Dr. Friederike Römer ist Co-Leiterin der Abteilung Konsens & Konflikt im Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Gemeinsam mit Dr. Ramona Rischke wird Friederike Römer bei der gemeinsamen Migrationskonferenz von DIDF und dem Institut für Soziale Bewegungen der Ruhr Universität Bochum einen Impulsvortrag zum gesellschaftlichen Rechtsruck halten. Wir haben mit ihr darüber gesprochen.
Der gesellschaftliche Rechtsruck macht sich immer stärker bemerkbar. Wer ist davon betroffen?
Vom gesellschaftlichen Rechtsruck betroffen sind vor allem Menschen, die von Rechtskonservativen und Rechtsradikalen angegriffen und zum Feindbild stilisiert werden. Das sind zum einen Menschen mit Migrationshintergrund und rassifizierte Menschen, aber auch behinderte Menschen, queere Menschen, trans Menschen, Frauen, Feminist*innen und Linke, sowie natürlich Menschen, die mehr als einer dieser Gruppen angehören. Wenn rechtsextreme Straftaten steigen, dann sind es diese Gruppen, gegen die Gewalt ausgeübt oder gehetzt wird. Eine weitere Gruppe, die in der Debatte oftmals nicht explizit benannt wird, aber von rechter Politik ebenfalls negativ betroffen ist und auch in Zukunft negativ betroffen sein wird, sind Menschen mit niedrigem Einkommen. Rechte Politiker*innen behaupten zwar oftmals, Politik für die „kleinen Leute“ zu machen, wenn man aber genauer hinschaut, dann ist das nicht der Fall: Eine Auswertung der Wahlprogramme hat gezeigt, dass Besserverdienende von den AfD-Plänen am meisten profitieren würden. (https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.936232.de/diw_aktuell_106.pdf).
Besonders im Wahlkampf wurden viele Behauptungen aufgestellt, z.B. dass vermehrt in Sozialsysteme eingewandert wird, also Migrant:innen vermehrt Bürgergeld etc. beziehen – entsprechen diese der Wahrheit?
Migration folgt komplexen Entscheidungsprozessen. Kriege und Konflikte, Netzwerke und der Arbeitsmarkt sind für die Erklärung von Migrationsbewegungen besonders wichtige Faktoren. Die Behauptung, dass es zudem eine „Einwanderung in die Sozialsysteme“ gäbe, ist schon älter und wird immer wieder aufgegriffen, um Leistungszugang zu beschränken. Es gibt für die These aber relativ wenig belastbare wissenschaftliche Belege. Neuere Studien weisen eher darauf hin, dass ein solcher behaupteter „Sogeffekt“ von Leistungen gering oder nicht vorhanden ist. Und: auch wenn Daten zeigen, dass Ausländer*innen häufiger Leistungen nach SGB II beziehen, sollte dies nicht als Leistungsmissbrauch gelesen werden. Wenn diese Gruppe häufiger von Arbeitslosigkeit oder prekären Jobs betroffen ist – etwa wegen nicht anerkannter Abschlüsse oder Diskriminierung – und soziale Leistungen der Unterstützung in solchen Lagen dienen, weist die höhere Inanspruchnahme eher auf ein systemisches als ein individuelles Problem hin.
Welche Herausforderungen bringen die aktuellen Entwicklungen für unser Zusammenleben? Was braucht es deiner Meinung nach, um es nachhaltig zu stärken?
Die Herausforderungen sind vielfältig, weil es an unterschiedlichsten Fronten Angriffe auf Organisationen und Individuen gibt, und demokratische Grundwerte und Institutionen in Gefahr sind. Gleichzeitig sind viele Menschen nicht nur von lokaler und nationaler Politik, sondern auch von internationalen Entwicklungen und Kriegen betroffen. Meiner Meinung nach braucht es eine starke und solidarische Zivilgesellschaft und übergreifende Bündnisse sowie umfassende Bildungs- und Kulturangebote, um dem Rechtsruck entgegenzuwirken. Dafür braucht es aber auch finanzielle Mittel – die im Moment als erstes gestrichen werden. Gleichzeitig sollten demokratische Parteien sich von menschenverachtenden Positionen der Rechtspopulist*innen klar abgrenzen und eigene politische Schwerpunkte setzen.