YÜCEL ÖZDEMİR
Der Besuch des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz in Ankara diente vor allem einem Zweck: die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei zu vertiefen. Schon im Vorfeld berichtete die deutsche Presse, dass die letzten Hindernisse für den seit Langem diskutierten Verkauf von Eurofighter-Kampfjets an die Türkei bald fallen könnten.
Tatsächlich hatte bereits die Vorgängerregierung entsprechende Schritte eingeleitet. Das Thema wurde erstmals beim Besuch von Recep Tayyip Erdoğan im November 2023 in Berlin auf die Tagesordnung gesetzt. Inzwischen haben die Türkei und Großbritannien einen Vertrag über 20 der insgesamt 40 gewünschten Jets unterzeichnet. Da das Kampfflugzeug von vier Staaten produziert wird – Großbritannien, Deutschland, Spanien und Italien – müssen alle ihre Zustimmung geben. Während Spanien, Italien und Großbritannien den Verkauf unterstützen, hatte sich Deutschland bislang mit Hinweis auf die Menschenrechtslage in der Türkei gesperrt.
Nun hat London dennoch unterschrieben: Für rund 5,4 Milliarden Pfund sollen die Eurofighter geliefert werden. Es gilt als wahrscheinlich, dass die übrigen 20 Jets auf die anderen drei Partnerländer verteilt werden. Die Türkei modernisiert damit ihre Luftwaffe erheblich – mit europäischer Hilfe – und bleibt zugleich ein lukrativer Absatzmarkt für die europäischen Rüstungskonzerne.
Sollte Washington zudem weiter auf den Kauf von F-35-Jets drängen, und man die bereits 2,5 Milliarden Dollar teuren, ungenutzten russischen S-400-Raketenabwehrsysteme mit einrechnet, wird deutlich: Ankara investiert gigantische Summen in Rüstung. Während Bildung, Gesundheit und soziale Ausgaben vernachlässigt werden und neue Steuern die Bevölkerung zusätzlich belasten, fließt das Geld direkt in die Taschen der britischen, deutschen, italienischen, spanischen und amerikanischen Waffenhersteller.
Doch Europa bewaffnet die Türkei nicht nur, um Geschäfte zu machen. Ankara soll zugleich als militärischer Stützpunkt und strategischer Partner in künftigen Konflikten dienen. Der britische Premierminister Keir Starmer formulierte das offen in einem Interview mit Bloomberg: „Die Türkei ist für den südöstlichen Flügel der NATO von entscheidender Bedeutung und sendet damit ein starkes Signal an Putin: Die NATO ist heute stärker als je zuvor.“
Starmer fügte hinzu, dass der Deal mit Ankara 20.000 Arbeitsplätze in Großbritannien für die nächsten zehn Jahre sichere – ein weiteres Beispiel dafür, wie eng wirtschaftliche und sicherheitspolitische Interessen verflochten sind.
Auch Kanzler Merz dürfte ähnliche Überlegungen verfolgen. Deutschland treibt seine militarisierte Außenpolitik voran, um über die Ukraine und das Baltikum die Voraussetzungen für eine mögliche Konfrontation mit Russland zu schaffen – mit einer erstaunlichen Offenheit: Der Zielhorizont lautet 2029. Entsprechend werden Truppen aufgestockt, der Verteidigungshaushalt wächst, und die Bevölkerung wird auf „Kriegsbereitschaft“ eingeschworen. Zugleich wird argumentiert, die schwächelnde Wirtschaft könne durch mehr Waffenproduktion wieder angekurbelt werden.
Die europäischen Mächte, die eine direkte Konfrontation der NATO mit Russland nicht ausschließen, wollen daher auch die Türkei als Verbündeten militärisch stärken – und sich über sie zusätzlichen Einfluss in der Region sichern. Im Kern geht es um die geopolitische Konkurrenz mit Russland und Iran.
Dass Deutschland nun seine Vorbehalte gegen den Eurofighter-Deal aufgibt, zeigt einmal mehr, wie heuchlerisch es in Fragen der Menschenrechte agiert. Trotz der weiter zunehmenden Repressionen in der Türkei sind die einstigen „Bedenken“ plötzlich kein Thema mehr. Das belegt, dass für kapitalistische Staaten wirtschaftliche und geopolitische Interessen stets über demokratischen Prinzipien stehen.
Der Süddeutsche Zeitung-Journalist Raphael Geiger bringt die westliche Haltung gegenüber Erdoğan treffend auf den Punkt:
„Erdoğans Platz auf der Weltbühne, sein geopolitisches Gewicht, seine Verbindungen zu Russland und dem Nahen Osten sind wichtig. Erdoğan ist – anders als viele Europäer – der Präsident eines NATO-Staates, der seit Jahren in seine Armee und Rüstungsindustrie investiert. Eine unverzichtbare Figur. Besonders jetzt.“
(30. Oktober 2025)
Die neuen geopolitischen Frontlinien des Westens gegen Russland und China bringen für jedes Partnerland neue Aufgaben mit sich. Für die Türkei heißt das erneut: Sie soll der „treue Wächter“ – vielleicht sogar die Schlagkraft – des südlichen NATO-Flügels sein. Die türkische Regierung und regierungsnahe Medien verkaufen das jedoch anders: Sie sprechen von einer „Rückkehr der Türkei auf die Weltbühne“, von einem Erdoğan, dem der Westen „Respekt zollt“. In Wahrheit sind es die Interessen des Westens, die das Verhältnis wieder auf Linie bringen.
So dürften die deutsch-türkischen Beziehungen künftig erneut im Zeichen einer „Waffenbrüderschaft“ stehen – diesmal ganz im Sinne Berlins. Nicht zufällig ist der Antrittsbesuch von Merz ausgerechnet auf den Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen der Türkei und Deutschland gelegt. Während sowohl Merz, als auch Erdoğan diesen Anlass nutzten, um über die historische Partnerschaft zu reden, zeigt dieses Treffen einmal mehr, dass die türkisch-deutsche Beziehung nicht auf einer sentimentalen Freundschaft, sondern auf einer rücksichtslosen Befriedigung der eigenen Interessen beruht.
Sollte die Türkei dem europäischen Sicherheitsaktionsprogramm (SAFE) beitreten, könnte das Verhältnis in eine neue Phase treten – abhängig davon, was Erdoğan im Gegenzug erhält.
Die kurz aufeinanderfolgenden Besuche der britischen und deutschen Regierungschefs verfolgen letztlich ein Ziel: die Türkei im globalen Machtkampf zu einem loyalen Wächter ihrer Interessen zu machen – während die türkische Bevölkerung mit den dafür verkauften Waffen noch weiter verarmt.

