine Gönner USA und EU zu sein.

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