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Türkeistämmige verunsichert, aber treu

Seyda Kurt
Einige Studien, die die soziale Stimmung der Gesellschaft wiedergeben wollen, erregen zur Zeit große Aufmerksamkeit. Erst zeigte die Studie des Bielefelder Professors Wilhelm Heitmeyer, wie Vorurteile und Feindlichkeit besonders seitens der höheren Schichten gegen Arbeitslose, Migranten und andere sozial benachteiligte Gruppen radikal anstieg. Jetzt hat sich das Zentrum für Migrations- und Politikforschung der Hacettepe Universität Ankara in Zusammenarbeit mit dem Berliner Meinungsforschungsinstitut SEK-POL/Data4U eine Studie veröffentlicht, die das emotionale und politische Meinungsbild der türkischen Migranten in Deutschland auffasst. „Rassistische Neonazi- Morde in Deutschland: Eine Studie zur Gefühlslage und Meinungen der türkischen Migranten“ heißt die Studie, die unter 1058 repräsentativ ausgewählten Personen telefonisch durchgeführt wurde.
Eine Schlussfolgerung der Studie: Türkische Migranten verlieren mehr und mehr das Vertrauen in den deutschen Staat. Über die Hälfte missbilligt, dass die Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrundes, die für mehrere Morde verantwortlich sind, finanziell vom Staat unterstützt wurden. Außerdem wird die Meinung vertreten, dass die deutschen Politiker das Ganze am liebsten vertuscht und „unter den Teppich gekehrt“ hätten.
Das ist eine sehr traurige, jedoch begründete Bilanz nach dem Skandal um die V-Männer des Verfassungsschutzes. Erfreulicher jedoch ist, dass 78 % der Befragten nicht der Meinung sind, dass ihre deutschen Mitbürger schuldig für das Geschehen sind, sondern rassistische und faschistische Gruppierungen verantwortlich sprechen. Womöglich leidet nicht nur das Vertrauen zu dem Staat darunter, dass Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt jahrelang „unentdeckt“ agieren konnten, sondern auch das Vertrauen in deutsche Medien. Denn die Studie zeigt, dass 87 % der Migranten sich zwar zu dem Thema regelmäßig und gründlich informieren, jedoch türkische Berichterstattungen vorziehen. Unverständlich ist das nicht. Letztendlich waren es die deutschen Medien, die ihren großen Teil dazu beitrugen, die Morde an den türkischen Händlern als interner Kampf der türkischen Mafia abzustempeln und keine weitere Aufklärung zu fordern.
Auch wenn die Studie zeigt, dass Migranten angesichts der Ereignisse größere Ängste haben und sich stark verunsichert fühlen, sehen 77 % trotzdem Deutschland weiterhin als ihre Heimat an. Vor allem für junge Menschen ist wohl die Vorstellung absurd, dass die Morde sie dazu bewegen sollten, in die Türkei zurückzukehren. Die Studie kommentiert hier vollkommen berechtigt „Eines der Hauptziele der Mörder, die türkische Gesellschaft zu verunsichern und somit ihre Rückkehr in ihr Heimatland zu erzwingen, ist somit … gescheitert“.
Zuletzt äußerten die Befragten eine Forderung, die in der Politik immer wieder zum Ausdruck kommt, jedoch nach der Äußerung meist wie eine Seifenblase zerplatzt: „Türken glauben daran, dass eine größere politische Teilhabe von Migranten integrationsfördernd sein kann und ausländerfeindliche Aktivitäten beenden wird.“ Trotz der immer wieder geführten falschen Diskussion über die „gescheiterte Integration“ zeigt die Studie deutlich, dass die Befragten durchaus integrationswillig sind, wenn nicht sogar sich als Teil dieser Gesellschaft sehen.

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