Written by 20:00 HABERLER

Wahlkampf aus Sicht der Migranten: Migration im Fokus, soziale Probleme verdrängt

Am 23. Februar stehen in Deutschland vorgezogene Bundestagswahlen an. Die politische Debatte wird von der Migrationsfrage dominiert, während soziale und wirtschaftliche Themen nahezu gar nicht thematisiert werden. Insbesondere rechte und rassistische Kräfte und Parteien, wie die AfD profitieren von diesem Kurs. Feindseligkeit gegenüber Einwanderern und Geflüchteten wird auf einem hohen Level geschürt. Die Perspektiven von Migranten sind wie die Lebens- und Einwanderungshintergründe sehr heterogen. 7,1 Millionen wahlberechtigte Bürger mit Migrationshintergrund, also 12 Prozent der Wählerschaft, können bei dieser Wahl an die Urne treten. 10 Millionen, also 14 Prozent der Erwachsenen sind allerdings ohne deutschen Pass und demnach nicht wahlberechtigt.

Dilan Baran

Sorgen der Migranten: Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit

Laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) ist die wirtschaftliche Situation und Sicherheit für ein Drittel aller Wähler das wichtigste Thema. Menschen mit Migrationshintergrund sorgen sich zudem stärker um Wohnraum, Renten und Kriminalität als Nicht-Migranten. Nicht überraschend, denn hohe Mieten und geringe Löhne belasten sie besonders stark. Sie haben zudem weniger Vertrauen in politische Parteien und bezweifeln, dass diese Lösungen für ihre Probleme bieten können.

Migration als Wahlkampfthema: AfD profitiert

Ein brisanter Punkt der DeZIM-Studie ist die Frage nach der “Lösung” des Migrationsproblems. Hier sehen 24,7 Prozent der migrantischen Wähler die AfD als kompetent an – ein Wert, der mit dem Anteil jener übereinstimmt, die keiner Partei Kompetenz zusprechen. 25,9 Prozent nennen die CDU/CSU, während die SPD mit nur 10 Prozent deutlich weniger Vertrauen genießt. Zudem wird auch bei Nicht-Migranten die AfD als führende Kraft in der Migrationspolitik wahrgenommen. Dies deutet darauf hin, dass sich Teile der migrantischen Community mit der flüchtlingsfeindlichen Haltung der Partei identifizieren, zumindest sich vertreten fühlen, obwohl die AfD grundsätzlich eine ausländerfeindliche Agenda verfolgt.

Politische Orientierung der Migranten

Die politische Landschaft unter Migranten ist heterogen. Bei den Wahlpräferenzen liegt die SPD vorn, während die AfD die wenigsten Stimmen von Migranten erhält. Die größten Unterschiede von Wählern mit und ohne Migrationshintergrund machen sich bei den Grünen, die Linke und BSW bemerkbar. Während die Grünen bei Migranten weniger Zustimmung finden, schneiden die Linkspartei und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) vergleichsweise stark ab.

Während SPD und Linke traditionell viele Stimmen erhalten, gibt es eine wachsende Gruppe, die zur BSW tendiert. Besonders türkeistämmige Wähler haben eine lange Bindung an die SPD, doch diese nimmt ab. Parteien wie die DAVA, die sich stark an der AKP orientieren, können bei dieser Wahl nicht antreten, haben aber in der Vergangenheit insbesondere konservative türkeistämmige Wähler angesprochen. Islamophobie und die Nahost-Politik der Parteien beeinflussen zudem die Wahlentscheidungen vieler muslimischer Wähler.

Während Organisationen wie die Internationale Union der Demokraten (UID) oder die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) zur Wahl aufrufen, ohne eine klare Parteiempfehlung abzugeben, gibt es in sozialen Netzwerken auch offene Sympathien für die AfD. Einige türkische Nationalisten sehen in der AfD einen Verbündeten, da sie miteinander eine rassistische Weltanschauung teilen und die AfD, wie türkische Nationalisten auch, gegen Flüchtlinge auftritt. Zudem verstärken Bemühungen einiger AfD Politiker diese Tendenz, wie die Aussage, dass Türken ihre nationalen Werte schützen und sich nicht mit Deutschen vermischen sollten.

Insgesamt, kann man sagen, konzentriert sich der Wahlkampf aller Parteien, außer der Linken auf die Begrenzung und Rückführung von Einwanderung und auf die Außenpolitik, sprich das klassische Prinzip eines äußeren und eines inneren Feindes. Politische Interessen von Migranten werden auf der großen Bühne allerdings gar nicht benannt. Große soziale Fragen wie der demnächst in Rente gehenden Babyboomer-Generation und des massiven Arbeitskräftelochs, hoher Kinderarmut, Gewalt gegen Frauen, massive Investitionsstaus in Schulen und Krankenhäusern usw. tauchen ebenfalls kaum auf.

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