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“Wir müssen gemeinsam gegen die Ein-Mann-Diktatur kämpfen”

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Am 1. November finden in der Türkei Neuwahlen statt. Die Entwicklungen sind besorgniseregent und die Wahlen finden unter chaotischen Zuständen statt. Aus diesem Grund haben wir mit der Vorsitzenden der Partei der Arbeit (EMEP), Selma Gürkan ein Interview geführt.

Wie schätzen Sie die Entwicklungen in der Türkei nach der Parlamentswahl ahl am 7. Juni ein?

Wir sind mit einer AKP-Regierung konfrontiert, die mit einer auf Gewalt und Repression beruhenden Politik quasi allen gesellschaftlichen Gruppen den Krieg erklärt hat. Die heutige Regierung besitzt eigentlich keine Legitimität und lässt außer in einem Punkt das Parlament nicht arbeiten: nämlich in der Frage der Mandatserteilung für Auslandseinsätze der türkischen Armee.

Sie hat bei den Wahlen nicht das gewünschte Ergebnis erzielt. Und ihre Politik ist von Repressionen, Eskalation in der kurdischen Frage und von Gewalt gekennzeichnet. Sie führt einen Krieg gegen das kurdische Volk und alle oppositionellen Kreise im Land. Das Recht auf Pressefreiheit, die freie Gerichtsbarkeit, Glaubensfreiheit u.v.m. werden mit Füßen getreten.

Auch in der Wirtschaft- und Außenpolitik ist die Entwicklung nicht rosig. Der US-Dollar ist seit Monaten auf Höhenflug, die Wachstumsrate rückgängig, der Export geht ebenfall zurück. Die Lasten dieser wirtschaftlichen Entwicklung werden auf die Schultern der Beschäftigten gewälzt. 15 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Parallel zur Arbeitslosigkeit steigt auch der Druck auf die Löhne. Der nächste Haushalt wird ein Kriegshaushalt.

In der Außenpolitik steht die AKP-Regierung vor der Pleite. Das Dilemma, in dem sie im Bezug auf den Nahen Osten steckt, führt dazu, dass sie sich den Forderungen der US-Administration vollständig gebeugt hat.

Deshalb müssen wir den gemeinsamen Kampf gegen die Lasten der Wirtschaftskrise und gegen den Krieg organisieren.

DIE SICHERHEIT DER WAHL IST NICHT GEGEBEN”

Es werden Bedenken bezüglich der Sicherheit bei der Wahl zur Sprache gebracht…

In der Tat ist die Frage der Sicherheit bei der Wahl vorhanden. Viele fragen sich, wie die vorgezogenen Neuwahlen am 1. November ablaufen sollen, während alle gesellschaftlichen Gruppen einer zügellosen Repression ausgesetzt sind. Sicherlich kann man Wahlurnen aufstellen. Aber die Ergebnisse daraus werden fraglich sein. Angefangen bei dem Wahlgesetz über die Nutzung staatlicher Mittel, die in erster Linie der AKP vorbehalten ist, bis hin zu den Verboten im Wahlkampf der nicht-etablierten Parteien und nicht zuletzt der 10-Prozent-Hürde gibt es große Bedenken.

Bereits jetzt erklärten die Wahlausschüsse in in einigen kurdischen Städten, dass dort keine Wahllokale eingerichtet werden. Dabei geht es darum, die HDP unter die 10-Prozent-Hürde zu drücken. Auch der Premier hat dieses Ziel ausgerufen. Ist das nicht ein politischer Diebstahl?

LASSEN WIR NICHT ZU, DASS DER GLAUBE MISSBRAUCHT WIRD”

Auf der Kundegebung der AKP in Istanbul, auf der angeblich gegen den Terror protestiert werden sollte, forderte der Staatspräsident Erdoğan seine Anhänger auf, 550 “einheimische und nationale Abgeordnete” ins Parlament zu entsenden. Was bedeutet das nach Ihrer Meinung?

Das ist der Ausdruck des Traums von einer Diktatur eines Einzelnen und einer einzigen Partei. Die AKP schreckt auch nicht davor zurück, den Koran oder die Nationalflagge für ihre eigenen Ziele zu instrumentalisieren. Mit der nationalistischen und diskriminierenden Propaganda geht sie auf Stimmenjagd bei konservativen und nationalistischen Kreisen. Unser Volk darf nicht zulassen, dass die Religion für politische Zwecke mißbraucht wird.

Was bezwecken die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, die gemeinsam zu einer eigenen Protestkundgebung gegen den Terror aufgerufen hatten?

Sie zeigen, dass der Krieg als einzige Lösung in der kurdischen Frage als eine der Grundprobleme der Demokratie in unserem angesehen und jede Alternative dazu abgelehnt wird. Diese Kundgebungen wurden von Erdogan und Davutoglu unterstützt und zu einer Wahlkampfveranstaltung umfunktioniert. Für die Gewerkschaften und Berufsverbände, die zu diesen Aktionen aufgerufen hatten, während sie sich angesichts der Wirtschaftspolitik ins Schweigen verhüllen, stellen sie ein Schandmal in ihrer Geschichte dar. Diese Aktionen stellen eine unmittelbare Unterstützung für die Kriegspolitik der Regierung dar.

DIE POLITISCHE REAKTION MUSS ZURÜCKGEDRÄNGT WERDEN”

Welche Ziele wird die Partei der Arbeit (EMEP) bei der Wahl verfolgen? Welche Forderungen wird sie in den Vordergrund stellen?

Die politische Reaktion, die die AKP heute verkörpert, muss zurückgedrängt werden. Wir müssen ein Wahlergebnis erreichen, das den Traum von der Diktatur eines einzelnen Mannes und einer einzigen Partei ein für alle Mal von der politischen Agenda fegt. Zu unseren Hauptzielen und –forderungen bei der kommenden Wahl gehört die Beendigung des Krieges und die Einrichtung eines Waffenstillstands. Das kurdische Volk und seine demokratischen und kulturellen Rechte müssen anerkannt werden. Der Wahlkampf muss unseres Erachtens dazu dienen, einen gemeinsamen Kampf gegen die negativen Folgen der drohenden Wirtschaftskrise für die Beschäftigten zu organisieren und ein Bündnis der Kräfte zu für Demokratie und Frieden zu schmieden.

Für dieses Ziel konzentriert unsere Partei ihren Wahlkampf auf Betriebe, Arbeiterstadtteile und Unis. Wir haben beschlossen, bei der Wahl die HDP zu unterstützen. Auf unseren Veranstaltungen rufen wir die Teilnehmenden auf, am 1. November die HDP zu wählen.

Das Bündnis mit der HDP wurde aufgrund der unterschiedlichen Meinungen in den Fragen der Kandidatenaufstellung oder der Besetzung eines Ministerpostens zum Gegenstand von Diskussionen. Inzwischen traten zwei HDP-Minister der Übergangsregierung zurück. Was möchten Sie bezüglich dieser Diskussionen sagen?

Es ist zwar eine Übergansregierung, die das Land bis zu den Wahlen regieren soll. Tortzdem erachteten wir es falsch, uns daran zu beteilligen. Dabei haben wir uns an den historischen Erfahrungen der sozilalistischen Bewegung, an unseren Schlussfolgerungen daraus und an der Frage orientiert, welchen politischen Charakter die AKP hat. Wir zweifelten zu keinem Zeitpunkt an der Richtigkeit unseres Beschlusses, den unserem Gründungsvorsitzenden angebotenen Ministerposten abzulehnen. Es ist jetzt nicht an der Zeit, angesichts der Rücktritte der beiden HDP-Minister darüber zu diskutieren, wer mit seiner Einschätzung richtig lag. Vielmehr benötigen wir Diskussionen darüber, wie wir den heute so notwendigen gemeinsamen Kampf voranbringen können. Auch die Bündnisfrage sehen wir unter diesem Aspekt. Wir hatten zwar das Ziel, einen gemeinsamen Wahlkampf mit einem gemeinsamen Wahlprogramm und mit gemeinsamen Kandidaten zu führen. Dies ist leider nicht gelungen. Wir als EMEP fanden es nicht richtig, unter diesen Bedingungen eigene Kandidaten auf HDP-Listen zu nominieren. Dies darf aber nicht zur Schwächung des gemeinsamen Kampfes führen. Unsere Partnerschaft mit der HDP im Kampf für Demokratie werden wir fortsetzen. Und wir rufen alle Kräfte der Arbeiter-, Demokratie- und Friedensbewegung auf, am 1. November die HDP zu wählen, damit sie daraus stärker als am 7. Juni hervorgehen kann.

Übersetzung: M. Calli

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