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Was bedeutet Erdoğans Köln-Besuch für den „Normalbürger“?  

Der Ministerpräsident der Türkei ist einer der türkischen Politiker mit den meisten Besuchen in Deutschland. Und jedes Mal, wenn er in die Bundesrepublik kommt, sorgt er für kontroverse Diskussionen. Auch auf seinen angekündigten Besuch am 24. Mai in Köln folgten ähnliche Reaktionen. Eine Reihe von Politikern erklärte, er sei in Deutschland nicht willkommen. Andere forderten ihn auf, den Besuch abzusagen. Ein Sprecher der Bundesregierung sah sich wegen der anhalten Debatte genötigt, Erdogan noch mal willkommen zu heißen: „Als Ministerpräsident eines Landes, das uns ein wirklich enger und wichtiger Partner ist, ist Erdogan in Deutschland willkommen.“ Aber er fand sich genötigt, folgenden Hinweis noch mal zu betonen: „ (…) Die Bundesregierung erwartet deshalb, dass bei einer Rede große Sensibilität walten muss.“ Diese Erklärung, die auf den ersten Blick wie die Begrüßung durch einen freundlichen Gastgeber anmutet, zeigt sich bei näherem Hinsehen als eine diplomatisch formulierte Botschaft, mit der der Gast in seine Schranken verwiesen wird. Dass anlässlich des Besuchs eines ausländischen Politikers eine mit der Grundaussage „In deinem Besuch sehen wir zwar keine Probleme, aber…“ eingeleitete Erklärung veröffentlicht wird, macht deutlich, wie weit es in den politischen und diplomatischen Beziehungen gekommen ist. Allerdings ist weder Erdogan, der sich um jeden Preis retten und durch Biegen und Brechen seine politische Zukunft wieder in den Griff bekommen will, noch die Bundesregierung, die nach eigenen Angaben weiter an einer Stärkung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zur Türkei festhalten möchte, an einer Vertiefung dieser Spannungen interessiert. Zwar haben die Entwicklungen in der Türkei im letzten Jahr Erdogan zu einer unberechenbaren politischen Figur gemacht und in eine politische Paranoia gestürzt, trotzdem dürfte er in der Lage sein, zu erkennen, dass ein Ministerpräsident als Schläger, wie man ihn zuletzt in Soma erleben konnte, außerhalb der Landesgrenzen nicht weiterkommen würde.

 

„Schwankungen“ in den türkisch-deutschen Beziehungen

Die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei, werden nicht durch „Kommunikationsstörungen“ oder kritische Äußerungen

 

Die Entwicklung der bilateralen Beziehungen bestimmt nicht die Kommunikation zwischen den Staatsoberhäuptern. Vielmehr sind es die wünschenswerten bzw. erforderlichen Wirtschafts- und politischen Interessen sowie das Kräfteverhältnis beider Seiten. Der Grad des Aufeinander-Angewiesen-Seins ist ein bestimmender Faktor. Auch wenn es manchmal wie eine Straßenschlägerei anmutet, sind die Entwicklungen der letzten Monate und die andauernde Verstimmung nicht als Zeichen für eine mögliche Krise zu deuten, in die die bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland stürzen könnten. Die Möglichkeit einer solchen Entwicklung ist nicht gegeben. Es dürfte sich um ein weiteres Beispiel für vorübergehenden Auf-und-Abs handeln, wie wir sie aus der Vergangenheit kennen.

Allerdings muss man die Folgen dieser Schwankungen für die Bürger beider Länder berücksichtigen. An ihnen ziehen die Diskussionen auf höchster Ebene wie zuletzt die Auseinandersetzung zwischen dem Bundespräsidenten Gauck und Erdogan nicht spurlos vorbei. Es hinterlässt seine Spuren und verstärkt die Polarisierung bzw. die vorherrschenden Vorurteile bei den Menschen auf beiden Seiten, wenn Gauck der AKP-Regierung eine Lektion in Sachen Demokratie erteilt, wenn Erdogan diesen Fall für eine innenpolitische Kampagne ausschlachtet oder den türkischen Wahlkampf nach Deutschland trägt, um den politischen Einfluss bei „seinen Bürgern“ zu forcieren. Diese Tatsache bleibt insbesondere bei den Arbeitern aus der Türkei und ihren deutschen Kollegen in derselben Fabrik, ihren Kindern an derselben Schule oder ihren Familien im selben Stadtteil nicht folgenlos. Die eine Seite stört sich daran, dass der Regierungschef eines Gastlandes über einen ausländischen Staatsgast herzieht und wenige Wochen später dieses Land besucht, um auf einer Veranstaltung als Hauptredner aufzutreten und Menschen aufzuwiegeln. Die andere Seite stört sich daran, dass ein ausländischer Politiker sich in die inneren Angelegenheiten ihres Heimatlandes einmischt und versucht, zu verhindern, dass Menschen mit ihrem Ministerpräsidenten zusammenkommen. Probleme, die beide Seiten betreffen, geraten in den Hintergrund. Erdogan trägt vielleicht mit seiner umstrittenen Art die Hauptverantwortung für diese Spannung. Allerdings trägt auch die Bundesregierung eine Mitverantwortung und die Rechnung bekommen die „Normalbürger“.

Wenn man kritisiert, dass Erdogan als „Schirmherr und Ministerpräsident der in Deutschland lebenden Türken“ auftritt, darf man nicht außer Acht lassen, dass die diskriminierende Migrations- und Integrationspolitik der Bundesregierungen die Menschen dafür empfänglich gemacht hat. Oder anders formuliert: Hunderttausende von Menschen aus der Türkei haben eine lange Migrationsgeschichte in Deutschland. Ihnen wird aber nicht einmal das kommunale Wahlrecht eingeräumt. Die Hindernisse vor der Einbürgerung nach wie vor sehr hoch. Andererseits hat die deutsche Politik letztes Jahr der Türkei das Recht eingeräumt, Wahlurnen auch in Deutschland aufzustellen. Deshalb kann sich die Bundesregierung genauso wenig aus der Verantwortung ziehen, wie Erdogan. Wer Menschen also das Recht auf Mitbestimmung nicht gibt, hat den Boden dafür bereitet, dass die Veranstaltung am 24. Mai in der Kölner Lanxess Arena mit Erdogan großen Zulauf findet könnte.

Deshalb geht es hier nicht nur um einen problematischen Besuch an sich. Denn der Besuch und die Reaktionen darauf werden in wenigen Tagen der Vergangenheit angehören. Aber die aus der Türkei stammenden Menschen werden wie seit 50 Jahren ihrer Arbeit nachgehen oder ihr Leben fortführen. Natürlich ohne irgendwelche Veränderungen in ihren Lebensbedingungen – also ohne Wahlrecht, ohne eine erleichterte Einbürgerung, und natürlich mit misstrauischen Blicken, wie man sie seit der Aufdeckung der NSU-Morde immer wieder trifft.

 

Erdoğans eigentliche Angst

Aus der Sicht der in Deutschland lebenden Türkei-stämmigen Menschen liegt das Problem nicht darin, wie die Beziehungen zwischen der Erdogan- und der Merkel-Regierung laufen. Erdoğan steht eigentlich, so wie in der Türkei auch, auf dem Kriegsfuss mit den Türkei-stämmigen Migranten. Erdoğan und seine AKP-Regierung versuchen, die „Landsmänner“ sie in Türken-Kurden, Muslime-Christen, Aleviten-Sunniten, fromme und atheistische Aleviten usw. zu spalten und zu polarisieren. Wer ihn unterstützt ist ein „guter Bürger“. Wer ihn kritisiert, den stuft er als seinen Feind ein.

Das Bild von Erdogan als ein „guter Muslim“ und „Kämpfer für die Sache des Islam“ ist zwar angekratzt, trotzdem hält es sich. Und seine Anhängerschaft verliert in Deutschland nicht so viele Mitglieder, wie es zurzeit in der Türkei der Fall ist. Allerdings rücken die Spaltungspolitik und die nationalistisch- islamistische Kampagne ihn und seine AKP ihrem Ende immer näher. Vor dem Hintergrund der Gezi-Proteste, die mit Tränengas und Polizeiterror niedergeschlagen wurden, der aufgedeckten Korruptionsaffäre, der Instrumentalisierung der kurdischen Frage, der arbeiterfeindlichen Wirtschaftspolitik, die ganz im Dienste der Unternehmer steht, wird auch hier sein wahres Gesicht immer erkennbarer. Auch seine Haltung nach der Katastrophe von Soma trug dazu bei. Es wurde auch hier deutlich, dass er die Religion instrumentalisiert, um sein menschenfeindliches Gesicht zu verbergen. Die Reaktionen gegen ihn werden auch hierzulande immer stärker.

Menschen, die die Verantwortung von Erdogan und seiner Regierung an dem Massaker in Soma erkennen, Kurden, die ihren Kampf für Frieden und gegen den Krieg fortsetzen, Aleviten, deren Forderungen seit Jahren überhört und unterdrückt werden, werden deshalb am 24. Mai in Köln zusammenkommen, um gegen Erdogan zu demonstrieren. Auch seine „Glaubensbrüder“, die den Lügen von Erdogan nicht mehr Glauben schenken, werden sich diesem Protest anschließen.

Diese Proteste sind das eigentliche Dilemma, in dem Erdogan steckt. Sie stören ihn viel mehr als die Kritik deutscher Politiker, aus denen er Kapital für sich zu schlagen versucht. Dass nicht nur von ihm als „Terroristen“ oder „atheistische Aleviten“ beschimpfte Menschen an der Gegenkundgebung teilnehmen werden, sondern auch Menschen, die ihn wegen seiner Haltung gegenüber Soma kritisieren, stört ihn am meisten. Und diese Einheit ist auch das Instrument, mit dem man ihn zurechtweisen kann.

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