Nach monatelangen Diskussionen wurde am 5. Dezember die sogenannte „Rentenreform“ in Form von drei Gesetzen beschlossen. Nach der Zustimmung des Bundesrates sollen sie am 1. Januar 2026 in Kraft treten. Dass das Rentenniveau bis 2031 stabil gehalten wird, bedeutet nichts anderes als die Fortsetzung der Altersarmut. Genau deshalb steht auch das Modell der „Aktivrente“ im Mittelpunkt: Wer von seiner Rente nicht leben kann, soll eben hinzuverdienen! Die arbeiterfeindliche Merz-Regierung steht erst am Anfang. Noch bevor die neuen Reformen überhaupt greifen, kündigte Arbeitsministerin Bas an, dass man 2026 eine „umfassende Rentenreform“ vorbereiten werde.
Serdar Derventli
Der Bundestag hat am 5. Dezember das aus drei Gesetzen bestehende „Rentenpaket 2025“ beschlossen. Die Beratung im Bundesrat ist für den 19. Dezember vorgesehen; der Starttermin ist der 1. Januar 2026. Bis zuletzt war unklar, ob die sogenannten „Jungen Wilden“ („Rentenrebellen“) – 18 Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion – dem Paket zustimmen würden. Diese angeblichen Rebellen forderten, die Grenze zur Sicherung eines Rentenniveaus von 48 Prozent über das Jahr 2031 hinaus aus dem Gesetz zu streichen. Begründung: Die Finanzierung sei nicht gesichert – die jüngere Generation würde ansonsten belastet.
Wer erhält überhaupt eine Rente auf dem Niveau von 48 Prozent?
Dabei ist klar: Die Festschreibung eines Rentenniveaus von 48 Prozent schützt nicht nur heutige Rentnerinnen und Rentner, sondern auch kommende Generationen. Doch eine Gruppe von „Karrieristen“, die kaum je ordentlich gearbeitet haben, versuchte mit ihrer Haltung zu verschleiern, dass Millionen ältere Menschen bereits heute in Armut leben – und hatte damit Erfolg.
Anstatt – wie eigentlich nötig – eine Anhebung des Rentenniveaus zu fordern, beschränkten sich die Gewerkschaften und zahlreiche Sozialverbände darauf, den Erhalt der 48-Prozent-Marke zu verteidigen. Dies führte zu einer verzerrten öffentlichen Wahrnehmung. Denn das Rentenniveau von 48 Prozent ist ein rein statistisches Verhältnis zwischen Standardrente und durchschnittlichem Einkommen aller Versicherten. Die sogenannte Standardrente setzt 45 Beitragsjahre mit durchgehend durchschnittlichem Einkommen voraus und liegt aktuell bei 1.835,55 Euro brutto.
Die Realität sieht jedoch völlig anders aus: Die überwältigende Mehrheit der Rentnerinnen und Rentner erhält weniger als 1.200 Euro im Monat – 77 % der Frauen und 41 % der Männer. Angesichts dieser massenhaften Altersarmut über die 48-Prozent-Marke zu debattieren, ist im Grunde ein Hohn.
Viele sterben, bevor sie überhaupt in Rente gehen…
Die bürgerliche Presse unterstützte die Kritiker zudem mit der Behauptung, die steigende Lebenserwartung mache ein festes Rentenniveau unrealistisch. Franziska Brantner, Co-Vorsitzende der Grünen, erklärte in der „Welt“, man müsse in einer Gesellschaft, die sich auf eine Lebenserwartung von 100 Jahren zubewege, neue Wege denken.
Doch das Gegenteil ist der Fall: In Deutschland und vielen europäischen Ländern sinkt die durchschnittliche Lebenserwartung seit 2019 wieder. Eine Studie der Universität East Anglia, veröffentlicht Anfang 2025 in „The Lancet Public Health“, belegt dies deutlich. In Großbritannien führte dies sogar dazu, dass die geplante Anhebung des Rentenalters auf 68 vorerst gestoppt wurde.
In Deutschland trifft es besonders Arbeiterinnen und Arbeiter: Laut Pestel-Institut leben männliche Beamte nach dem 65. Geburtstag durchschnittlich 21,5 Jahre, Angestellte 19,4 Jahre – Arbeiter hingegen nur 15,9 Jahre. Viele erreichen das Rentenalter also gar nicht. Überdurchschnittlich viele Arbeitnehmerinnen und Arbeiter erreichen die Rente nicht einmal, weil sie früher sterben“, so Institutschef Matthias Günther.
Nein zur Aktivrente!
Ab dem neuen Jahr sollen Rentnerinnen und Rentner bis zu 2.000 Euro monatlich steuerfrei hinzuverdienen dürfen – das Modell der „Aktivrente“. Die Bundesregierung rechnet damit, so rund 168.000 Menschen im Arbeitsmarkt halten zu können. Offiziell heißt das: ein Beitrag zur Lösung des Fachkräftemangels. Doch in Wahrheit werden Millionen Rentnerinnen und Rentner gar keine Wahl haben: Angesichts der Altersarmut werden sie gezwungen sein, weiterzuarbeiten. Statt die fast fünf Millionen Arbeitslosen in Beschäftigung zu bringen, sollen Rentner als billige Arbeitskräfte dienen – eine versteckte Form der Rentenalter-Anhebung.
Die Gewerkschaften müssen dringend gegen die Aktivrente und jede weitere Erhöhung des Rentenalters mobilisieren. Beide Maßnahmen würden das Leben von Millionen Beschäftigten verschlechtern – und die Zahl der frühen Todesfälle weiter steigen lassen.
Das Rentensystem muss verändert werden!
Auf das „Rentenpaket 2025“ folgt schon bald das „Rentenpaket 2026“. Arbeitsministerin Bärbel Bas kündigte an, man sei dabei für „alle Vorschläge offen“ – einschließlich Rentenalter und Lebensarbeitszeit. Immer wenn Regierungen von „umfassenden Reformen“ sprechen, bedeutet das Angriffe auf die Rechte der Beschäftigten. 2026 wird das kaum anders sein.
Während die Regierung ihr Angriffspaket vorbereitet, müssen alle kämpferischen Kräfte mit dem Widerstand beginnen. Ein erster Schritt ist, klare Forderungen zur Stärkung und zum Ausbau der gesetzlichen Rentenversicherung zu formulieren. Das österreichische Modell wäre – bei allen Schwächen – ein sinnvoller erster Ansatz.
Das österreichische Modell
Immer wenn in Deutschland über eine Rentenreform diskutiert wird, fällt auch der Begriff des „österreichischen Modells“. Doch was genau zeichnet dieses System aus?
Zunächst einmal sind in Österreich alle Personen, die nach dem 1. Januar 1955 geboren wurden – also Arbeiter, Angestellte, Beamte, Abgeordnete und Selbstständige – automatisch Mitglied der gesetzlichen Sozialversicherung.
Das war jedoch nicht immer so. Gegen die Probleme im Rentensystem kämpften der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) und die Arbeiterkammern viele Jahre lang und konnten schließlich die breite Unterstützung großer Teile der Beschäftigten gewinnen. 1997 wurde die bis dahin für Politiker geltende Sonderregelung, die sogenannte „Politikerpension“, abgeschafft; seither sind Politiker wie alle anderen Bürger in die gesetzliche Rentenversicherung eingebunden.
Darauf folgten weitere Reformen: die „Pensionssicherungsreform“ von 2003 und die „Pensionsharmonisierung“ von 2004. Mit diesen Schritten wurden auch Beamte und Selbstständige vollständig in das gesetzliche Rentensystem integriert.
Die Renten in Österreich liegen deutlich über dem Niveau in Deutschland: Männer erhalten im Durchschnitt 2.321,40 Euro, Frauen 1.594,24 Euro monatlich. Zusätzlich werden Renten in Österreich 14-mal im Jahr ausgezahlt – zwölf Monatsrenten sowie ein Urlaubs- und ein Weihnachtsgeld. Insgesamt liegen die Renten damit etwa 40 Prozent über dem deutschen Durchschnitt.
„Versicherungsfremde Leistungen“
In der gesetzlichen Rentenversicherung bezeichnet man als „versicherungsfremde Leistungen“ all jene Aufgaben, die nicht direkt mit den durch Beiträge finanzierten Rentenansprüchen zusammenhängen.
Aus den Beiträgen aller Versicherten werden nämlich auch Leistungen finanziert, die über den eigentlichen Zweck der Rentenversicherung hinausgehen. Dazu gehören unter anderem:
- Lasten und Folgekosten des Zweiten Weltkriegs
- Anrechnungszeiten wegen Ausbildung, Arbeitslosigkeit oder Krankheit
- Kindererziehungszeiten
- Rentenberechnungen auf Basis eines fiktiven Mindesteinkommens
- Schutz bestimmter Rentenansprüche in den neuen Bundesländern
- Ausgleich von Nachteilen aus dem alten DDR-Rentensystem
- Rentenleistungen für (Spät-)Aussiedler
- Entschädigungen im Zusammenhang mit NS-Verfolgung
Nach Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung beliefen sich diese „nicht durch Beiträge gedeckten Leistungen“ im Jahr 2023 auf 124,1 Milliarden Euro. Dem standen jedoch lediglich 84,3 Milliarden Euro an Bundeszuschüssen gegenüber.
Das bedeutet: Die DRV musste 2023 rund 39,8 Milliarden Euro zusätzlich aus ihren eigenen Mitteln aufbringen!
Wie wird die Rente berechnet?
In Deutschland hängt die Höhe der Rente einer Person von der Anzahl ihrer Arbeitsjahre und den erworbenen Rentenpunkten ab. Der Staat legt jedes Jahr den Wert eines Rentenpunktes neu fest – basierend auf dem durchschnittlichen Bruttojahreseinkommen aller Versicherten.
Im vergangenen Jahr betrug der Wert eines Rentenpunktes 39,32 Euro (bei einem durchschnittlichen Bruttojahreseinkommen von 47.085 Euro). In diesem Jahr wurde der Punktwert auf 40,79 Euro angehoben. Dieser neue Wert gilt jeweils für die zweite Jahreshälfte: Die 40,79 Euro (bei einem Durchschnittseinkommen von 50.493 Euro im Jahr 2025) gelten vom 1. Juli 2025 bis zum 30. Juni 2026.
Die Regierung berechnet diesen Wert so, dass das Rentenniveau langfristig bei 48 Prozent des Durchschnittseinkommens liegt.
Da der Punktwert ein Durchschnittswert ist, muss jede Person ihre eigenen Rentenpunkte individuell berechnen. Dazu wird das persönliche Bruttojahreseinkommen durch das durchschnittliche Bruttojahreseinkommen geteilt. Das Ergebnis entspricht der Zahl der Rentenpunkte für dieses Jahr. Multipliziert man diesen Wert mit der Anzahl der gearbeiteten Jahre, erhält man die Summe der bisher gesammelten Rentenpunkte.
Beispiel:
Eine Arbeiterin oder ein Arbeiter verdient (inklusive Urlaubs-, Weihnachts- und Sonderzahlungen) 40.000 Euro brutto im Jahr.
Berechnung der jährlichen Rentenpunkte:
40.000 : 50.493 = 0,8 Rentenpunkte pro Jahr.
Hat diese Person 45 Jahre lang ohne Unterbrechung mit diesem Einkommen gearbeitet, ergibt sich folgende Punktzahl:
45 × 0,8 = 36 Rentenpunkte.
Die Rentenhöhe wird dann so berechnet:
36 × 40,79 Euro = 1.468,44 Euro brutto monatliche Rente.

