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Wie Studien Rassismus verstärken

Was sich türkische Migrantinnen und Migranten angeblich wünschen und wie sie ihre Situation sehen, wird in einer Studie eines deutschen und eines türkischen Forschungsinstituts abgefragt. Nun werden die Daten diskutiert, allerdings werden die verschiedenen Antworten dabei leider nicht in einen Zusammenhang mit der gesamten gesellschaftlichen Stimmung gebracht. Stattdessen werden vor allem die Antworten herausgegriffen, die bestehende Vorurteile bestätigen und die Migrantinnen und Migranten selber als Ursache der Probleme darstellen.

Unter dem Titel „Türken in Deutschland träumen gleichzeitig von Integration und Rückkehr in die Türkei“ ist die Auswertung einer Studie veröffenlicht worden. Bereits im ersten Satz wird dabei deutlich, worum es dabei eigentlich ging. Es wird gesagt, dass es vielen Türken in Deutschland nicht wirklich gefällt und dass deren Anteil in den letzten Jahren sogar noch gestiegen ist. Tatsächlich überlegen 45 Prozent der Befragten, irgendwann in die Türkei zurückzukehren. Allerdings haben nur fünf Prozent konkrete Pläne, dies in den nächsten zwei Jahren zu tun und zwölf Prozent planen eine Rückkehr innerhalb der nächsten zehn Jahre. Ein erheblicher Teil derjenigen, die tatsächlich zurückkehren wollen, begründen dies mit dem besseren Wetter in der Türkei, das sie als Rentner genießen wollen. Hier sieht die Motivationslage also nicht viel anders aus, als bei vielen Deutschen mit einem „Häuschen“ auf Mallorca oder in der Toskana. In der Interpretation der Studie kommt dies aber nicht vor. Insgesamt fällt auf, dass die Situation in Deutschland mit einer schärfer werden Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt um wenige sozialversicherungspflichtige unbefristete Vollzeitstellen und damit einhergehenden rassistischen Diskursen um „Türken und Araber ohne produktive Funktion“ kaum in den Zusammenhang mit den Einschätzungen und Meinungen der Befragten gestellt werden. Stattdessen wird einfach nur darauf hingewiesen, dass immer weniger Migrantinnen und Migranten Deutschland als ihre Heimat sehen, während der Tatsache, dass sich fast 50 Prozent in Deutschland unerwünscht fühlen, in der Interpretation völlig unerwähnt bleibt. Auch dass ein erheblicher Teil derjenigen, die konkrete Rückkehrpläne haben, in den letzten Jahren negative Erfahrungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt gemacht haben und mittlerweile viele sich gute Jobchancen in der Türkei ausrechnen, wird lediglich beiläufig erwähnt.

Eher am Rande wird auch nur erwähnt, dass fast jeder zweite Befragte zwischen 15 und 29 schon Beschimpfungen wegen seiner oder ihrer Religionszugehörigkeit und jeder fünfte in dieser Altersgruppe schon aufgrund der türkischen Abstammung körperlich angegriffen wurde. Stattdessen wird intensiv über eine – zweifellos vorhandene – stärkere Zuwendung zur Religion berichtet. Die Hinwendung zu Religionen muss aber als ein Ausdruck der sich verschlechternden gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen die Menschen einen (vermeintlichen) Ausweg suchen, gesehen werden.

Solange diese gesellschaftliche Ebene nicht in die Interpretation der Befragungen einbezogen wird, geben sie automatisch ein Zerrbild der Realität wieder. Wenn zusätzlich noch genau die Passagen herausgegriffen werden, mit denen sich Vorurteile bestätigen lassen, dann verstärkt sich der Eindruck, dass hier mit Studien Politik gemacht wird. Dabei muss das nicht einmal die Absicht der Wissenschaftler gewesen sein. Vielmehr kann es sich um eine Wiedergabe gesellschaftlich vorhandener Vorurteile handeln, die unbewusst weitergetragen werden.

 

Nils Böhlke

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