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Türkei: Die Parlamentswahlen sind vorbei

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Die Parlamentswahlen sind vorbei. Die Pläne von Erdogan und der AKP, die Diktatur eines Führers und einer herrschenden Partei aufzubauen, wurden dank der Unterstützung der Bevölkerung für die HDP niedergeschmettert. Aktuell werten alle politischen Parteien und Kreise die Wahlergebnisse aus. In einigen Kreisen wird eine interessante Diskussion über „Leihstimmen“ geführt. Einige gehen so weit, dass man sich nach Wählern ausrichten sollte, die ihre „Stimme ausgeliehen“ haben. Sie tun so, als wären die „Wähler“ die Leibeigenen von Parteien und stünden außerhalb von politischen Entwicklungen. Das alles macht es notwendig, dass wieder einmal an die strategischen und taktischen Fragestellungen in der Politik hingewiesen wird.

Die Strategie in der Politik ist ganz allgemein das verfolgte Ziel. Taktik hingegen ist das Bestimmen von politischen Entscheidungen, Aufrufen und Losungen, die den gegebenen Umständen entsprechen sollten. Das kann man am folgenden Beispiel konkretisieren: Das strategische Ziel der HDP ist der Aufbau einer demokratischen Republik auf der Grundlage der Gleichheit und Gleichberechtigung der Völker. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen taktische Entscheidungen und Losungen bestimmt werden, mit denen man sich angesichts politischer Entwicklungen – einschließlich bei Wahlen – positioniert. Es ist äußerst wichtig, diese erfolgreich an die Massen mit einer politischen Rhetorik heranzutragen. Dem Co-Vorsitzenden der HDP Demirtaş ist das sehr gut gelungen.

Die Taktik, die dem strategischen Ziel dienen soll, ist so zu bestimmen, dass man damit alle zu vereinenden Kräfte vereinen, Unparteiische bedenklich stimmen, neutralisieren und zum Teil auf die eigene Seite ziehen und die gegnerischen Kräfte isolieren kann. Man muss in der Lage sein, die politische Situation und Entwicklungen richtig einzuordnen und wissen, wen man wie anspricht. So gesehen war die Losung von HDP, „wir werden dich nicht zum Präsidenten wählen lassen!“ eine Schlüssellosung, die alle aktuellen Widersprüche und Konflikte beinhaltet.

Weiter konkretisiert, bedeutet das: Es war wichtig, kurdische Massen zu gewinnen, die unter dem Einfluss der Konservativen stehen; die Unterstützung der Aleviten zu bekommen; ein Bündnis mit fortschrittlichen, demokratischen und sozialistischen Strömungen einzugehen; die Unterstützung von unterschiedlichen Kräften, die sich auf der Grundlage von Gegnerschaft zu Erdogan formiert haben, zumindest teilweise zu bekommen. All dies führte zu dem vorliegenden Wahlausgang, der die AKP-Reaktion in Person Erdogan zurückgedrängt hat.

Manche Wählerkreise, die die HDP nicht wählen würden, gaben ihre Stimme trotzdem der HDP. Dass manche „CHP-Wähler“ bei der Stimmabgabe„strategischen Erwägungen“ folgten, ist ein Erfolg der oben beschriebenen taktischen und strategischen Fragestellungen. Diese Taktik war erfolgreich und führte zu dem konkreten Ergebnis, dass manche Wähler am Wahlabend die Früchte ihrer Entscheidung und Handlung sehen konnten.

Kein einziger Wähler gab seine Stimme aus Wohltätigkeitsgründen einer anderen Partei. Es griffen harte politische Fakten. Dass die HDP bzw. die kurdische politische Bewegung all dies voraussehen konnte, führte zu dem vorliegenden Ergebnis.

Wichtig ist jetzt, wie sich das Bild weiterentwickeln wird. Das Bündnis um die HDP muss sich mit neuen Kräften erweitern und den Kampf für die Demokratisierung und die Lösung der kurdischen Frage fortsetzen. Die Grundlage für die Lösung der Probleme wie eine demokratische Verfassung, demokratische Gesetze, gleiche Bürgerrechte, Recht auf Bildung in Muttersprache ist heute verfestigter denn je.

Eine der gesellschaftlichen Grundstützen der Reaktion ist tief erschüttert. Bevölkerungsteile sind heute in die Lage versetzt, einander viel besser zu verstehen. Es herrscht ein gesellschaftliches Klima, bei dem das gegenseitige Vertrauen gedeihen kann. Die Provokationen und Massenmorde, die Ausdruck für die letzten Zuckungen der Reaktion sind, werden von der großen Mehrheit auch als solche erkannt. Die Kräfte für Demokratie und Freiheit sind heute viel stärker und dabei, den Kampf für weitergehende Ziele aufzunehmen.

 

Ahmet Yasarorglu

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