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Verzeihung, wir haben es nicht gewusst

 

Was empfinden Menschen, wenn sie nach einem Jahrzehnt unter Verdacht nun offiziell die Gewissheit bekommen, dass ihre Angehörigen doch keine Kriminellen, Mafia-Mitglieder oder Täter waren? Und was für einen Wert hat es, wenn sich die Bundeskanzlerin hinter einen stellt und sagt: „Wir alle können Ihnen heute zeigen: Sie stehen nicht länger allein mit Ihrer Trauer.“ Ist die Trauer damit nun besiegt und aus der Welt verbannt?

Ganz sicher nicht. Erst vor drei Monaten haben die zehn Familien der Opfer der Neonazi-Mordserie erfahren, wer tatsächlich hinter dem Tod ihrer Angehörigen steckt. Bis dahin galt, dass sie sich im kriminellen Milieu bewegten. Als dann letztendlich aufgeklärt wurde, dass es Nazis waren, die vom Verfassungsschutz gelenkt und finanziert wurden, musste nun auch die Bundesregierung aktiv werden. Es wurde für den 23. Februar eine bundesweite Schweigeminute mit einer Trauerfeier organisiert. Unter den etwa 1200 auserwählten Gästen waren auch mehr als 80 Angehörige der Gewaltopfer.

So scheinheilig kann Politik sein und auch Merkel lernt von den amerikanischen Polit-Shows, wie sie sich in Szene setzen kann. Angriff ist nun meistens die beste Verteidigung. So kann man sicherlich manch eine Peinlichkeit vertuschen.

Es wird in dieser Gesellschaft – leider – immer wieder zu Mordanschlägen und faschistischen Übergriffen kommen. Daran wird eine – auch wenn sicherlich gut gemeinte und emotionale- Trauerfeier wenig ändern.

Wirkliche Veränderung kann kommen, wenn die soziale Schieflage in der Gesellschaft angepackt wird. Wer die Nazigefahr bisher verharmlost hat, mit dem Argument des-unter-Kontrolle-haltens Nazis finanziert hat und auf der anderen Seite soziale Ausgaben für Jugendprojekte und –freizeiteinrichtungen massiv gekürzt hat, wird sich selber eingestehen müssen, dass man sicherlich mit Schuld daran trägt, dass es soweit kommen konnte. Nazis muss man die Grundlage entziehen. Und der erste Schritt in dieses Richtung kann nur eine 180-Grad-Wende in der Politik sein: Anerkennung der Menschen mit Migrationshintergrund als Staatsbürger, statt als Bürger zweiter Klasse, Durchführung einer Integrationspolitik, die Probleme löst, statt nur die Migranten zu bemängeln, Verbot von faschistischen Organisationen und Propaganda, statt sie vom Verfassungsschutz finanzieren zu lassen, Verbesserung der sozio-ökonomischen Verhältnisse durch Verbot von Leiharbeit und Dumpinglöhnen und Einführung eines anständigen Mindestlohnes usw.

So kann man dem rassistischen und faschistischen Gedankengut sicherlich mehr an Grundlagen entziehen, als mit einer abstrakten Schweigeminute!

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