Düzgün Altun ist Mitglied der Bundesgeschäftsführung der Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF). Wir haben mit ihm über die Migrationsdebatten und die Migrationspolitik von 2024 gesprochen.
Wie würdet ihr das Jahr 2024 aus der Perspektive der Migrationspolitik beschreiben?

Foto: Privat
Das Jahr begann mit einer Welle von Demonstrationen gegen Rassismus, an denen sich bundesweit über zwei Millionen Menschen beteiligt haben. Und es endet mit einer bemerkenswerten Reaktion der Fußballfans des Drittligisten von Rot-Weiss Essen und Stuttgart II. Tausende Fans jagten einen Nazi regelrecht mit einer „Nazis raus“ Parole aus dem Stadion, als er während der Schweigeminute für die Opfer in Magdeburg, „Deutschland den Deutschen“ rief.
2024 war dennoch in allen Fragen ein schwieriges Jahr, in dem wenige Probleme gelöst, viele aber gewachsen sind. Sowohl in den internationalen Entwicklungen, wie bewaffnete Kriege und Handelskriege, als auch in der Innenpolitik. Migration und Migrationspolitik spielt mittlerweile weltweit eine zentrale Rolle. Dieses Thema ist in den Debatten aber meistens negativ besetzt, aber angesichts der Entwicklungen auch unvermeidlich. Was ich damit sagen will, ist, dass das Thema Migration und Migrationspolitik nicht abgekoppelt von den internationalen und inländischen allgemeinen Verwerfungen und Entwicklungen gedacht werden kann. Diejenigen, die diesen Kontext ausblenden, machen es aus politischem Kalkül.
Wenn wir kurz zurück auf das Jahr 2024 schauen, können wir eine Kontinuität feststellen. Und zwar eine steigende regressive Migrationspolitik und Verrohung und Entmenschlichung in der Debattenkultur. Der Eindruck, es handele sich nicht um Menschen, die seit Jahrzehnten hier leben und arbeiten oder wegen Krieg und Lebensgefahr flüchten mussten, sondern um eine „Horde“, von der nur Gefahr ausgehen würde, wurde mit Nachdruck in die Gesellschaft getragen. Diese Tendenz des „kalten Herzens“ ist nicht nur für Migranten oder Geflüchtete relevant, sondern für die gesamte Gesellschaft, ob mit oder ohne Migrationsgeschichte. Denn, es ist eine bewusste Zersetzung des demokratischen und gleichberechtigten Zusammenlebens aller. Mit der bereitwilligen Politik der bürgerlichen Parteien und der Berichterstattung der Leitmedien ist Migration zu einem Kriegsschauplatz von rechts geworden. Weil wir uns in einem Ausnahmezustand und unter permanenter Gefahr befinden, so die Erzählung, sollen und werden zum Teil auch Entrechtung, Stigmatisierung und Ausgrenzung nicht als solche wahrgenommen.
Kannst du das an Beispielen konkret machen?
Was die Debattenkultur und Medienlandschaft betrifft, gibt es unzählige Beispiele. Wenn man so will, sind alle „Hemmungen“ gegen Migranten und vor allem Geflüchtete fallengelassen worden. Und es ist auch bedauerlich zu sehen, wie bis dato als moderat oder zumindest fair geltende Journalisten, völlig undifferenziert und unhinterfragt, rechte Parolen und Hetzrhetorik übernehmen und weitertreiben.
Was aber die politische Seite angeht, können wir das neue sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz nennen, was nicht nur eine deutliche Verschärfung der Abschiebepraxis vorsieht, sondern Geflüchtete noch einmal unter Generalverdacht stellt.
Auch die neue GEAS-Reform (Gemeinsames Europäisches Asylsystem) ist nichts anderes, als eine Abschottung per Gesetz. Wie menschenunwürdig und katastrophal die Zustände in den sogenannten Außengrenzen, wie beispielsweise in Libyen oder Tunesien sind, wurde mehrfach belegt und ist bekannt. Gerade wird nur noch darüber gesprochen, dass es 2024 weniger Menschen nach Europa oder Deutschland geschafft haben. Kaum wird davon gesprochen, dass 2024 mehr als 10.000 Menschen auf dem Weg Richtung Europa gestorben sind.
Auch die im Mai eingeführte sogenannte Bezahlkarte ist diskriminierend. Man sollte aber noch erwähnen, dass darüber nachgedacht wird, die Bezahlkarte für alle Bürgergeldempfänger auszuweiten.
Nach den Messeranschlägen in Mannheim und in Solingen, die wir entschieden verurteilen und diese Haltung auch in vielen Städten, auf unseren Mahnwachen deutlich gemacht haben, sehen wir ein Muster. Die Regierung hat in zwei Monaten ein neues Sicherheitspaket verabschiedet, das der Bundespolizei, dem BKA und BAMF eine bisher nie dagewesene Befugnis gibt. Das alles ist nichts anderes, als ein weiterer harter Einschnitt in die Grundrechte. Wir sind somit mit Massenüberwachung, Einschränkungen des Demonstrationsrechts u.ä. konfrontiert.
Auch die im November beschlossene Antisemitismus-Resolution zeigt mit dem Zeigefinger vor allem auf den „migrantischen Antisemitismus“, was die Vorurteile bekräftigt. Antisemitismus und Kritik an der israelischen Regierung sind zwei völlig unterschiedliche Haltungen. Als letzten Punkt können wir vielleicht auch das neue Staatsangehörigkeitsrecht nennen, das Mitte des Jahres in Kraft getreten ist. Hier gibt es einige Verbesserungen, was die Wartefrist betrifft oder Einbürgerung von Kindern oder das Entfallen der Optionspflicht/Entscheidungspflicht junger Menschen. Was aber immer noch problematisch ist, ist dass die Einbürgerung an viele andere Hürden, wie selbständig für den eigenen Unterhalt sorgen zu können, gebunden ist. Warum soll jemand, der Deutschland als seinen Lebensmittelpunkt sieht und so lebt, dieses Recht nicht ohne Hürden bekommen können? Haben Menschen, nur weil sie z.B. aktuell arbeitslos sind, nicht das Recht auf Mitbestimmung?
Mittlerweile ist es offiziell: am 23. Februar 2025 werden wir vorgezogene Bundestagswahlen haben. Was erwartet uns 2025?
2025 muss besser werden, als 2024. Aber, auch auf die Gefahr pessimistisch zu wirken, wirkliche Anzeichen dafür, sehen wir gerade nicht. Eine neue Regierung mit der CDU wird keine Verbesserung bringen. Die aktuellen Aussagen und Erklärungen der bürgerlichen Parteien zeigen in die andere Richtung. Kapitalbesitzer und Konzerne haben die Richtung vorgegeben. Weniger Steuerabgaben, Ausbau der Flexibilisierung in der Arbeitswelt, Energiekosten für die Konzerne drastisch senken und natürlich unbegrenzte Subventionen. Da bleibt für den „Normal-Bürger“, ob mit oder ohne Migrationsgeschichte, wenig übrig. Das, was übrig bleibt, soll für Militarisierung ausgegeben werden. Sozialkürzungen in allen Ebenen des Lebens und auch die Ausgrenzungs-und Spaltungspolitik wird leider wohl fortgeführt.
Das Motto ist vorgezeichnet: „nach oben weitergeben, nach unten treten“. Wenn dann, wie befürchtet, die AfD als zweitstärkste Partei aus den Wahlen herausgeht, wird die Polarisierung in der Gesellschaft zunehmen.
Das bedeutet nicht, dass das unser Schicksal ist. Veränderung ist möglich und auch nötig. Aber ohne Bewegung gibt es keine Veränderung. Was aber unveränderlich ist, ist die Veränderung. Deswegen müssen wir an der Stärkung der Bewegung gemeinsam arbeiten. Gute Beispiele haben wir auch 2024 gehabt. Im Juni haben wir mit über 8.000 Menschen bei unserem Festival für Zusammenhalt und Solidarität gezeigt, dass wir zusammenhalten, statt uns spalten zu lassen. Unsere Vereine sind in den Orten Teile der sozialen, antirassistischen und Friedensbewegungen und stehen Tag für Tag zusammen. Unsere Mitglieder arbeiten selbstlos und entschieden für eine Gesellschaft in Frieden und Zusammenhalt. Unser Jugendverband hat mit seinem Sommercamp mit über 300 Jugendlichen gezeigt, wie unsere Gesellschaft aussehen kann. Solche Beispiele müssen wir weiter schaffen und ausbauen.
Mit konkreten und verständlichen Forderungen rausgehen, zusammenstehen, nicht verblenden lassen und mit Motivation weiterkämpfen. Das ist für 2025 entscheidend.