Alev Bahadir
Am Wochenende vom 28. März sind in Kabul Frauen auf die Straßen gegangen, um gegen die Maßnahmen der Taliban in Afghanistan zu protestieren. Seit sich die NATO Truppen im August 2021 zurückgezogen hatten, regieren die Taliban wieder das Land. Somit ist Afghanistan wieder auf den gleichen Stand wie vor dem Afghanistan-Krieg zurückgefallen, was für die Bevölkerung dort, allen voran für Mädchen und Frauen, fatal ist.
Kurz nachdem die Taliban wieder an der Macht in ganz Afghanistan waren, wurden, angeblich wegen der COVID-19 Pandemie, sämtliche Schulen geschlossen. Dabei hatten Corona-Zahlen seit ihrem Höhepunkt im Juni 2021 kontinuierlich abgenommen. Dass die Pandemie nur ein Vorwand war, zeigte sich zwei Monate später, als die Schulen wieder öffneten – jedoch nur für Jungen und Mädchen im Grundschulalter (bis zur 5. Klasse). Die weiterführenden Schulen ab der 6. Klasse für Mädchen blieben aber geschlossen. Am 23. März sollten die Schulen auch für Mädchen wieder öffnen, doch erwartete viele aufgeregte Mädchen und junge Frauen an besagtem Mittwoch nicht wieder der langersehnte Unterricht, sondern die Ankündigung, wieder nach Hause zu gehen. Viele Schülerinnen verließen unter Tränen das Schulgelände.
Nachdem in der Woche zuvor das Bildungsministerium angekündigt hatte, dass die Schulen für Mädchen wieder geöffnet werden sollten, veröffentlichte das Ministerium am Tag des Schulbeginns folgende Mitteilung: „Wir informieren alle Mädchengymnasien und jene Schulen, die Schülerinnen über der sechsten Klasse unterrichten, dass sie bis zur nächsten Anweisung geschlossen sind“. Diese Ankündigung reiht sich in eine Kette von Maßnahmen ein, die Frauen das Selbstbestimmungsrecht absprechen. Viele Frauen sind seit letztem Jahr nicht mehr werktätig, sie – unter ihnen auch junge Mädchen – werden gezwungen, sich komplett zu verschleiern. Die Frau wird vollkommen in den privaten Raum gedrängt und wo sie noch in der Öffentlichkeit ist, muss sie sich einschränken. So wurden am besagten Wochenende weitere Regeln erlassen, wie dass Frauen ohne männliche Begleitung nicht mehr fliegen dürfen oder Orte der Freizeitgestaltung, wie Freizeitparks, nur noch an bestimmten Tagen, an denen keine Männer anwesend sind, besuchen dürfen. Ein Frauenministerium gibt es schon länger nicht mehr.
Gegen diese Maßnahmen protestierten Frauen – unter Lebensgefahr- am Wochenende in der afghanischen Hauptstadt. Gleichzeitig wird die Scheinheiligkeit der NATO Staaten nochmal deutlich. Die USA haben ein Treffen mit den Taliban, in dem es um Wirtschaftshilfen gehen sollte, jetzt abgesagt. Sich moralisch zu empören, aber gleichzeitig die Taliban als Verhandlungspartner zu akzeptieren sagt viel aus. Schließlich waren doch die NATO Truppen erst angeblich nach Afghanistan einmarschiert, um den Taliban Terror zu beenden, Frauenrechte und Bildung zu bringen, oder? 20 Jahre später sind die Taliban wieder an der Macht, Frauenrechte und Bildung werden immer weiter abgebaut. Verdächtig schnell war der einstige Feind plötzlich wieder Verhandlungspartner für die USA kurz nach dem Abzug der eigenen Truppen. Umso deutlicher zeigt das, dass es nie um Demokratie oder ähnliches ging, sondern um die beträchtlichen Rohstoffvorräte Afghanistans.
(Un)sichtbare Frauen: Malala Yousafzai
Die Frauen AG der DIDF-Jugend stellt in ihrer Reihe „(Un)sichtbare Frauen“ regelmäßig mutige Frauen vor, die eine aktive Rolle in gesellschaftlichen Kämpfen gespielt haben und nach wie vor spielen. Einer dieser Beiträge handelt von Malala Yousafzai, einer der bekanntesten Aktivistinnen Afghanistans, die sich für Bildung für Mädchen und junge Frauen einsetzt und sich damit die Taliban zum Feind machte. Diesen Beitrag drucken wir hier ab:
In unserer heutigen Ausgabe der (Un-)sichtbaren Frauen haben wir uns für eine besonders mutige und mündige Frauen- und Kinderaktivistin entschieden. Sie zählt zu den jüngsten Friedensnobelpreisträgerinnen und ist heute mit ihren 23 Jahren schon seit vielen Jahren als Friedensbotschafterin der UN tätig.
Die junge Yousafzai, welche am 12.07.1997 im Swat-Tal in Pakistan geboren wurde, erlebte mit elf Jahren selbst die heftige Repression der Terrororganisation der Taliban, welche seit 2004 starken Einfluss in ihrer Heimatregion gewonnen hatte. Schließlich fingen die Taliban 2007 an Mädchenschulen zu zerstören, den Unterricht bei Mädchen ab acht Jahren zu verbieten und führten ganz nach der Tailban-Doktrin einen Ganzkörperschleier-Zwang im öffentlichen Raum ein. Neben Bildung und Arbeit wurde auch Tanz und Musik generell für Frauen als verboten erklärt.
Malalas Vater, Ziauddin Yousafzai, welcher selbst Bildungsaktivist ist und sich insbesondere für die Bildungsfreiheit von Mädchen einsetzt, empörte die Folgen der Machtübernahme der Taliban enorm. Er war es auch, der der BBC seine Tochter als Autorin für den Blog Gul Makai (übersetzt: Kornblume) vorschlug.
Zehn Wochen lang schrieb sie in kurzen Notizen über die Unterdrückung der Frauen, über Selbstmordattentate, von den Ängsten junger Frauen und Mädchen. Die Schriften Malalas waren von Anne Franks Tagebucheinträgen inspiriert, wovon ihr ein Lehrer erzählte. Die auf Urdu verfassten Blog-Einträge erhielten in kürzester Zeit große Aufmerksamkeit, zunächst in Pakistan und später in englischer Version weltweit. Ein riskantes Unterfangen, denn der Taliban gefiel es gar nicht, dass sie sich kritisch äußerte, bzw. überhaupt äußerte. Wie gefährlich es für sie werden würde, verdeutlichte sich bei dem Attentat im Oktober 2012.
Die Taliban stürzten Yousafzais Schulbus auf dem Heimweg und Scharfschützen zielten aus nächster Nähe auf sie und trafen sie an Hals und Kopf. Noch einmal bewies sie ihren starken Willen und kämpfte erst im Militärkrankenhaus und später an der Burmingham Klinik in England um ihr Leben und gewann.
„Ich erhebe meine Stimme – nicht um zu schreien, sondern um für die zu sprechen, die keine Stimme haben.“ Diesem Zitat ist die junge Aktivistin stets treu geblieben. Mit ihren Bestrebungen hat sie sich entgegen aller Voraussetzungen als Gegnerin gegenüber den Taliban bewiesen und genießt internationale Anerkennung. Heute ist sie Oxford-Absolventin in Wirtschaft, Philosophie und Politik.
Mit ihrem tradierten Hintergrund setzt sie in der westlichen Welt gleichwohl ein starkes Zeichen: „Wenn wir unsere traditionelle Kleidung tragen, gelten wir als unterdrückt oder stimmlos oder leben im Patriarchat. Aber ich möchte jedem sagen, dass man auch in seiner Kultur seine eigene Stimme und Gleichberechtigung haben kann“. Wenngleich die Taliban Malala töten wollten, haben sie nur dafür gesorgt, dass ihre Stimme lauter wird.