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Bildung in der Krise: Das deutsche Schulsystem als Spiegel gesellschaftlicher Ungleichheit

Dilan Baran

Deutschland, ein Land, das sich rühmt, wirtschaftlich stark und innovativ zu sein, kämpft mit einem tief verwurzelten Problem: einem mangelhaften Schulsystem, das gesellschaftliche Ungleichheiten weiter verstärkt und eine Chancengleichheit unterminiert. Inmitten von Debatten über Migration und Integration wird oft übersehen, dass die Wurzeln der Bildungsproblematik weit tiefer reichen. Die Unterfinanzierung und fehlende Modernisierungen öffentlicher Schulen sind die Übeltäter, die dringend adressiert werden müssen.

Ein System in Schieflage

Die aktuelle Unterversorgung im deutschen Schulsystem ist ein besorgniserregendes Symptom struktureller Probleme. Lehrermangel, marode Schulgebäude und unzureichende Ausstattung sind weit verbreitet. Laut einer Studie des Deutschen Lehrerverbands fehlen bis 2025 rund 25.000 Lehrerinnen und Lehrer. Viele Schulen können den Unterricht kaum noch regulär aufrechterhalten, Vertretungsunterricht und Stundenausfall sind an der Tagesordnung.

Diese Missstände sind keineswegs neu. Bereits seit Jahrzehnten weisen Experten darauf hin, dass die Bildungspolitik chronisch unterfinanziert wird. Bildungsausgaben werden oft nur punktuell als Investition in die Zukunft gesehen und nicht flächen- und bedarfsdeckend getätigt. Dies zeigt sich besonders deutlich im Vergleich mit anderen Ländern.

Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass andere Länder bedeutend mehr in ihre Bildungssysteme investieren. In Schweden beispielsweise werden etwa 6,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Bildung ausgegeben, in Deutschland sind es nur etwa 4,9 Prozent. Finnland, oft als Musterbeispiel für erfolgreiches Bildungswesen genannt, legt besonderen Wert auf Chancengleichheit und individuelle Förderung. Hier sind kleine Klassen, gut ausgebildete Lehrer und moderne Lernumgebungen die Regel, nicht die Ausnahme.

Diese Investitionen zahlen sich aus: Laut PISA-Studie schneiden finnische und schwedische Schüler regelmäßig besser ab als ihre deutschen Altersgenossen. Dabei sind die sozioökonomischen Unterschiede in diesen Ländern deutlich geringer. In Deutschland hingegen hängen Bildungserfolge stark vom Elternhaus ab. Kinder aus bildungsfernen Schichten und mit Migrationshintergrund haben signifikant schlechtere Chancen auf einen erfolgreichen Bildungsweg.

Ungerechtigkeit und gesellschaftliche Spaltung

Diese strukturelle Ungerechtigkeit hat weitreichende Folgen. Bildung ist der Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe. Wer hier versagt, produziert eine Generation von jungen Menschen, die ihr Potenzial nicht ausschöpfen können. Dies hat nicht nur persönliche, sondern auch gesamtgesellschaftliche Konsequenzen: Schlechte Bildung geht einher mit weniger Entwicklung, schlechterer Gesundheit, höherer Anfälligkeit für Kriminalität und Radikalität, höherer Arbeitslosigkeit, niedrigeren Einkommen und geringerer sozialer Mobilität.

In Deutschland wird der Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft besonders deutlich. Laut einer Studie des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) besuchen Kinder aus Akademikerfamilien zu 77 Prozent ein Gymnasium, während es bei Kindern aus Arbeiterfamilien nur 36 Prozent sind. Diese Ungleichheit setzt sich in der Hochschulbildung fort: Nur 21 Prozent der Kinder aus Nichtakademikerhaushalten beginnen ein Studium, bei Akademikerkindern sind es 74 Prozent.

Migration als Sündenbock?

Häufig wird in der öffentlichen Debatte die hohe Zahl an Kindern mit Migrationshintergrund als Hauptursache für die Herausforderungen im Bildungssektor genannt. Diese Sichtweise ist jedoch verkürzt und lenkt von den eigentlichen Problemen ab. Zwar können sprachliche Barrieren und kulturelle Unterschiede zusätzliche Herausforderungen darstellen, doch die eigentliche Ursache liegt in einem System, das durch Selektion Ungerechtigkeit fördert, der strukturellen Unterfinanzierung und in einer eklatant mangelhaften personellen, räumlichen, wie materiellen Ausstattung der Schulen.

Das Argument der Überlastung durch Einwanderung macht spätestens dann ungültig, wenn deutlich wird, dass Deutschland gleichzeitig stark auf die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte angewiesen ist. Die duale Ausbildung, einst ein Erfolgsmodell, kämpft mit Nachwuchsproblemen. Viele Betriebe finden nicht genug Auszubildende, während das Schulsystem es nicht schafft, genügend junge Menschen auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Hier zeigt sich ein Paradoxon: Einerseits wird über Fachkräftemangel geklagt, andererseits wird nicht ausreichend in die Bildung investiert, um diesen Bedarf langfristig zu decken.

Lehrer, Eltern und Erzieher, aber allen voran die Werktätigen, müssen sich stärker für eine bedarfsgerechte und flächendeckende Bildung einsetzen. Der Ruf nach Veränderung wird lauter. Initiativen und Verbände, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), fordern eine bessere Ausstattung der Schulen, mehr Lehrpersonal und eine gerechtere Verteilung der Bildungschancen.

Ein Schritt in die richtige Richtung wäre eine umfassende Ausstattung und Reformierung der Bildung. Dazu gehört die Einführung kleinerer Klassen, eine bessere Ausbildung und mehr Personal, sowohl Lehrkräfte als auch Sozialarbeiter und Psychologen sowie die Modernisierung der Schulgebäude und Lehrmaterialien. Besonders wichtig ist es, benachteiligte Kinder gezielt zu fördern und ihre Eltern zu unterstützen. Solange die Kinder jedoch weiter in „gute“ und „schlechte“ Schüler eingeteilt und ihr Lebensweg somit quasi vorgezeichnet wird, wird die Ungleichheit im Schulsystem bestehen bleiben. Das dreigliedrige Schulsystem, das längst überholt und lange nicht mehr zielführend ist, dient einzig und allein der Segregation der Kinder und nicht ihrem beruflichen und akademischen Vorankommen.

Der Weg nach vorne

Bildung ist eine der wichtigsten Ressourcen einer Gesellschaft. Sie entscheidet über die Zukunftsfähigkeit und die Lebensqualität. In Deutschland besteht dringender Handlungsbedarf, um die bestehenden Ungleichheiten zu überwinden und jedem Kind seine volle Entwicklung und Entfaltung zu ermöglichen.

Eine nachhaltige Lösung erfordert Mut zur Veränderung und den politischen Willen, Bildung und soziale Gerechtigkeit als Priorität zu behandeln. Es bedarf einer umfassenden Strategie, die von der frühen Förderung in Kitas bis zur beruflichen Ausbildung und Hochschulbildung reicht. Nur so kann Deutschland sicherstellen, dass es in Zukunft wieder ein Land der Dichter und Denker wird – und nicht eines der verkümmerten Potentiale und sozialer Kluften.

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