20 Prozent der Spanier unter 25 denkt, dass es „dem Land“ unter der Diktatur Francos besser ging als heute. Von Jugendlichen geprägten faschistische Gruppen gehen zum Jahrestag des Todes Francos auf die Straße. Im Sommer griffen Neonazis Flüchtlinge an, ohne dass die Polizei die Vorfälle stoppte. Was steckt hinter der Faschisierung der Jugend in Spanien und Europa?
Vor genau einem halben Jahrhundert starb Francisco Franco nach fast 40 Jahren blutiger Diktatur über Spanien. Obwohl die Repression an jenem 20. November 1975 kein Ende fand, begann mit dem Tod Francos die sogenannte „transición“ zum heutigen Regime der „parlamentarischen Monarchie“. Ob es sich um eine tatsächliche Demokratie handelt, sei infrage gestellt, wenn über 6.000 Symbole und Denkmäler u.ä. an die Franco-Diktatur weiterhin an die Franco-Diktatur erinnern. Jedes Jahr finden zudem Gottesdienste zum Gedenken an Franco statt, der Hunderttausende von Morden zu verantworten hat, u.a. in spanischen Konzentrationslagern.
Jede fünfte Person unter 25 Jahren meint, dass es Spanien unter der Herrschaft Francos „besser“ ging als heute, laut einer Umfrage des staatlichen Zentrums für Soziologische Untersuchungen (CIS). Unter jungen Männern steigt der Anteil auf über ein Viertel. Das erklärt die jährlichen faschistischen Märsche durch Städte wie Madrid, bei denen es an Nazi-Symbolen wie dem Hitlergruß oder Hakenkreuz selbstverständlich nicht fehlen darf. Dieses Jahr fand bereits vor einigen Tagen eine „Demonstration“ unter dem Motto „Blut – Boden – Tradition“ in Madrid statt, bei dem hunderte jungen Menschen mit Fackeln und Transparenten mit den Aufschriften „Remigration“ und „White lives matter“ regelrecht marschierten. Die Polizei verhinderte dies nicht und nahm lediglich drei Personen fest.-
Franco gelangte durch einen Militärputsch an die Macht. Die 1931 infolge demokratischer Wahlen ausgerufene Zweite Spanische Republik stürzte er ab 1936 in drei Jahren Bürgerkrieg. Dabei unterstützten ihn die faschistischen Regime Deutschlands und Italiens maßgeblich. Symbol dafür ist Pablo Picassos berühmtes Gemälde „Guernica“, dass vom Massaker der Luftwaffe in der gleichnamigen Ortschaft des Baskenlandes zeugt. Untersuchungen sprechen von insgesamt ca. 600 000 ermordeten Personen während des Bürgerkrieges und bis 1950. Die Exekutionen der Diktatur zogen sich bis knapp zwei Monate vor Francos Tod.
Während die Repression in weiten Teilen der Jugend in Vergessenheit zu geraten scheint, geraten Aussagen wie „Unter Franco lebten wir besser“ in den Vordergrund. Solche Rhetoriken erklären, weshalb sich immer mehr Menschen in Spanien – aber auch in anderen Ländern – offen dem Faschismus bekennen. Die Arbeitslosenquote der unter 25-Jährigen liegt aktuell in Spanien bei 25,4 Prozent und zählt damit zu den höchsten in der Europäischen Union. Die Zahl hat sich in den letzten Jahren tendenziell verbessert: 2020 waren 40 Prozent der jungen Menschen arbeitslos, 2013 nach zahlreichen Kürzungen infolge der Immobilienblase 2008 hatten mehr als die Hälfte keinen Job. Gleichzeitig nehmen die vielerorts unbezahlbaren Mietpreise der Jugend die Chance, sich zu emanzipieren. Durchschnittlich ziehen die Spanier erst mit 30 aus.
Dass immer mehr junge Menschen rechtsextrem denken, hat rationale Gründe und gründet auf mangelnden Zukunftsperspektiven, insbesondere in ländlichen Gebieten, die zunehmend von Infrastruktur abgeschnitten sind. Der Weg zu faschistischen Gruppen führt häufig über die Kriminalisierung von Flüchtlingen, die Spanien über das Mittelmeer von Afrika aus erreichen. Ähnlich wie auch in Deutschland verbreiten sich nichtzutreffende Vorurteile. So erlebten in der Kleinstadt Torre-Pacheco im Südosten Spaniens Flüchtlinge – manche von ihnen vom Staat illegalisiert – im Sommer regelrechte Pogrome, als sie hunderte Neonazis (viele von ihnen Jugendliche) verfolgten und verletzten. Ein entsprechender Aufruf war in den sozialen Netzwerken verbreitet worden und ging von einer Falschmeldung aus, nach der ein „illegaler“ Flüchtling einen „spanischen“ Rentner verletzt haben sollte. Bemerkenswert ist, dass die Polizei keinen Spezialeinsatz vorsah – obwohl die lokalen Polizeikräfte aufgrund der Anreise zahlreicher Neonazis deutlich überfordert waren, und die rassistische Gewalt nicht annähernd zu unterbinden versucht wurde, wie die offiziellen Einsatzzahlen im Vergleich mit der Repression von kürzlichen Streiks in der Stahlindustrie zeigen.
Die Entwicklung der spanischen (neo-)faschistischen Szene reiht sich in den gesamteuropäischen politischen Kontext ein. Jedoch kann man in Spanien von einer anderen Qualität als bspw. hierzulande sprechen. Nicht nur durch starke Kontinuität, die man nicht mal versucht unter den Teppich zu kehren, sondern auch durch die sehr schlechten Lebensbedingungen der Jugend. Franco konnte auch nach dem Zweiten Weltkrieg, als dessen Vorspiel der Spanische Bürgerkrieg gilt, weiter herrschen. Hieran ist klar abzulesen, dass der antifaschistische Charakter der Alliierten im Krieg gegen das Dritte Reich Hitlers nur so weit zum Ausdruck kam, als dass er die eigenen Interessen vertrat. Im Gegensatz zu Deutschland hat Spanien keine Bedrohung für die anderen großen imperialistischen Mächte auf dem Weltmarkt dargestellt. So schlossen die USA schon 1953 Verträge mit dem Regime Francos.
Seit 1978 gilt in Spanien eine neue Verfassung, die zwar eine von einem demokratisch gewählten Parlament ausgehende Regierung ermöglicht, aber dennoch einen König als Staatschef legitimiert. Zwar starb Franco an jenem frühen Morgen des 20. Novembers 1975 – vor 50 Jahren – doch der Franquismus endete damit nicht. Die langsame „transición“ legalisierte zwar Parteien wie die kommunistische und sozialistische, brachte aber auch neue wie die heutige Volkspartei hervor, deren Gründer Minister Francos waren. So wundert es nicht, wenn in Madrid faschistische Märsche die Straßen besetzen und in Torre-Pacheco Flüchtlinge verfolgt und angegriffen werden, ohne dass der Staat dagegen effektiv vorgeht.

