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Vom Wundertalent zum Angeklagten

„Er ist nicht nur ein genialer Pianist, er wird zweifellos einer der großen Künstler des 21. Jahrhunderts sein“ schrieb einmal eine Zeitung in ihren Schlagzeilen über ihn. Eine andere Wahl, als dies nur zu bestätigen, gibt es wohl nicht. Denn kein anderer schafft es, die Klänge Mezopotamiens und Anatoliens in die schlichten Töne der klassischen Musik zu übertragen – und das mit einem außergewöhnlichen Talent und Gefühl für sein Instrument. Im Dezember ist er in Deutschland auf Tournee, um kalte Winterabende mit seiner Musik zu verschönern.

 

Geboren wurde Fazil Say am 14. Januar 1970 in Ankara und wuchs in einer musikalischen Familie auf. Sein Vater ist einer der wichtigsten Musikwissenschaftler der Türkei. So bekam Say bereits mit fünf Jahren seine ersten Klavierstunden. 1985 wurden Davit Levine und Aribert Reimann bei einem Workshop auf ihn aufmerksam. Der damals Klavier und Komposition am staatlichen Konservatorium in Ankara studierende Say wurde so Student an der Düsseldorfer Hochschule für Musik und später an der Universität der Künste in Berlin. Während dieser Zeit nahm er an drei Wettbewerben teil, von denen er 1994 die „Young Concert Artists International Auditions“ in New York gewann. So begann er auch mit seiner internationalen Karriere.

 

Auch als Komponist hat sich Say  mittlerweile weltweit bewiesen und gezeigt, dass er auch hier als ein Wundertalent erwähnt werden kann. Seine letzte Komposition, also zweite Symphonie, die Klage zu „Mesopotamia“ erntete bei seiner Weltpremiere stehende Ovationen von 3000 begeisterten Zuschauern. Insgesamt dauert das Werk eine knappe Stunde und ist ausgelegt für ein 130 Mann starkes Orchester. Mit Sätzen wie „Zwei Kinder auf dem Land”, „Der Tigris”, „Über die Kultur des Todes”, „Melodrama”, „Der Mond”, „Die Sonne”, „Die Kugel”, „Der Euphrat”, „Vom Kriege” und „Klagelied Mesopotamien” erzählt er von der Kultur der Region von vor 6000 Jahren bis heute und illustriert den langjährigen Konflikt im Nahen Osten mit dem Funken der Hoffnung auf eine Lösung. Say sieht „Mesopotamia“ als sein Meisterwerk und sagt, dass dieses Stück ihn in eine andere Dimension gebracht hat. Doch nicht nur mit seiner zweiten Symphonie eroberte er von vielen das Herz, sondern auch seine vorherigen Projekte und Kompositionen begeisterten seine Zuhörer ebenso. Sein Oratorium für den beim Sivasmassaker umgekommenen Metin Altiok, sein Oratorium an Nazim Hikmet oder auch seine Stücke für die Stadt Wien zum Mozartjahr sind nur wenige Beispiele dafür.

 

Doch nicht nur seine Musik steht in Fazil Says Leben im Vordergrund, sondern auch seine gesellschaftskritische und politische Ansichten, die auch das Fundament seiner Kunst darstellen. Diese waren es auch, die ihn in den vergangenen Monaten mit der türkischen Regierung in einen Konflikt verwickelt haben. Auch zuvor hatte er sich oft kritisch über die konservative Regierung von Ministerpräsident Erdogan geäußert. Mittlerweile aber stand Say schon vor Gericht in Istanbul, und das wegen einem absolut absurden Grund. Der Vorwurf lautete wie folgt: „Die Störung des öffentlichen Friedens“ und „die Erniedrigung religiöser Werte“. Doch wie es dazu wirklich kam, ist eigentlich das Lustige an dem Ganzen. Im April diesen Jahres retweetete er ein Gedicht des persischen Dichters Omar Khayyam (1048 bis 1131), in dem es hieß: „Du sagst, durch deine Bäche wird Wein fließen, ist das Paradies denn eine Schänke? Du sagst, du wirst jeden Gläubigen mit zwei Jungfrauen belohnen, ist das Paradies denn ein Bordell?“. Und wenn alles so läuft, wie sich die türkische Staatsanwaltschaft es sich vorgestellt hat, wird Say zu einer 18 monatigen Haft verurteilt. Die erste Gerichtsverhandlung wurde zunächst einmal auf Februar vertagt, aber die Ermittlungen werden weiterdauern. Say äußerte sich vor kurzem erst gegen diese Beschuldigung in einer Fernsehsendung: „Dass ich verurteilt werden sollte, weil ich etwas weitergeleitet habe, was noch nicht mal meine Aussage ist, ist eine große Ungerechtigkeit und sowieso die Nichtbeachtung der Meinungsfreiheit. Sollte ich nun in das Gefängnis gesteckt werden, damit ich Gläubig werde?! Das ist doch absurd.“ Weiterhin betonte er, niemals in der Absicht gewesen zu sein, eine Gruppe, Organisation oder Person zu beleidigen. „Bevor Menschen mich verurteilen, sollten sie sich ein wenig Zeit für meine Musik nehmen, um zu verstehen, wie ich über die Werte unserer Gesellschaft denke“. Doch die Unterstützung an Say ist in der Türkei sowie international groß. Politiker mehrerer Fraktionen des Bundestages äußerten sich in einer Erklärung besorgt über die Umstände und bezeichneten die Strafandrohung als unverhältnismäßig.

Vielmehr kann dieses Vorgehen gegen Fazil Say als eine Einschüchterungspolitik der kritisch Denkenden gesehen werden. Wie bekannt sind zurzeit unzählige Künstler, Journalisten, Studenten und „Freidenker“ aufgrund ihrer regierungskritischen Haltung in der Türkei im Gefängnis. Denn gerade Fazil Say zu beschuldigen und versuchen, einzuschüchtern, welcher ein weltweit bekannter und gesuchter Künstler ist und in den wichtigsten Konzertsälen der Welt seine Musik zum Klang bringt, legt diese Absicht ganz offen dar – und natürlich auch die Scheindemokratie, die Erdogan und Co. in den letzten Jahren aufgebaut haben.

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