Ahmet Yasaroğlu
Der Staatspräsident und seine Partei hatten zwei miteinander verflochtene Ziele verfolgt, als sie die Neuwahlen dem Land aufgezwungen hatten. Eins davon wurde auch offen verkündet. Über das zweite Ziel hatte man geschwiegen, weil man abwarten wollte, ob das Erste erreicht wird. Das erste Ziel war, die HDP unter die 10-Prozent-Hürde zu drücken. So würde die Regierungspartei ihre Mehrheit im Parlament zurückbekommen und anschließend könnte man das nächste Ziel ins Visier nehmen: das Land schrittweise in die Ein-Mann- bzw. Eine-Partei-Diktatur führen. Um dieses Ziel zu erreichen, unterdrückten und terrorisierten Erdoğan und die AKP-Regierung die Kurden. Die Begründung dafür lieferte die Selbstverwaltung, die die Kurden in einigen Städten ausgerufen hatten.
Unter Einsatz aller staatlichen Mittel wurde eine Welt der Gewalt gegenüber den Kurden losgetreten, die auch heute anhält. Trotzdem schaffte es die HDP, die 10-Prozent-Hürde zu überspringen und zog fast ausschließlich mit den Stimmen der kurdischen Wähler ins Parlament ein. Bei den vorangegangenen Wahlen hatte der Stimmenanteil der Kurden bei 6 Prozent gelegen. Dieser Aspekt wird bei den aktuellen Analysen, in denen die Unterstützer des Präsidenten die HDP kritisieren und ihr große Fehler vorwerfen, leicht übersehen. Sie übersehen auch die in der HDP zum Ausdruck gebrachte Entschlossenheit, Furchtlosigkeit und den Kampfgeist der Kurden.
Ein anderes Merkmal dieser Wahl war, dass die im Parlament vertretenen Oppositionsparteien mit Ausnahme der HDP der AKP in die Hände spielten. Die MHP erklärte vielleicht nicht offen ihre Unterstützung, aber für deren faschistische und reaktionäre Politik. Die CHP stimmte im Parlament dem Antrag der AKP zur Entsendung der türkischen Armee in die südlichen Nachbarstaaten zu. Wir wurden alle zusammen Zeugen davon, wie die AKP all diese Vorteile ausnutzte.
Allerdings erhielt die AKP nicht nur aus dem Inland Unterstützung. Auch die imperialistischen Länder leisteten eine Unterstützung. Merkel besuchte kurz vor den Wahlen das Land. Die EU verschob die Veröffentlichung des Fortschrittsberichts auf einen Termin nach der Wahl. Die USA beschloss kurz vor dem Wahltermin, neue Waffensysteme an die Türkei zu verkaufen, was sie bis dato abgeleht hatte. Internationale Finanzkreise traten für eine starke AKP-Regierung ein.
Infolge von all diesen Wahlhilfen konnte die AKP ihren Stimmenanteil erhöhen und eine Mehrheit im Parlament erringen. Die “Wähler” von “rechten und konservativen” Parteien entschieden sich für die AKP, weil sie keine andere Regierungsalternative sahen. Parteien wie die Saadet und BBP verloren fast vollständig ihre Wähler, “andere” verschwanden völlig von der Bildfläche. In Kurdistan erklärte die HÜDAPAR ihre Unterstützung für die AKP. Eingeschüchterte kurdische Kreise gaben ihre Stimme der AKP. Im Westen wurden die wenigen Kräfte, die die HDP unterstützen, mit der Welle von Terror eingeschüchtert.
Somit erreichten der Staatspräsident und seine AKP ihr Ziel, die AKP alleine an die Regierung zu bringen. Das Ziel, die HDP unter die 10-Prozent-Hürde zu drücken, verfehlten sie jedoch, was wiederum ausschließlich ein Erfolg der HDP ist. Erdogan und sein Umfeld versuchen jetzt, dieses Ziel nachträglich mit parlamentarischen Kombinationen zu erreichen. Ihre zu diesem Zweck gestarteten Initiativen müsste eigentlich alle “Oppositionellen” auf den Plan rufen, die so tun, als wären diese Ziele nicht Teil der Pläne, die am 7. Juni scheiterten.
Uns bietet sich ein klares und deutliches Bild an. Der Kampf um Demokratie und Frieden muss mit neuen Impulsen vorangetrieben werden. Es wurde deutlich, dass ohne die politische kurdische Bewegung keine Demokratiefront aufgebaut werden kann. Ohne sie kann kein Kampf um Demokratie geführt werden, die auf sicheren Füssen steht und die zugleich die wahren Kräfte einer solchen Bewegung zu mobilisieren in der Lage ist. Dies offen oder verschämt zu bestreiten, würde dem Sozialchauvinismus Tür und Tor öffnen. Ohne diese Front kann man auch die Einheit der Arbeiter gegen das Kapital erreichen. Nach den Wahlen muss man jetzt einen kühlen Kopf bewahren und sich neu formieren.