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Wahlurnen in Deutschland – Eine Bilanz bis zur Auszählung

Yücel Özdemir

Am 7. Juni findet in der Türkei der Urnengang für die Parlamentswahlen statt. In Europa und Deutschland konnten türkische Staatsbürger ihre Stimmen bereits zwischen dem 8.-31 Mai abgeben. Im Ausland leben 2866940 registrierte Wahlberechtigte. Die Wahlbeteiligung im Ausland lag bei 931 Tausend, davon ca. 500 Tausend aus Deutschland. Zusätzlich kommen ca 100 Tausend am Zoll oder in Flughäfen abgegebene Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag somit bei ca. 35-40 %. Die endgültigen Zahlen und die Auszählung nach Parteien wird am Wahlabend bekannt gegeben. Einige wesentliche Aspekte der Wahlen und worauf sie hindeuten, sollen hier dennoch kurz aufgezählt und erläutert werden.

1. Bei den Präsidentschaftswahlen 2014 lag die Wahlbeteligung bei ca. 8-10%. Dennoch ist die Nicht-Teilnahme an diesen Wahlen bei ca. 60-65% der Wahlberechtigten auch nicht zu unterschätzen. Das Interesse ist allgemein angestiegen, aber man müßte mal die Gründe der Nicht-Teilnahme erforschen. Die Beteiligung an Wahlen eines Landes, zu dem man einen historischen und emotionalen Bezug hat, sonst aber wenig Beziehung zu dem Land aufbauen kann, ist integrationspolitisch für Deutschland sicherlich auch sehr interessant.
2. Die Wahlbeteiligung würde sicherlich steigen, wenn man mehr Urnenstandorte festlegen würde. In Deutschland haben immerhin 500 Tausend türkische Staatsbürger den Weg zu 13 Urnen gefunden, teilweise sind Menschen Hunderte Kilometer gefahren.
3. Man merkte, dass die Meisten, die den Weg zu den Urnen fanden, “organisiert” waren, d.h. sie hatten einen Bezug zu einer kuturellen, religiösen oder politischen Vereinigung. Vereine und organisierte Kräfte versuchten, ihre Anhänger zu mobilisieren und für “ihre” Parteien jede Stimme zu holen. Somit könnte grob geschätz behauptet werden, dass knapp 1/3 der türkischen Staatsbürger in Deutschland irgendwo organisiert sind oder zumindest im Umfeld einer besstimmten Strömung liegen.
4. Schnell konnte an den Urnen festgestellt werden, dass die AKP-Basis in Deutschland in der DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. ) organisiert ist. DITIB-Imame, die aus der Türkei hierhin geschickt werden, wurden vielerorts zu Urnenverantwortlichen erklärt und bestimmten die Wahlzähler und -Beobachter. Somit wurde deutlich, dass die DITIB keinesfalls unabhängig und neutral ist, wie sie immer behaupten. Das muss in der deutschen Öffentlichkeit weit verbreitet und diskutiert werden.
5. Die Wahlgänger sind meist Angehörige der 1. und 2. Generation, die teilweise in der Türkei geboren oder sozialisiert wurden. Junge Urnengänger waren meist nicht anzutreffen. Das könnte daran liegen, dass sie erstens meist deutsche Staatsbürger sind und zweitens sich für die Politik (in der Türkei) weniger interessieren. Daraus kann man interessante Schlüsse für die Integrationspolitik in Deutschland ziehen.
6. Die türkischen Wahlurnen in Deutschland wurden auch aus türkeistämmigen Kreisen oft kritisiert, weil man sich als Teil dieser Gesellschaft sieht und versteht. Je weiter die Integration und die Anerkennung in Deutschland voranschreitet, desto mehr wird auch das Interesse der jüngeren Generationen an der türkischen Politik abnehmen.
7. Auf der anderen Seite zeigt es, dass 1/3 der hier lebenden türkischen Staatsbürger die Entwicklungen in der Türkei stark verfolgt und ein Teil davon ist. Das gibt klare Anzeichen dafür, dass jegliche Bewegung in der Türkei sich schnell auch nach Deutschland ausbreiten kann. Das birgt positive wie negative Entwicklungen in sich, da eine Polarisation in der Türkei auch hierzulande spürbar werden kann.
8. Die deutsche Gesellschaft hat die Wahlen oder Urnen nicht wahrgenommen. Es fanden nicht, wie angenommen, Aktionen oder Proteste gegen oder für die Wahlen statt. Das mag auch daran liegen, dass der “Wahlkampf” der Parteien, nicht auf den Strassen, sondern eher in Sälen oder Hallen durchgeführt wurde. Alle Parteien berücksichtigten das in ihrem Wahlkampf und man wünscht sich, dass zukünftige Wahlen auch so gehandhabt werden.

9. Die Wahlergebnisse lassen zu hoffen übrig, dass die HDP mit den Stimmen aus Europa die 10% Hürde schafft und der Wunsch nach Demokratie und Freiheit in der Türkei wahr wird. Mit Spannung wird das Ergebnis erwartet. Die Unterstützung, die die HDP in Europa hat, könnte sogar höher liegen, als der Stimmendurchschnitt in der Türkei. Das würde zeigen, dass viele demokratische Kräfte in Deutschland eine starke Basis haben.

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