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Vier Eltern – zwei zu viel?

Alev Bahadir

Die Familie, also die moderne Kernfamilie, bestehend aus den beiden Elternteilen und den Kindern, gilt als unangreifbares Gut. Das Kind wird ausschließlich von den Eltern erzogen, andere haben sich da wenig einzumischen. Vielmehr gilt es als Beleidigung an den „elterlichen Qualitäten“, wenn man sich in die Erziehung eines fremden Kindes einmischen möchte. Die Sozialisation des Kindes geschieht jedoch auch außerhalb der Kernfamilie, durch Lehrer, Freunde, andere Bezugspersonen. Die Erziehung jedoch ist reine Elternsache. Doch was wäre, wenn es plötzlich mehr als zwei Elternteile gäbe?

Diese Diskussion wird momentan sowohl im Netz, als auch in der politischen Landschaft geführt. Auslöser ist ein Thesenpapier der Bundestagsabgeordneten Volker Beck und Katja Dörner. Darin fordern die beiden Grünen-Politiker die Rechte und Kompetenzen der Kindererziehung auf vier Elternteile auszuweiten. Neben den leiblichen Eltern gäbe es dann noch die „sozialen Eltern“, die die Kinder künftig auf Klassenfahrten oder zum Arzt begleiten könnten, auch Entscheidungen für diese fällen. Das Kind solle jedoch nicht zur Pflege im Alter der sozialen Eltern verpflichtet sein. Dafür könnten jene jedoch Elterngeld, Freibeträge etc. beantragen und die Kindererziehung bei der Rentenversicherung geltend machen. Das soll vor allem Familienkonstellationen, die aus dem traditionellen Bild herausfallen und die es in der Praxis bereits gibt, mit elterlichen Rechten ausstatten. So sind z.B. sogenannte „Patchwork“-Familien keine Seltenheit mehr. Dabei bringt mindestens einer der beiden Partner ein oder mehrere Kinder in die Beziehung mit ein. Oder gleichgeschlechtliche Paare, die Kinder mit einem anderen gleichgeschlechtlichen Paar bekommen. Dabei haben jedoch oft nur die leiblichen oder Adoptiveltern elterliche Rechte. Die Begründung Dörners und Becks in dem Papier ist folgende: „Wir Grünen sollten offen sein für die Diskussion über neue familienrechtliche Absicherung jenseits von Verlobung und Ehe“.

Tatsächlich sind ja meist mehr Personen in die Erziehung der Kinder involviert, als nur die Eltern. Wenn beide Eltern täglich acht Stunden arbeiten, um die finanzielle Sicherheit der Familie zu gewährleisten, kommt es oft vor, dass die Großeltern, Tanten oder Freunde auf die Kinder aufpassen und so auch in die Erziehung der Kinder mit einwirken. Doch andere Menschen, die eine maßgebliche Rolle im Leben der Kinder spielen, mit den Eltern gleichzusetzen, geht für viele doch zu weit. Aber ist die Erziehung denn reine Elternsache? Ist an dem Konzept der bürgerlichen Ehe und der damit verbundenen Kernfamilie überhaupt nicht zu rütteln? Schließlich scheint uns das doch als das „natürliche“ Konzept.

Dabei war in vergangenen Gesellschaftsformen die Kindererziehung keinesfalls nur die Angelegenheit der leiblichen Eltern. In der Urgesellschaft war es keinesfalls üblich, dass zwei Menschen sich zu einer Familie zusammenschlossen. Im Gegenteil war Polygamie sowohl bei Männern, als auch bei Frauen üblich. „Das Studium der Urgeschichte dagegen führt uns Zustände vor, Männer in Vielweiberei und ihre Weiber gleichzeitig in Vielmännerei leben, und die gemeinsamen Kinder daher auch als ihnen allen gemeinsam gelten“ (Friedrich Engels: „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“). Engels betont aber auch, dass dies auf keinen Fall auf unkontrollierte Geschlechtsakte, sondern auf die Gruppenehe zurückzuführen ist. Die Kinder, die die Kinder aller waren, wurden nicht von zwei Personen, sondern von der gesamten Gruppe aufgezogen. Erst in späteren Gesellschaftsformen, mit der Entstehung des Privateigentums und mit dem Umsturz des Mutterrechtes entwickelten sich Paarungsehen und die monogame Ehe, in der die Kinder das Erbe des Vaters erhielten. So ist keinesfalls die Erziehung der Kinder schon immer die Sache der leiblichen Eltern gewesen. Diese Entwicklung kam erst viel später. Denn auch früher war die Kindererziehung nicht eine Privatsache, sondern eine gesellschaftliche Angelegenheit.

Wäre es nun so verwerflich, wenn mehr Personen, auch offiziell, in die Erziehung eines Kindes eingebunden wären? Eines der großen Tabuthemen in dieser Thematik ist die Überforderung, mit der die Eltern zu kämpfen haben. Besonders Arbeiterfamilien, denen oft ohnehin die finanzielle Sicherheit fehlt, die z.T. zwei Jobs annehmen müssen, weniger Chancen auf ohnehin seltene KiTa-Plätze haben, fällt es schwerer die Erziehung noch mit unter einen Hut zu bekommen. Natürlich ist es keine endgültige Lösung, einfach zwei Elternteile mehr „einzustellen“. Um eine gerechte Erziehung gewährleisten zu können, müsste sich etwas an den Verhältnissen ändern, die nicht nur die Arbeitskraft, sondern den Menschen in seinem sozialen Sein, ausbeuten. Dennoch würde es für viele Familien, die nicht in das klassische „Vater-Mutter-Kind“- Denken passen, eventuell eine Erleichterung darstellen. Mehr Personen in die Erziehung einzubinden, bedeutet auch nicht, dass man automatisch ein schlechtes Elternteil ist oder sein Kind weniger liebt.

Ist die Erziehung eines Kindes, das später Teil der Gesellschaft sein wird, nicht auch viel zu wichtig, um sie zwei Menschen zu überlassen? Die Erziehung der Kinder sollte doch vielmehr eine Angelegenheit der Öffentlichkeit sein, nicht nur begrenzt auf zwei oder vier Personen, die möglicherweise gar nicht dazu in der Lage sind und auch bei Fehlern immer wieder mit Sätzen, wie: „Da ist doch was schiefgelaufen in der Erziehung. Die Eltern sind schuld“, konfrontiert werden. Jedoch liegt so ein Erziehungssystem noch in weiter Ferne. Denn noch ist das Bild der Kernfamilie zu sehr in unseren Köpfen verankert, was sich in zahlreichen Kommentaren unter den Berichten über das Thesenpapier Dörners und Becks erkennen lässt. Die Idee ist sicherlich nicht perfekt und auch noch nicht vollkommen durchdacht, doch könnte sie eventuell ein Schritt in die richtige Richtung, Erziehung als Gesellschaftsaufgabe sein.

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