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Annalena Baerbocks Syrienbesuch: Vorgeschobene humanitäre Hilfe für geopolitische Interessen

Oktay Demirel

Während ihres Besuchs in Syrien und der Teilnahme an der internationalen Syrien-Konferenz in Riad hat Außenministerin Annalena Baerbock angekündigt, die „humanitäre Hilfe Deutschlands für Syrien“ um 50 Millionen Euro zu erhöhen, um Nahrungsmittel, Notunterkünfte und medizinische Versorgung bereitzustellen. Zudem stellte Baerbock eine mögliche Lockerung bestimmter Sanktionen in Aussicht, um das Leben der syrischen Bevölkerung zu erleichtern. Gleichzeitig betonte sie jedoch, dass Sanktionen gegen den Assad-Clan und dessen Unterstützer, die während des Bürgerkriegs schwere Verbrechen begangen haben, weiterhin bestehen bleiben müssen. Die Gespräche konzentrierten sich auf die Unterstützung eines friedlichen Übergangs und die Verbesserung der humanitären Lage, ohne konkrete wirtschaftliche Abkommen zu schließen, wie das bei solchen Treffen üblich ist.

Symbolpolitik: Suffragetten und Frauenrechte

Während ihres Treffens mit Syriens neuem Präsidenten Dscholani, der ihr einen Handschlag verweigerte und eine Woche später in Riad auf der Syrienkonferenz, trug Baerbock symbolisch weiß, die Farbe der Suffragetten, die in Großbritannien für das Frauenwahlrecht kämpften, um ihre Forderung nach Rechten und Gerechtigkeit für Frauen zu unterstreichen. Baerbock, die seit ihrer Amtsübernahme eine „feministische Außenpolitik“ gepredigt hat, versteht also diese bürgerliche Bewegung für Frauenrechte als Ziel ihrer Handlungen und macht mit ihrer aktuellen Politik einmal mehr deutlich, dass „Feminismus“ nur ein Lippenbekenntnis für sie ist. So tapfer die Suffragetten waren und sich damals gegen die männerdominierte Gesellschaft wehrten, kämpften sie doch nur für eine formale Gleichheit von Mann und Frau, ohne die strukturelle Gleichheit von Frauen in der patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft an der Wurzel anzupacken.

Die Suffragettenbewegung wurde von Frauen aus der bürgerlichen und oberen Mittelschicht gegründet und diese Frauen verfolgten vor allem das Ziel, ihre eigene politische und wirtschaftliche Macht innerhalb des kapitalistischen Systems zu stärken. Auch wenn Arbeiterinnen und Frauen aus der Unterschicht ebenfalls für das Wahlrecht kämpften, war dieser Kampf für sie – anders als der der Suffragetten – nie losgelöst von Kämpfen ums Überleben. Denn niedrige Löhne, unsichere Arbeitsbedingungen und Ausbeutung waren für sie alltäglich. Die Suffragetten waren eine Bewegung, die primär den Interessen des Bürgertums diente und die tiefere soziale und wirtschaftliche materielle Ungleichheit im Kapitalismus nicht thematisierte. Mit diesem Symbol wird der Standpunkt von Baerbock deutlich: Sie will nur eine formale Gleichheit von Mann und Frau erreichen und auch wenn sie diese Grundsätze immer wieder betont, sind das die Grundsätze, die als erstes über Bord geworfen werden, wenn ökonomische oder strategische Interessen Deutschlands in Frage gestellt werden.

Baerbocks Syrienpolitik: Deutsche Interessen wahren und befestigen

Baerbock heuchelt vor, humanitäre Hilfe anzubieten. Diese Hilfe wird oft als altruistische Geste präsentiert, dient jedoch primär dazu, politische und wirtschaftliche Einflussnahme zu legitimieren. Die Erhöhung der Hilfsgelder wird weniger die Ursachen des Leids bekämpfen, sondern vielmehr das Image Deutschlands als moralische Instanz und späterer Wirtschaftspartner stärken.

Die Syrienreise und auch die anschließende Syrienkonferenz in Riad muss man als Teil der deutschen imperialistischen Politik verstehen. Deutschland versucht, durch Diplomatie geopolitischen Einfluss zu sichern. Der Fokus auf Stabilität und Hilfe dient der Einbindung Syriens in eine Weltordnung, die den Interessen des globalen Kapitals und der westlichen Hegemonie entspricht, anstatt den Bedürfnissen der syrischen Bevölkerung.

In dem Zusammenhang muss man auch die Forderung nach dem Fortbestand der Sanktionen gegen den Assad-Clan betrachten. Sanktionen treffen oft nicht die Herrschenden, sondern verschärfen vor allem auch das Elend der Arbeiterklasse und der werktätigen Bevölkerung, indem sie Wirtschaft und Infrastruktur schwächen. Solche Maßnahmen reproduzieren die Abhängigkeit und Ungleichheit zugunsten kapitalistischer Zentren wie Deutschland (und der EU). Die westliche Intervention in Syrien steht oft im Zeichen doppelter Standards. Während wirtschaftliche Hilfe betont wird, bleibt die Verantwortung des Westens für die Destabilisierung der Region, etwa durch Waffenexporte oder frühere Interventionen, unerwähnt. Dies ist nichts als Heuchelei.

Deutschland als imperialistische Macht?

Dabei gibt sich Baerbock enorm viel Mühe, dem Imperialismus lediglich auf Russlands Ukraineangriff zu begrenzen und Deutschlands globale Interessen bloß nicht als Imperialismus darzustellen. Die Frage, ob Deutschland imperialistisch ist und handelt, kann man aber nur bejahen. Der Imperialismus ist die höchste Entwicklungsstufe des Kapitalismus und zeichnet sich durch ökonomische Dominanz von kapitalistischen Großkonzernen und politische und militärische Macht von Staaten aus, die für diese Konzerne stehen und notfalls Krieg führen. Aber laut deutscher Staatsdoktrin ist imperialistisch, wer andere Länder besetzt. Da Deutschland keine anderen Länder militärisch besetzt, ist laut Baerbock und Bundesregierung Deutschland also nicht imperialistisch. Doch „Kolonien“ sind nur ein Aspekt von Imperialismus. Der deutsche Imperialismus kennzeichnet sich z.Zt. durch wirtschaftliche Faktoren, auch wenn seit der Ampel „Kriegstüchtigkeit“ und „militärische Verteidigung der deutschen Interessen in der Welt“ wieder stärker in den Vordergrund rücken. Deutschland ist eine der führenden Exportnationen in der Welt und nutzt wirtschaftliche Stärke, um Abhängigkeiten in schwächeren Ländern zu schaffen. Deutsche Unternehmen profitieren von billigen Arbeitskräften und Ressourcen aus dem “globalen Süden“. Diese Ausbeutung erinnert an koloniale Machtverhältnisse, auch wenn sie noch „diplomatisch“ gestaltet ist. Das prägnanteste Beispiel dafür ist die EU. Deutschlands Einfluss innerhalb der EU, wo neoliberale Reformen anderen Staaten aufgezwungen werden, ist ein wesentlicher Charakterzug dieses Imperialismus. (Hier sollte man kurz anschneiden, dass auch wenn Alice Weidel und die AfD die EU als Nachteil für Deutschland definieren und „weniger EU“ fordern, sie im Kern wissen, dass deutsche Konzerne am stärksten von der EU profitieren und sie würden nie ernsthaft einen D-Exit in Erwägung ziehen, aber natürlich demagogische Stimmungsmache damit betreiben. Doch das ist ein anderes Thema, dem wir uns in einem gesonderten Artikel widmen werden).

Deutschlands Imperialismus kennzeichnet sich wesentlich über diplomatische Kanäle, Sanktionen und Handelsabkommen und so setzt Deutschland globale Interessen durch und nutzt multilaterale Organisationen zur Machterhaltung und -sicherung. Aber trotz historisch begründeter Zurückhaltung engagiert sich Deutschland in internationalen Missionen auch militärisch und ist einer der weltweit größten Waffenexporteure. Deutschland mag keine klassischen kolonialen Eroberungen mehr betreiben, aber durch seine wirtschaftliche, politische und militärische Strategie übt es eine Form von modernem Imperialismus aus. Dieses Verhalten sichert den Wohlstand der deutschen Konzerne und stabilisiert die globalen Machtverhältnisse zugunsten kapitalistischer Zentren wie Deutschland.

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