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Bedeutungsschwere Tarifrunde im öffentlichen Dienst

Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen ist jedes Mal ein wichtiges Ereignis. Als zweitgrößte Tarifrunde des Landes ist sie allein wegen der über 2,6 Millionen Beschäftigten, die direkt von ihr betroffen sind, einer der bedeutsamsten Arbeitskämpfe des Landes. Dazu kommt, dass die Beschäftigten im öffentlichen Dienst bei ihrem Arbeitskampf direkt den Kommunen und dem Bund, das heißt im Grunde dem Staat, gegenüberstehen. Dadurch hat diese Tarifrunde immer auch eine politische Seite, denn die Politiker entscheiden unter anderem in den Haushaltsdebatten unmittelbar über die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst.

Katastrophale Zustände

In vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes haben sich die Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren noch einmal besonders stark verschlechtert. Vor allem im sozialen Bereich, das heißt Kinderbetreuung, Kranken- und Altenpflege, herrschen heute flächendeckend unhaltbare Zuständen für Personal, Patienten bzw. Betreute. Einsparungen und Kürzungen haben zu einem Personalmangel geführt, der sich in permanenter Überlastung der verbliebenen Kolleginnen und Kollegen und in äußerst prekären Betreuungsbedingungen niederschlägt. Die Konsequenz: keine Berufsgruppe hat einen so hohen Krankenstand wie Pflegekräfte (fast 26 Tage im Jahr) und unter Kitabeschäftigten sind psychische Erkrankungen der zweithäufigste Krankschreibungsgrund. Mittlerweile haben so viele Fachkräfte den sozialen Bereich aufgrund dessen verlassen, dass es unter Pflegekräften längst einen eigenen Begriff dafür gibt – nämlich „Pflexit“ (zusammengesetzt aus „Pflege“ und „Exit“, englisch für „Ausstieg“). Diese Umstände beschränken sich jedoch keinesfalls auf Kita, Kranken- und Altenpflege. Die Nachbesetzung von Stellen findet vielerorts entweder extrem verspätet oder auch gar nicht statt, sodass es aktuell eine Unterbesetzung von etwa 570.000 Beschäftigten im öffentlichen Dienst gibt

Darum: Volle Durchsetzung aller Forderungen notwendig

Vor allem diesen belastenden Arbeitsbedingungen wollen die Kolleginnen und Kollegen mit der jetzigen Tarifrunde begegnen. Neben acht Prozent mehr Lohn, mindestens aber 350€, und einer Erhöhung der Ausbildungs-, Studien- und Praktikumsvergütung um 200€ wollen die Beschäftigten vor allem eins: mehr Freizeit um sich von der Arbeit besser erholen zu können. Dafür fordern sie: drei Tage mehr Urlaub für alle, einen zusätzlichen Urlaubstag für Gewerkschaftsmitglieder und die Möglichkeit, Teile ihres Gehalts in Freizeit umwandeln zu können. Damit werden Personalmangel und Überlastung zwar nicht an der Wurzel bekämpft, allerdings kann damit eventuell zeitweilig die Abwärtsspirale “Unterbesetzung-Überlastung-Kündigung-Unterbesetzung” gestoppt werden.
In einer Umfrage unter Beschäftigten gaben 60% der Befragten an, dass sie sich eine Rückkehr in die Pflegebranche unter gewissen Bedingungen vorstellen können. Die spürbare und unmittelbare Verbesserung der Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst kann daher direkt zur Abmilderung des Personalmangels beitragen. Eine sehr gute Möglichkeit wäre beispielsweise die Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich.  Und auch die volle Durchsetzung der starken Forderungen für Auszubildende, Studierende und Praktikanten , die zusätzlich zu den 200€ mehr Geld auch eine unbefristete Übernahme für Auszubildende in ihrem tatsächlichen Ausbildungsberuf beinhaltet, können einen wichtigen Beitrag zur Entlastung der Beschäftigten leisten, indem sie jungen Beschäftigten eine bessere und sicherere Perspektive im öffentlichen Dienst bieten.

Entlastung steht gegen Aufrüstung

Allerdings werden sich die Beschäftigten bei der Durchsetzung ihrer Tarifforderungen auf besondere Schwierigkeiten einstellen müssen. Denn das Letzte, woran sowohl die Bundesregierung als auch die kommunalen Arbeitgeber derzeit denken, ist, die Ausgaben im öffentlichen Dienst zu erhöhen. Stattdessen werden an allen Ecken und Enden die Ausgaben für Wirtschaftssubventionen und Aufrüstung in die Höhe geschraubt, um die Dividenden und Interessen deutscher Unternehmen und Konzerne zu schützen. Das steht allerdings im Widerspruch zur Erhöhung der Ausgaben im öffentlichen Dienst und damit zu den Forderungen der Beschäftigten. Denn in den vergangenen Jahren, wurde unter anderem im sozialen Bereich gekürzt, um die Mehrausgaben für Wirtschaft und Militär möglich zu machen. Im Bundeshaushalt 2024 wurden allein im Gesundheitsbudget ein Drittel der Finanzmittel gestrichen, während der Verteidigungsetat stieg.
Auch wenn sich die Politiker, die den Beschäftigten in der Tarifrunde im öffentlichen Dienst am Verhandlungstisch gegenübersitzen, gerne als große Staatsmänner und Weichensteller inszenieren, sind es in Wahrheit ganz Besonders die Arbeiter im öffentlichen Dienst, die das öffentliche Leben, die Infrastruktur und die grundlegende Versorgung in Deutschland sicherstellen und am Leben halten. Umso absurder, dass in den Parlamenten zwar Diätenerhöhung nach Diätenerhöhung verabschiedet wird, für die dringenden Lohnerhöhungen und Entlastungsmaßnahmen der Arbeiter allerdings kein müder Cent übrig sein soll.
Wollen die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes also für die volle Durchsetzung ihrer Forderungen und damit für die längst überfälligen Verbesserung ihrer prekären Arbeitsbedingungen kämpfen, dann muss sich ihr Kampf gleichzeitig gegen den Militarismus und die Kapitalpolitik der aktuellen, sowie einer kommenden Bundesregierung richten.

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