Nach der Wahl ist vor der Wahl, lautet ein Spruch. Die Wahlergebnisse und Analysen der Parteien im Einzelnen, ihre Strategien und die Bedeutung für die Zukunft der Bürgerinnen und Bürger und die politische Entwicklung des Landes gilt es nun zu bewerten.
Alev Bahadir
Nachdem die Ampelregierung im November gescheitert ist, zeichnete sich schnell eine vorgezogene Bundestagswahl in einem kurzen Zeitraum ab. In den knapp vier Monaten von der Pressekonferenz des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD), in der er die Entlassung Christian Lindners (FDP) ankündigte, bis heute, hat die Migrationsdebatte im Wahlkampf dominiert. Während Themen, wie Inflation, wirtschaftliche Rezession, Klimawandel, bezahlbares Wohnen und Frieden nur eine Nebenrolle spielten, versuchten 99 % der Parteien über „schnellere Abschiebungen“, „geschlossene Grenzen“ und „Bekämpfung der irregulären Migration“ die Polarisierung der Gesellschaft zu ihren Gunsten zu wenden.Wenn man sich die Wahlergebnisse anschaut, dann merkt man: Sie verschärften die Polarisierung erfolgreich.
Union: Unsympathisch aber stärkste Kraft
Die Union setzte im Wahlkampf durch und durch auf rechte Politik. Migranten, Bürgergeldempfänger, Frauen. Wer hier Politik im Sinne der „kleinen Leute“ sucht, wird nicht fündig werden. Bald-Kanzler Friedrich Merz kündigte überall bereits harte Sanktionen gegen Geflüchtete, straffällig gewordene Migranten, Bürgergeldempfänger an und nahm den Mindestlohn oder das Deutschland-Ticket ins Visier. Steuern sollen so gesenkt werden, dass Reiche und Unternehmen davon profitieren. Die Zusammenarbeit mit der AfD bei der Abstimmung um den 5-Punkte-Plan hat allerdings einen Aufschrei und Proteste entfacht, bei denen sich selbst die sonst demonstrativ schweigende Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisch über ihren Parteikollegen zu Wort meldete. Das und die Tatsache, dass Merz einer der unbeliebtesten Kanzlerkandidaten ist, die die Union je ins Rennen schickte, sorgte dafür, dass die Union trotz Stimmensieg das zweitschlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte einfuhr. Kanzler Merz wird viele seiner Versprechen sicherlich wahr machen und kräftig nach unten treten und nach oben verschenken.
AfD: Mit 152 Sitzen im neuen Bundestag
Die rassistische und rechte Strategie der AfD ist voll aufgegangen. Keine andere Partei konnte so viele Nichtwähler mobilisieren, wie die AfD. Während nahezu alle Parteien versuchten besonders in der Migrationsfrage zur AfD aufzuschließen, wurde doch lieber das Original gewählt. Wie bereits bei den Landtagswahlen im Osten vergangenes Jahr abzeichnend war, schaffte es die AfD, die ebenfalls, wie die Union, eine Politik im Sinne der Konzerne und Reichen macht und sich z.B. gegen Mietendeckel etc. sträubt, sich als Alternative zur etablierten Politik darzustellen. Die Enttäuschung in die Ampel und Union, die sich zuspitzenden Lebensbedingungen der Menschen, vor allem derjenigen mit geringem Einkommen und der Krieg in der Ukraine; all diese Dinge hat die AfD, ohne wirkliche Lösungen zu bieten, für sich genutzt, um Stimmen zu gewinnen. Die AfD wird sicherlich viele aggressive Vorstöße von Merz und Union, die ein Angriff auf die Rechte der Werktätigen sind, unterstützen und mit über 150 Abgeordneten erwartet uns ein deutlich rechterer Bundestag. Eine Normalisierung der AfD, die in den kommenden Jahren sicher kommen wird, wird auch für mehr Unterstützung bei Kapitalverbänden für die vermeintliche „Alternative“ bedeuten. Schließlich sind sie keine Alternative zum System.
SPD und Grüne: die Quittung für die Ampelpolitik
Die SPD und Grünen wurden eindeutig für die Ampelpolitik der letzten Jahre abgestraft. Die Grünen haben 3 Prozentpunkte verloren und werden keinen Platz in der künftigen Regierung haben. Kanzlerkandidat Robert Habeck hat erklärt, nicht länger eine Führungsrolle innerhalb der Partei einnehmen zu wollen. Härter hat es die SPD getroffen. War diese 2021 noch stärkste Kraft, ist sie um 9 % gefallen und mit 16,4 % beim schlechtesten Wahlergebnis der Nachkriegsgeschichte gelandet. Auch bei ihrem „Stammklientel“, den Arbeitern, genießen die Sozialdemokraten kein Vertrauen mehr. Ganze 14 % wurden hier verloren, nur noch 12 % der Arbeiter wählt die SPD. 38 % hingegen geben der AfD ihre Stimme. Steigende Preise, eine andauernde Kriegsgefahr und dann noch das Nachplappern von AfD und CDU Parolen hat dem Ganzen die Krone aufgesetzt. Dass man ausgerechnet mit Robert Habeck und Olaf Scholz mit den Gesichtern der Ampelpolitik in den Wahlkampf gegangen ist, hat ebenso dazu beigetragen, vor allem da Olaf Scholz gemeinsam mit Habeck die schlechtesten Beliebtheitswerte hat. Sollte die SPD in der „großen Koalition“ mit der CDU regieren, ist von ihr auch eine aggressivere Politik zu erwarten.
Sieger bei der Jugend: Die Linke
Das größte Comeback der Wahl lieferte Die Linke. Während es vor ein paar Monaten noch unmöglich schien, dass sie auch nur in die Nähe der 5-Prozent-Hürde rückt, konnte sie 8,7 % der Stimmen auf sich vereinigen und ebenso neue Wahlkreise, wie Berlin-Neukölln direkt gewinnen. Sei es an der Haustür oder auf Social Media, an der Linken und vor allem an Heidi Reichinnek kam man nicht vorbei. Außerdem bezog die Linke als einzige Partei klare Stellung gegen die Abschiebepolitik der anderen Parteien und trumpfte mit Inhalten, wie Wohnungs- und Sozialpolitik auf. Besonders bei jugendlichen Erstwählern war sie der klare Sieger. Ebenso unterstützten zahlreiche Initiativen die Partei. Besonders diejenigen, die in der Migrationsthematik von den anderen Parteien enttäuscht waren, sahen in der Linken eine Alternative. Zusammenhalt statt Grabenkämpfe führte sie in den letzten Wochen langsam wieder zurück zu ehemaligen Glaubwürdigkeit. Die Linke hat angekündigt, eine soziale Opposition sein zu wollen, wie sie sich in innerhalb der Partei weniger eindeutigen Fragen, wie Waffenlieferung und Militarismus, verhalten wird, bleibt abzuwarten.
Kein Bedarf: BSW und FDP
Die größten Verlierer waren BSW und FDP, die beide an der 5-Prozent-Hürde scheiterten. Beide Parteien konnten sich nicht abheben. Die FDP wurde vor allen anderen für das Scheitern der Ampel verantwortlich gemacht. Parteichef Christian Lindner hat bereits seinen Rückzug aus der Partei angekündigt. Das BSW setzte vor allem auf ihre Position in der Friedenspolitik, diese konnte aber vor allem die rückschrittliche Politik in der Migrationsfrage nicht wettmachen. Auch wenn das BSW den Anspruch hatte, AfD Wähler zu gewinnen, hatte sie bei anderen Wahlen vor allem Wähler der Linken, SPD und Grünen gewonnen. Diese wanderten anschließend weiter. Entgegen vorheriger Ankündigung erklärte Sahra Wagenknecht keinesfalls das Ende ihrer Karriere, sondern die Ergebnisse juristisch prüfen zu lassen.