Written by 11:09 HABERLER

„Wir trauern nicht, wir rebellieren!“ Wir wollen leben, nicht überleben…

 

Wie oft noch? Wer ist die nächste? Aus dem einfachen Wunsch zu „Leben“ wächst der Gedanke „Überleben“. Der Stift in der Hand bleibt lange in der Luft. Es ist schwer, die Sätze zu wiederholen zu einem wiederholten grausamen Mord an einer Frau. Wut und Schmerz haben sich verbündet und lasten schwer in unserem Herzen. Mehtap Savasci, Tugce Albayrak, Maria P. und Özgecan Aslan.

Maria P. (19) / Berlin
Der Hass auf den Körper der Frau, auf der die grausamen Verbrechen der männlichen Täter haften. Innerhalb weniger Tage geschah in Deutschland und in der Türkei ein ähnliches Verbrechen. Junge Frauen. Vom nächsten Moment zum anderen aus dem Leben gerissen. Niedergestochen und verbrannt – Maria P. (19) aus Berlin; Özgecan Aslan (20) aus der türkischen Stadt Mersin. Maria P. war hochschwanger. Vor ihrem Tod wurde sie mehrfach mit einem Messer in den Bauch gestochen. Danach wurde sie angezündet. Mutmaßlicher Täter: ihr Ex-Freund. Maria P. starb, weil sie sich für ihre ungeborene Tochter entschied. Gegen den Willen des Ex-Freundes und seiner Familie. Immer wieder sollen sie Maria P. zu einer Abtreibung gezwungen haben. „Du machst das Leben des Ex-Freundes kaputt“ – so sollen immer wieder Drohungen geklungen haben. Das Leben des Mannes gefährden – Dazu hat Frau nicht das Recht …
Wie hässlich und bestialisch dieser männlich-konservative Denk- und Herrschaftsanspruch sich ausdrücken kann! Maria P. wurde bestraft. Bestraft, weil sie sich für ihren Bauch und ihr ungeborenes Kind entschied. Bestraft, weil sie ihr Leben als ebenso gleichwertig wie das des Ex-Freundes bestimmte. Gewalt gegen Frauen in Deutschland ist kein gravierendes Problem, das weit weg im Nirgendwo-Land passiert. Gewalt gegen Frauen in der Gesellschaft. Sie war nie weg.

Özgecan Aslan (20) / Mersin
Özgecan Aslan war eine junge, intelligente und lebensfrohe Frau. Sie wurde auf bestialische Weise Opfer einer Vergewaltigung. Um die Tat zu vertuschen, wurden ihre Hände abgeschnitten, ihre Leiche verbrannt, anschließend in das nahegelegene Fluss geworfen. 3 Täter, darunter Vater und Sohn, wurden zwischenzeitlich gefasst. Sie stammen aus dem nationalistischen-faschistischen Umfeld der Grauen Wölfe. Seither sammelt sich ein landesweiter Protest gegen das grausame Verbrechen an der jungen Psychologiestudentin.
Frauenorganisationen in allen Teilen des Landes haben zu breiten Protesten in vielen Städten aufgerufen. Tausende Frauen von der Westküste bis zu den kurdischen Provinzen zeigen geschlossen ihre große Bestürzung und ihre Wut gegen das Verbrechen an Özgecan.

„Wir trauern nicht, wir rebellieren“; „Wir werden alles umstürzen, was Gewalt gegen Frauen rechtfertigt“ so die lauten Stimmen der Frauen im Protest. Die Frauenbewegung in der Türkei erstarkt. Sie umschließt immer mehr Frauen und politische Kreise in ihre Reihen und für ihre Forderungen. Sie ist ein wichtiges und dynamisches Element der Demokratiebewegung geworden, die keine Scheu mehr hat vor einer direkten Konfrontation mit der Regierung. Die autoritär-reaktionäre Politik der AKP-Regierung unter Erdogan / Davutoglu drängt die Lage der Frau in der Türkei in eine zunehmend verheerende Richtung.
Schluss mit der Politik, die Gewalt gegen Frauen rechtfertigt und ihren Körper für ihre reaktionären Ziele missbraucht..
Özgecan wurde Opfer in einem gesellschaftlichen Klima, in der die AKP Regierung die Unterdrückung der Frau als „naturgegeben“ proklamiert, ihre Gleichstellung mit reaktionär-islamistischen Argumenten abstreitet. Offiziellen Erhebungen zufolge, haben Fälle von Gewalt an Frauen, Mord und Vergewaltigung erheblich zugenommen. Offensichtlich ist dabei, dass der Anstieg von Gewalt gegen Frauen im Zusammenhang mit der AKP-Regierung steht. So sind seit der Regierungsübernahme im Jahr 2002 Fälle von Gewalt gegen Frauen um 1.400 Prozent gestiegen. Täglich wird mindestens eine Frau Opfer von Vergewaltigung. In den letzten 5 Jahren hat die Zahl der sexuellen Übergriffe, wie Vergewaltigung oder Belästigung, um 30% zugenommen. 2012 legte die AKP Regierung einen Gesetzesentwurf vor, mit dem das Recht auf Abtreibung grundlegend eingeschränkt und die Kaiserschnittgeburten nahezu verboten werden soll. Das Gesetz wurde dank des breiten Protests der Frauenbewegung abgewehrt. Die Praxis zeigt jedoch, dass viele staatliche Krankenhäuser zunehmend die Abtreibung verweigern.

Mit der als „4+4+4“ bezeichneten Bildungsreform hat der damalige Ministerpräsident Erdogan einen Freifahrtschein für Kinder-/Mädchenheirat ausgestellt. Im Jahr 2012 wurden acht wegen Gruppenvergewaltigung und Folter verdächtige Männer durch das Gericht „aus Mangel an Beweisen“ freigesprochen“ (Fethiye-Urteil). Jedes vierte Mädchen wird Opfer von sexueller Gewalt. In den letzten 5 Jahren hat die Zahl der sexuellen Übergriffe, wie Vergewaltigung oder Belästigung, um 30% zugenommen; 50% der Vergewaltigungsopfer sind jünger als 18 Jahre. Jedes vierte Mädchen wird Opfer von sexueller Gewalt. Im November 2011 rechtfertigte ein türkisches Gericht die systematische Gruppenvergewaltigung an einer 13-Jährigen in der Stadt Mardin (Schande-Urteil).

Die Bilanz der AKP Regierungspolitik ist aus Sicht der Frauen verheerend. Sie ist ein tragisches Zeugnis einer islamistisch-konservativen Regierung, die Kinderheirat legalisiert, den geistigen und politischen Nährboden für Gewalt gegen Frauen legt, Täter schützt und Opfer bestraft, das Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren Körper nicht anerkennt und gar verletzt, sowie Politik mit dem Körper der Frau betreibt.

Maria P. und Özgecan Aslan
Zwei junge Frauen, die sich nicht kannten. Zwei unterschiedliche Länder. Zwei Tatorte. Zwei Morde. Zwei ähnlich, fast identische Tathergänge. Erstochen, verbrannt und anschließend in ein Fluss geworfen.
Wir trauern nicht, wir rebellieren.
Wir werden ihrer gedenken.

Sidar Carman

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