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Bologna? Setzen! Durchgefallen…

Mit großen Zielen und noch größeren Gegenprotesten wurde vor genau zehn Jahren die Bologna – Reform in Deutschland eingeführt. Seit dem hat sich das Hochschulwesen zum Leidwesen vieler Studierenden und Lehrenden massiv geändert. Das Bachelor-/Mastersystem wurde eingeführt und damit gleichzeitig Studiengebühren. Die Studieninhalte und Abschlüsse sollten in allen Hochschulen Europas vergleichbar werden. Doch wie steht es um die Reform? Zum zehnjährigen Jubiläum des Bologna–Prozesses zog Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, kritisch Bilanz.

Fehlende demokratische Legitimation

Bereits die politische Entscheidungsfindung des Bologna-Prozesses war überaus umstritten. Die Bildungsminister von inzwischen 47 Einzelstaaten einigten sich 1999 auf einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum. Die Minister erklärten sich für die Umsetzung der Reformen auf Länderebene verantwortlich. Unterstützt wurden sie von nationalen Bologna-Gruppen und der Bologna Follow Up Group (BFUG), denen auch  Vertreter aus Wirtschaft angehören. An der Planung, Ausarbeitung und Durchführung der Bologna-Reform waren hauptsächlich exekutive Organe, wie Ministerien und Regierungen beteiligt. Die Legislative, welche eigentlich für die Gesetzgebung zuständig ist, war in den einzelnen Bologna-Staaten entweder gar nicht oder beratend an den schon beschlossenen Reformen beteiligt. Die Reform wurde nicht zu Genüge demokratisch legitimiert.

Die offiziellen Hauptziele der Reformen, die Förderung von Mobilität, von internationaler Wettbewerbsfähigkeit und von Beschäftigungsfähigkeit,  lassen deutlich erkennen, welche Interessen hinter den Prozessen stehen. Insbesondere die europäische Wirtschaft und Arbeitgeberverbände haben ein großes Interesse an diesen Zielen. Eine fundiert wissenschaftliche Ausbildung, wurde von einer rein praxisorientierten und an den Anforderungen der Wirtschaft ausgerichteten Ausbildung abgelöst.

Das Humboldt‘sche Bildungsideal, welches die universitäre Bildung in aller Welt maßgeblich beeinflusst hat, wurde mit einem rein berufs- und praxisorientierten, nach wirtschaftlichen Maßstäben bemessenen und von wirtschaftlichen Interessen abhängigen Hochschulwesen, hinfällig. Humboldt strebte freie und unabhängige Hochschulen an, in denen die Einheit von Forschung und Lehre gegeben ist. Studenten sollten eine breitgefächerte wissenschaftliche Ausbildung erhalten und Freiraum für die Entwicklung zur Selbstbestimmung und Mündigkeit durch ihren Vernunftgebrauch erlangen.

Hochschulen als Fortführung  der Schule

Doch Eigenständiges Lernen und das Reifen als Person ist im hoch verschulten Unialltag kaum mehr möglich. Die Wahlmöglichkeiten sind stark begrenzt. In vielen Hochschulen herrscht Anwesenheitspflicht. Und es ist keine Seltenheit, dass jedes Semester bis zu 10 Prüfungen geschrieben werden müssen. Die Zielvorgabe der deutschen Umsetzung des Bologna-Prozesses besagt, dass Studierende im Jahr 1.800 Arbeitsstunden für ihr Studium aufzuwenden haben. Diese Arbeitsbelastung bedeutet, dass Studierende 40 Stunden pro Woche für ihr Studium aufwenden sollen.

Keine Zeit für Nebenjobs

Bei der Berechnung des Arbeitspensums wird davon ausgegangen, dass Studierende weder erwerbstätig sind, noch erhebliche Zeitanteile für gesellschaftliches, politisches oder familiäres Engagement aufwenden. Dies hat zum einen zur Folge, dass Kinder aus sozialschwachen Familien ihr Studium entweder über Kredite, Bafög oder Stipendien finanzieren müssen oder im schlimmsten Fall gar nicht erst anfangen oder das Studium vorzeitig abbrechen. Studiengebühren, welche dank jahrelanger Bildungsproteste in den meisten Bundesländern wieder zurückgezogen wurden, taten ihr übriges zur sozialen Selektion in den deutschen Hochschulen. Zum anderen bleibt kein Freiraum um im oder neben dem Studium, als Persönlichkeit, zu reifen.

Stress im Studium

Das vom ersten Tag an straff durchorganisierte Studium lässt Studierenden kaum Zeit, sich an das Hochschulleben einzugewöhnen. Jede einzelne Prüfung zählt für die Endnote und jede nicht bestandene Prüfung kann zum Entzug der finanziellen Förderung führen. Aber dies sind nicht die einzigen Belastungen, die auf einen Studierenden zukommen. Die Endnote im Bachelor entscheidet darüber, ob der Zugang zu einem Masterstudium gewährt ist. Dies ist insofern problematisch, da der Bachelor in vielen Studiengängen nicht als vollwertiger akademischer Hochschulabschluss angesehen wird und kaum Berufsmöglichkeiten bietet. Aber auch eine wissenschaftliche Karriere ist mit dem Bachelor nicht möglich.

Hohe Abbruchquoten

Der finanzielle und psychische Druck äußert sich in immer weiter steigenden Abbruchquoten aus. Rund 30 Prozent der Bachelor-Studenten brechen ihr Studium ab. Insbesondere in naturwissenschaftlichen und technischen Studiengängen ist dieser Trend erkennbar.

Mobilität nicht erreicht

Zwar hat sich seit 1999 die Auslandsmobilität von Studierenden verdoppelt, doch hat ein Großteil derer, die im Ausland waren, die Regelstudienzeit überschritten. Selbst in international angelegten Studiengängen wurde oft kein Auslandssemester in den Verlauf eingeplant. Gerade einmal 22 Prozent der Studenten können Erfahrungen im Ausland sammeln. Die von den Bologna-Machern erwarteten 50 Prozent wurden weit verfehlt. Philosophie-Professor Julian Nida-Rümelin von der LMU München fasst die Probleme um die Mobilität in einem Interview mit der SZ zusammen. „Eine Verschulung bringt nicht mehr Mobilität, sondern weniger. Bei den auf drei Jahre verdichteten Studiengängen ist ein Wechsel nun einmal riskant. Da hilft auch das Punktesystem nichts, das im Übrigen nicht europaweit einheitlich, sondern ganz unterschiedlich eingesetzt wird. Nicht nur in dieser Frage gilt: Gemessen an den ursprünglichen Zielen muss der Bologna-Prozess heute als gescheitert gelten.“

Soziale Ungleichheiten steigen

Mit Einführung des Bachelor-/Mastersystems haben sich insbesondere die sozialen Missstände im Hochschulwesen verschärft. Bildung erhielt mit Studiengebühren und erhöhtem Lern- und Arbeitsaufwand den Charakter einer Ware. Studieren wurde für diejenigen, die es ohnehin besonders schwer haben, weiter erschwert. Mit dem beschränkten Zugang zu Masterstudiengängen wurde eine weitere Hürde für viele soziale Gruppen eingeführt. Rund 70 Prozent der Masterstudenten sind männlich. Gleichzeitig wurden staatliche Exzellenzinitiativen gefördert, die nur einigen wenigen zu Gute kommen. Gepaart mit  Sparmaßnahmen im deutschen Bildungswesen muss dem Bologna Prozess, selbst nach ihrer eigenen Zielsetzung, das Scheitern attestiert werden.

 

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