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Afghanistan: Nur ein erfolgreicher Einsatz mit schlechtem Ende?

Taylan Ciftci

20 Jahre lang war die Bundeswehr am Hindukusch im Rahmen des NATO-Einsatzes stationiert. Ihren Abzug leiteten die NATO-Truppen Anfang Sommer ein. Wenige Wochen später nahm die Taliban die Hauptstadt Kabul ein und besetzte den Präsidentenpalast. Tausende Afghanen, die der Bundeswehr logistisch oder als Dolmetscher zur Seite standen oder in Hilfsorganisationen aktiv waren, wurden, ohne von der Bundeswehr oder der Bundesregierung informiert zu werden, zurückgelassen. Die Bilder am Kabuler Flughafen sprechen dabei Bände. Anfang September ernannten die Taliban dann eine Übergangsregierung, nachdem sie das Emirat Afghanistans ausgerufen hatten. Wir wollen uns aber nicht nur mit dem Abzug der Bundeswehr und den übrigen NATO-Truppen beschäftigen. Es ist der katastrophalen Situation in Afghanistan geschuldet, eine Bilanz des NATO-Einsatzes zu ziehen.

Ursachen der Besatzung 

Das Verhältnis der Taliban zu den USA war nicht immer so schlecht, wie es medial vermittelt wird. Noch zu Zeiten des ersten Emirats der Taliban in den 1990er Jahren, hatten insbesondere US-amerikanische Erdölfirmen wie Unocal ein Interesse daran, Erdöl und Erdgas über Pipelines aus Zentralasien nach Indien zu transportieren. So meint beispielsweise Zalmay Khalilzad von der RAND Corporation (damals auch Berater von Unocal) am 07. Oktober 1996, dass “die Taliban (…) nicht diesen gegen die USA gerichteten Fundamentalismus wie der Iran” praktizieren. Sie seien nämlich “näher beim saudischen Modell”. Afghanistan war ebenfalls Bollwerk gegen den schiitischen Iran. Zudem ist Pakistan als Gründungsort der Taliban auch schon damals unter der Schirmherrschaft der USA gewesen. Dass die Öl-Diplomatie zwischen USA und Taliban nicht weitergeführt werden konnte, lag unter anderem an dem Druck von Menschenrechtsorganisationen, die das nackte Ölgeschäft mit den frauenverachtenden Taliban kritisierten.

Seit ungefähr 10 Jahren wissen US-amerikanische Forscher außerdem, dass Afghanistan zu den rohstoffreichsten Ländern der Welt zählt. Rohöl, Lithium, seltene Erden und Kupfer liegen im Wert von Milliarden US-Dollar unter der Erdoberfläche. Gerade die internationale Jagd auf Ressourcen durch die USA, die EU aber auch China erklärt, warum Afghanistan weiterhin für Machtpolitik attraktiv bleibt. Afghanistan wird auch weiterhin Austragungsort internationaler ökonomischer Konflikte bleiben.

Die Wohltaten des Westens

Die Besatzung der NATO wurde auch nach der Flucht Bin Ladens nach Pakistan weitergeführt. Es ging nicht mehr um die angebliche Rache als Antwort auf 9/11. Es standen plötzlich weitere Gründe zur Debatte: Vollständige Bekämpfung des internationalen Terrorismus, Bau von Schulen, allgemeine Schulbildung, Demokratisierung des Landes. All die hehren Ziele des Westens konnten mitnichten nachhaltig erreicht werden. Selbst wenn die ökonomischen und geostrategischen Gründe nicht das primäre Anliegen der NATO gewesen wären.

Afghanistan zählt heute zu den unsichersten und ärmsten Ländern der Welt. Mehr als 200.000 Afghanen sind seit 2001 in Afghanistan umgekommen und die Zahl der (Binnen-)Flüchtlinge ist auf einem traurigen Hochpunkt. Denn seit dem Sturz der Taliban 2001 ist das Land wieder im Dauerzustand eines Bürgerkriegs. Afghanistan war bereits nach dem Abzug sowjetischer Truppen ständig umkämpft von rivalisierenden Mujaheddin-Truppen. Die früheren Mujaheddin und heutigen Warlords haben das eigentliche Sagen im Land. Die von der NATO eingesetzte Zentralregierung in Kabul hat wenig mitzureden. Auf lokaler bis regionaler Ebene war das Land zwischen Warlords aufgeteilt. Die Zentralregierung unter Ghani war dabei eine Marionettenregierung, deren Bedeutungslosigkeit zuletzt beim Friedensabkommen 2020 in Erscheinung trat. Die US-Administration verhandelten mit den Taliban bilateral unter Ausschluss der Zentralregierung. 

Um die Taliban von der Macht fernzuhalten, musste die NATO so mit den eigentlichen Machern in Afghanistan kooperieren. Um nur ein Beispiel für die Allianz zwischen NATO und den afghanischen Warlords zu nennen: der tadschikisch-stämmige Warlord Marschall Qasim Fahim galt als fähiger Partner der NATO-Truppen. Aus Zeiten des Bürgerkriegs ist er vielen Afghanen als Schlächter und Kriegsverbrecher in Erinnerung geblieben. Er war eine führende Figur in der Errichtung des afghanischen Militärs, ohne jemals ein Befürworter der Zentralregierung zu sein. Einen Großteil an Personal lieferte nämlich der Kriegsherr selbst. Mit dieser Verhandlungsposition wurde er Vizepräsident und Verteidigungsminister. Fahim ist ein Musterbeispiel für die Korruption innerhalb des durch die NATO neugeschaffenen und durch sie gestützten Staates. Das Prinzip über die Warlords Stabilität errichten zu wollen, hat nicht zuletzt viele Afghanen in die Hände der Taliban getrieben.

Ungefähr 40% der Afghanen sind Paschtunen, wovon diese mehrheitlich die konservative Landbevölkerung bilden. Für die Taliban war dieser Bevölkerungsteil immer die politisch-ökonomische Basis. Besonders im Süden des Landes hatten die Taliban keine Probleme damit, die politische Macht zu erobern. Doch auch im Norden wurden sie in den letzten Jahren immer erfolgreicher. Obwohl ethnisch und kulturell vollständig verschieden, konnten die Taliban auch nicht-paschtunische Schichten gewinnen. Große Teile der Bevölkerung sind kriegsmüde und lehnen die Korruption und Besatzung ab. Solange sich daran nichts ändert, gilt die radikalislamistische Taliban vielen Afghanen als kleineres Übel, die mit eiserner Faust über Afghanistan herrscht. Auch Teile des offiziellen Militärs konnten die Taliban unter ihre Kontrolle bringen. Bietet die Taliban mehr US-Dollar tägliches Gehalt als die Zentralregierung, so wechselt der einfache Soldat schnell die Seiten. Dadurch erklärt sich ebenfalls, warum in einigen Regionen während der Offensive der Taliban kein Schuss gefallen ist. Wenn man nichts zu gewinnen hat, riskiert man auch nichts.

Die Diskussion in Deutschland

Der eigentliche Kern der Diskussion in Deutschland sollte nicht nur um die Lage der Ortskräfte in Afghanistan drehen. Das wäre natürlich schon Grund genug, um den Rücktritt nicht nur einzelner Minister, sondern des ganzen Kabinetts, zu fordern. Die Verantwortungslosigkeit, ohne die afghanischen Ortskräfte zu informieren, abzuziehen und diese noch vor Ort zurückzulassen, müsste ernste Konsequenzen nach sich ziehen. Doch darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass diejenigen Politiker, die beispielsweise die Bundesregierung kritisieren, fast immer mit ihr zusammen mit JA für die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Bundestag gestimmt und damit die Weichen für das aktuelle Versagen gelegt haben.

Es bleibt abschließend zu sagen, dass die Taliban nicht erst seit gestern auf dem Vormarsch sind. 20 Jahre Afghanistaneinsatz der NATO einschließlich der Bundeswehr waren das beste Mittel, die Taliban wieder ins Spiel zu bringen. Korruption, Misswirtschaft und Demütigung durch die Besatzung sind die Folgen westlicher Militärinterventionen gewesen. Um die Völker Afghanistans hat sich niemand geschert. Seit der Machtübernahme der Taliban schert sich auch jetzt niemand um sie. Nach der Bundestagswahl scheint sowieso alles vergessen.

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